Bayreuth, den 01.07.2018 1. Mose 12,1-4

Liebe Gemeinde! 

In dem Text, den ich eben vorgelesen habe, haben wir etwas von einem Mann gehört, der enorm viel riskiert hatte. Er verlässt seine Heimat, um ein neues, unbekanntes Land in Besitz zu nehmen. Millionen von Deutschen haben dies in den letzten Jahrhunderten gemacht. Viele sind in die "Neue Welt" ausgewandert, nach Amerika, um dort ihr Glück zu finden. Meine Vorfahren sind vor 200 Jahren aus dem Schwabenland nach Westpreußen ausgewandert. Napoleon machte später dieses Gebiet polnisch. Dann lockte der Zar meine Vorfahren durch das Versprechen von Privilegien nach Bessarabien auf das Gebiet der heutigen Ukraine. Als diese Privilegien nicht mehr galten, zogen sie weiter nach Süden, nach Rumänien an die Schwarzmeerküste. Vor 78 Jahren wurden diese Deutschen nun mehr oder weniger freiwillig zurückgesiedelt ins Deutsche Reich, erst nach Österreich, dann nach Böhmen und Mähren. Und 1945 musste mein Großvater und seine Familie in den Westen fliehen und kamen hier in die Gegend von Bayreuth. Viele Russlanddeutsche haben ja ein ähnliches Schicksal hinter sich. Sie sind vor Jahrhunderten nach Russland ausgewandert, um dort ihr Glück zu finden, und verlassen ja aus diesem Grund ihre alte Heimat. Sie hoffen, dass es ihnen in Deutschland besser geht als in Kasachstan oder Sibirien.

Wie war das bei Abraham? War es die Hoffnung auf ein besseres Leben, das ihn auswandern ließ? Nein! Er hatte es in seinem Leben ja schon zu etwas gebracht. Abraham war reich. Er besaß große Viehherden. In seiner Heimat war er fest verwurzelt. Abraham ließ seine gesamte Verwandtschaft zurück, als er auswanderte. Allein das bedeutete für ihn ein enormes Risiko. Ohne Familie, ohne ihren Schutz, ohne soziale Absicherung zog er in ein Land, das er gar nicht kannte.

Dann war Abraham, vorsichtig ausgedrückt, nicht mehr der Allerjüngste. In seinem Alter unternahm man normalerweise keine strapaziösen und gefährlichen Reisen wie er. Abraham war schließlich schon 75 Jahre alt, als er noch einmal seinen Wohnort wechselte. Er war also nicht jung und unternehmungslustig.

Was war mit Abraham nur los? Antwort: Der lebendige Gott war in sein Leben getreten und hat mit ihm geredet. Wie dies zuging, steht nicht da. Wir wissen nur, dass Abraham und seine Sippe in einer heidnischen Umgebung lebte, zunächst in Ur in Mesopotamien, dann in Haran in der heutigen Türkei. Alle Welt glaubte an heidnische Götter. Doch die Familie Abrahams hatte den Glauben an Gott, den Herrn, bewahrt.

Und das Kennzeichen dieses Gottes ist: Er ist nicht wie die heidnischen Götzen stumm sondern er redet. Abraham kannte die Stimme seines Gottes. Es war ihm klar: Das, was er hörte, war keine Stimme aus seinem Inneren, keine Einbildung. Sondern es war Gott, der mit ihm redete, auch wenn das, was er hörte, noch so phantastisch klang. Er sollte auswandern. Gott versprach ihm Landbesitz, Nachkommen ohne Zahl und einen berühmten Namen. Abraham gehorchte. Er ließ alles hinter sich, fing noch einmal vom vorne an, und das mit 75 Jahren!

