Bayreuth, den 2.9.18 1. Thessalonicher 1, 2-10

Liebe Gemeinde! 

Ganz schön clever, dieser Paulus, ist man vielleicht versucht zu sagen. Er weiß, wie man mit den Leuten umgehen muss. Er weiß, sie brauchen Lob. Und das gibt er ihnen auch. Er lobt hier die Gemeindeglieder von Thessalonich. Er lobt und lobt und lobt, und hört gar nicht damit auf. Ein ganzes Kapitel lang lobt er die Gemeinde dieser Hafenstadt in Griechenland.

Aber er tut dies nicht aus Berechnung, um die Thessalonicher für sich einzunehmen. Er ist kein Schmeichler. Er tut es auch nicht aus Höflichkeit, weil es sich halt so gehört, Komplimente zu machen. Und er tut es auch nicht als pädagogisch Geschulter, der einmal gelernt hat: auf eine Kritik sollen fünf Lobe kommen.

Nein, sein Lob ist ihm ein inneres Bedürfnis. Was war geschehen? Paulus war in Thessalonich. Und er erzählt in dieser großen Stadt von Jesus. Das Wunder geschieht: Juden und auch Heiden kommen zum Glauben an den Sohn Gottes. Sie werden Christen. Aber Paulus kann nicht lange in Thessalonich bleiben. Mit seiner Botschaft machte er sich auch Feinde. Paulus muss aus der Stadt fliehen, um nicht gelyncht zu werden. Er kommt in die Nachbarstadt, Beröa. Doch auch dort spüren ihn seine erbosten Feinde auf. Paulus muss wieder weiter, bis nach Athen. Erst dort hat er Ruhe vor den Nachstellungen seiner Feinde.

Paulus größte Sorge war nun: Was ist aus den frisch bekehrten Christen in Thessalonich geworden? Er war ja nur ein paar Wochen dort gewesen. Hals über Kopf musste er sie verlassen. Sie waren nun wie vaterlose Kinder. Blieben sie ihrem neuen Glauben treu? Hielten sie dem Druck der heidnischen und gottlosen Umgebung stand? Durch einen Boten erhält Paulus die gute Nachricht: Mit der christlichen Gemeinde in Thessalonich steht alles zum Besten. Paulus muss ein Stein vom Herzen gefallen sein, als er dies erfahren hat. Deshalb ist es dem Apostel ein inneres Bedürfnis, den Thessalonichern zu danken, wie vorbildhaft sie ihr Christsein leben. Genauer gesagt: Er dankt Gott, was er an ihnen getan hat.

Man kann beinahe neidisch werden. Was für eine tolle Gemeinde hat Paulus da nur gegründet. Diese Christen haben kapiert: Glaube hält sich nicht mit Überzeugungen und frommen Sprüchen auf, sondern er prägt das ganze Leben. Sie greifen den Kaputten, Gestrauchelten, Bedrängten unter die Arme. Ihr Glaube wird zur helfenden, liebevollen Tat. Dann rühmt Paulus ihre Geduld und ihre Ausdauer. Sie erleben Widerstände und werden benachteiligt, weil sie Christen geworden sind. Aber sie halten treu an ihrem Glauben fest. Wie ein Lauffeuer hat es herumgesprochen: Diese Thessalonicher sind vorbildhafte Christen.

Kann es sowas geben? Gibt es an den Thessalonichern wirklich nichts auszusetzen? Tatsächlich gab es auch dunkle Stellen im Gemeindeleben von Thessalonich. Erst in den beiden letzten Kapiteln seines Briefes erfahren wir davon. Da gibt es auch Christen, die gehen respektlos mit ihren Ehefrauen um. "Gierige Lust" bestimmt ihr sexuelles Verhalten. Andere nehmen es im Geschäftsleben mit der Ehrlichkeit nicht so genau und hauen andere übers Ohr. Wiederum andere trauen Gott nicht viel zu. Sie sind in ihrem Glauben "kleinmütig", wie sich Paulus ausdrückt.