Abrahams Gehorsam wurde belohnt. Es erfüllte sich alles, was Gott ihm versprochen hatte, auch wenn sich manches schwieriger und langwieriger gestaltete, als es sich Abraham vorgestellt hatte. Seine Ehe mit Sarah war ja kinderlos, eigentlich ohne Hoffnung auf Nachkommen. Aber nach langem Warten war es endlich soweit: Sein Sohn Isaak wurde geboren. Mit dem Landbesitz sah es genauso schlecht aus. Abraham sollte sein Leben lang kein Land besitzen, außer einer Höhle, die später sein Grab wurde. Es fing halt alles klein an. Aber es fing an. Wie wir wissen, wurde Abraham der Stammvater eines großen Volkes, des Volkes Israel. Dieses Volk durfte den schmalen Küstenstreifen an der Ostküste des Mittelmeeres bewohnen. Es wurde zwar aus diesem Land vertreiben, es verlor seine staatliche Existenz. Aber heute wohnen die Nachkommen Abrahams wieder in diesem ihm von Gott versprochenen Land. Vor genau 70 Jahren wurde Israel wieder ein selbständiger Staat. Was Gott einem Abraham vor etwa 4000 Jahren versprochen hatte, das hat sich alles erfüllt. Ja, es gilt bis auf den heutigen Tag.

Auch heute noch können wir Gott kennenlernen. Auch heute noch redet er: durch Worte der Bibel zum Beispiel, die ganz konkret in eine bestimmte Situation hineinsprechen, durch eine Predigt von durch Gott bevollmächtigten Menschen, durch einen Gesangbuchvers, auch durch Menschen, deren Mund auf einmal zum Mund Gottes wird. Dieser Gott der Bibel gibt heute noch Versprechen, die alle eintreffen. So erlebte es Abraham, so erlebten es viele andere Gläubige, so erlebte es ich auch.

Gott redet also, immer wieder, bis auf den heutigen Tag. Es ist also nichts Seltenes, was da von Abraham berichtet wird. Aber das Seltene bei ihm ist, dass er nicht nur hört sondern auch gehorcht. Und dadurch wird er für uns zum Vorbild. Es hat einmal jemand gesagt: Das Besondere an den Heiligen ist nicht, dass Gott ihnen besondere Versprechen gegeben hat, sondern dass sie sie glauben und dass sie das tun, was ihr Schöpfer ihnen sagt.

Wir können also von diesem Abraham lernen, was Glaube bedeutet. Er ist keine fromme Weltanschauung. Er bedeutet auch nicht oder nicht nur, dass man irgendwelche Bibelsprüche oder christliche Lehrsätze im Kopf hat.

Sondern Glaube vertraut dem lebendigen Gott und rechnet mit seinem Eingreifen. Wer glaubt, wagt immer etwas. Er ist bereit, etwas Altes aufzugeben und etwas Neues zu riskieren. Der Glaubende ist eigentlich immer im Aufbruch. Glaube ist nichts für Spießer, die alles gesichert haben wollen. Wer glaubt, lässt alte Denkgewohnheiten zurück und alte Vorurteile und Zweifel. Er findet sich auch nicht mit seinem egoistischen Ich ab, mit seinen Sünden. Sondern er ist bereit, sich von Gott in ein neues Leben führen zu lassen. Er hört auf Gott und seine Stimme, die ihm verspricht: "Siehe, ich mache alles neu!"

Dieser Gott will mit uns Menschen eine enge Beziehung eingehen. Schon damals zur Zeit Abrahams war dies so. Er schloss mit ihm einen Bund. Das heißt er verpflichtete sich, für ihn da zu sein, für ihn sorgen, ihn zu führen und zu leiten. Und andererseits verpflichtete sich auch Abraham dazu, seinem Gott zu gehorchen.

Wir leben nun nicht mehr zur Zeit des Alten Testamentes, des alten Bundes, so wie Abraham sondern zur Zeit des Neuen Testamentes, des neuen Bundes. Die Grundlage dieses Bundes ist das Sterben Jesu am Kreuz. Er ist mit Blut besiegelt, das für uns vergossen wurde zur Vergebung unserer Sünden. Das ist das besondere Kennzeichen dieses Bundes: Die Vergebung unserer Sünden. Darum dürfen wir Gott bitten. Und er vergibt uns auch. Durch die Vergebung gehören wir zu Gott. Durch die Vergebung bekommen wir die enge Beziehung zu ihm. Wer Vergebung erfahren hat, der hört auch immer wieder wie schon Abraham das Reden Gottes.

Das können wunderbare Sätze aus der Bibel sein, wie eben jenes Wort, das ursprünglich an Abraham gerichtet war: "Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein." Über die Jahrtausende hinweg gilt diese Zusage auch heute noch allen, die durch die Vergebung diese enge Beziehung zu Gott bekommen haben.

Wir alle kennen dieses Wort "Segen". Aber was bedeutet es eigentlich? Bei uns in Deutschland kommt das Wort „Segen“ fast nur noch im kirchlichen Bereich vor. Und wenn es im täglichen Leben gebraucht wird, klingt es nicht unbedingt positiv. So redet man von manchem, dass er einen „gesegneten Appetit“ besitzt, aber man meint damit, dass er eigentlich zu viel isst. Das Gleiche gilt von dem Wort „Kindersegen“, das eher spöttisch gebraucht wird.

Diese und ähnliche Redewendungen belegen: In der Regel ist bei uns in Deutschland bestenfalls nur noch eine Ahnung von dem vorhanden, was der Segen Gottes bedeutet. Es ist irgendwie die Ahnung, dass mein Leben einen Hintergrund hat, dem ich mich und all das, was ich habe und bin, verdanke.

„An Gottes Segen ist alles gelegen.“ Wir alle kennen diesen Satz. Auf allen Gebieten brauchen wir den Segen Gottes, in der Familie, im Beruf, in den Beziehungen zu anderen Menschen, auch in der Politik.

Segen bedeutet keine konkrete Hilfe in einer bestimmten Not. Sondern er ist beständige Nähe Gottes in einem Leben. Man kann ihn oft nicht messen aber doch immer wieder wahrnehmen. Segen kann man mit dem Wachstum in der Natur vergleichen. Wenn einer sich eine Stunde lang in seinen Garten setzt, dann sieht er keine Veränderung bei den Pflanzen, die dort wachsen. Aber langsam, unmerklich, geschieht natürlich doch etwas an ihnen. Wenn er sich ein paar Tage später wieder im Garten umschaut, dann ist diese Veränderung sichtbar. Dann ist etwa eine Blume aufgeblüht, die Blätter an den Bäumen haben sich entfaltet oder Früchte sind gewachsen.

So ist es auch mit dem Segen Gottes in einem Leben. In einer Momentaufnahme ist er nicht immer erkennbar. Aber im zeitlichen Abstand kann man gute Entwicklungen sehen.

Wir müssen uns natürlich auch vor einem Missverständnis hüten. Segen bedeutet nicht: Gott erfüllt alle meine Wünsche. Er wird uns, wenn er uns segnet, nicht alle Steine aus dem Weg räumen, uns nicht vor jeder Krankheit, vor Arbeitslosigkeit, Geldschwierigkeiten und Unfällen bewahren. Gott führt uns manchmal bewusst Wege, die uns wehtun, die wir nicht verstehen und für Irrwege halten. Er tut nicht immer das, was wir wollen, Gott sei Dank.

Eine Beispielgeschichte dazu: Ein armer Bauer hatte sehr mageres Land zu beackern und nur einen Sohn, der ihm half, und nur ein Pferd zum Pflügen. Eines Tages lief ihm das Pferd davon. Die Nachbarn des Bauern kamen und bedauerten ihn wegen des Unglücks. „Woher wisst ihr, dass es ein Unglück ist?“ fragte der Bauer ruhig.

In der nächsten Woche kam das Pferd zurück und brachte ein Wildpferd mit. Die Nachbarn kamen und gratulierten dem Bauern zu diesem Segen. „Woher wisst ihr, dass dies ein Segen ist?“ fragte der Bauer. Ein Woche später ritt sein Sohn auf dem wilden Pferd, fiel herunter und brach sich ein Bein. Nun war der Vater ohne Hilfe. Die Nachbarn bedauerten wieder das Unglück, aber der Bauer fragte ruhig: „Woher wisst ihr, dass es ein Unglück ist?“

In der folgenden Woche brach ein Krieg aus. Soldaten kamen ins Tal, um junge Männer mitzunehmen. Den Bauernsohn ließen sie da, weil er das Bein gebrochen hatte.

Was ist Segen, was ist Unglück? Oftmals erst hinterher sind wir in der Lage, diese Frage zu beantworten. Man macht es sich auf jeden Fall zu einfach, wenn man behauptet, wer gesund und reich ist, ist auf jeden Fall ein gesegneter Mensch. Es gibt sicher Menschen, die alles haben, was sie zum Leben brauchen, Geld, Haus und Ansehen, und sind doch nicht gesegnet, weil Gott und sein Sohn Jesus Christus in ihrem Leben keine Rolle spielen. Es ist viel wichtiger als aller irdische Segen, dass wir auch Jesus und seine Gnade in unserem Leben kennenlernen.

Das deutsche Wort "segnen" hat von seiner Wortbedeutung auch etwas mit Jesus und seinem Kreuz zu tun. Es kommt von dem lateinischen Wort „signare“ und bedeutet „Zeichnen“. Früher wurden Schafe mit dem Anfangsbuchstaben ihrer Besitzer „gezeichnet“, damit keine Verwechslung geschah. Ebenso empfangen wir im Segen das Eigentumszeichen Gottes, das Kreuz. Ein Gesegneter gehört auf die Seite Gottes. Er ist sein Eigentum.

Er ist gewissermaßen „handsigniert“ und wertvoll in Gottes Augen. Haben Sie daran schon gedacht, wenn der Pfarrer am Ende des Gottesdienstes die Hände erhebt und Sie segnet? Wer den Segen Gottes empfängt, kann gewiss sein: Ich bin unendlich wertvoll und wertgeachtet von Gott. Warum? Weil es das Kreuz gibt, weil sein Sohn für mich gestorben ist. Wer das für sich persönlich glaubt, der trägt Gottes Namen. Der ist „handsigniert“, von Gott selber. Manche Menschen sind stolz, wenn sie eine Unterschrift von einer berühmten Persönlichkeit besitzen. Doch Gottes Signatur, seine Unterschrift gewissermaßen, ist wertvoller als die von jedem Promi.

Ein gesegneter Mensch gehört zu Jesus. Und umgedreht gilt auch: Wessen Leben Jesus gehört, der ist gesegnet. Er darf wissen: Er ist bei Jesus geborgen, unverlierbar. Er, der Sohn Gottes, lässt ihn nicht los. Es ist so, wie Paulus sich in Römer 8 ausdrückt: "Ich bin gewiss, dass uns nichts scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn."

Jeden Sonntag stellen wir uns unter den Segen Gottes. Was der Pfarrer am Schluss des Gottesdienstes spricht, ist mehr als eine Formel. Sondern in diesen Worten des Segens steckt eine Macht. Wer sich unter den Segen Gottes stellt, der bittet, wie es in dem Lied von Peter Strauch "Herr, wir bitten, komm und segne uns" heißt, darum, von seiner Kraft angerührt zu werden. Es heißt mit den Worten dieses Liedes "vergebend zu ertragen", "deinen Frieden zu verkünden" und "deine Liebe zu bezeugen". Der Segen Gottes, den man für sich selber mit nach hause nimmt, der reicht auch für andere. Denn wir haben einen reichen Gott.

Amen