Das alles weiß der Apostel. Er spricht diese Missstände auch deutlich an und kehrt sie nicht unter den Teppich. Aber trotzdem beginnt er seine Worte an die Thessalonicher mit einem Lob, einem uneingeschränkten Lob. Das ist für uns ungewohnt. Etwas Gutes und Anerkennendes zu sagen, fällt uns oft schwer.

Vielleicht ist diese Einstellung typisch deutsch und erst recht typisch oberfränkisch. Das höchste Lob eines Oberfranken lautet ja bekanntlich: "Passt schon!" Und ein anderer böser oberfränkischer Spruch heißt ja: "Nicht geschimpft werden ist Lob genug!" Dieser Satz will nur die Faulheit und Fantasielosigkeit rechtfertigen, die unser Lob verhindert.

Dagegen spüren wir oft mit Fleiß und Fantasie die Schwachstellen bei anderen auf. Es fällt uns nicht schwer, zu erkennen und auszudrücken, wo wir etwas auszusetzen haben.

Ein Pfarrer erlebte Folgendes: Am Ende einer Tagung wurde Rückschau gehalten. Alle haben sich sehr zufrieden geäußert. Eine rundum gelungene Tagung. Dann brachte einer einen kleinen, negativen Einwand vor. Der war berechtigt. Aber daran hakte sich alles fest. Das bestimmte das weitere Gespräch. Die Teilnehmer kamen nicht mehr davon los. So rückte eine gelungene Tagung in ein schiefes Licht. Am Ende hatte der Pfarrer das Gefühl, im falschen Film gewesen zu sein.

Es fällt so leicht, Fehler aufzulisten und Klagelieder anzustimmen, auch in der Kirche, ja, gerade in der Kirche. Denn da gibt es so viel, was nicht stimmt und Anlass zur Sorge gibt: "Der Kirche laufen die Mitglieder weg!" "Der Gottesdienstbesuch war auch schon besser!" "Die Frömmigkeit nimmt ab!" "Die Kirchenleitung versteht uns nicht!" "Die frommen Gruppen kreisen um sich selbst!"

Klar, an all dieser Kritik ist ja auch was dran. Auch ich sehe, was in unserer Kirche oder auch in unserer Gemeinde schief läuft.

Aber genauso wichtig oder noch viel wichtiger ist es, auch das auszudrücken, was gut ist und gelungen ist. Das ist nicht immer einfach.

Ein Pfarrer berichtet aus dem Konfirmandenunterricht. Alle saßen im Kreis. In der Mitte stand ein Stuhl. Dort musste sich jeder einmal draufsetzen. Und die anderen mussten zu dem in der Mitte etwas Liebenswertes sagen. Der Pfarrer machte dabei zwei Erfahrungen: Loben ist schwer. Da saßen ja nicht nur die Braven in der Mitte sondern auch die anderen. Manchmal hat es reichlich lange gedauert, bis an denen etwas Gutes gefunden werden konnte. Und das andere: Einmal etwas Gutes über sich zu hören, tut unendlich gut.

Genauso macht es auch Paulus. Er hat sich genau überlegt: Was kann ich den Thessalonichern Lobenswertes sagen? Wofür kann ich Gott danken?

Und da kommt eine ganze Menge zusammen: "Ihr habt euch von den toten Götzen zu dem lebendigen Gott bekehrt. Ihr seid ein Vorbild für andere Christen. Euer Werk im Glauben, eure Arbeit in der Liebe, eure Geduld in der Hoffnung, finde ich lobenswert. Dafür danke ich meinem Gott."

Wir brauchen jetzt nicht eine rosarote Brille aufsetzen und alles schön reden, auch das, was nicht stimmt. Darum geht es nicht. Wir brauchen nur die graue Brille ständiger Kritik absetzen und wahrnehmen, was gelungen ist. Und so gibt es auch in unserer Gemeinde viel zu sagen, was lobenswert ist und wofür wir Gott dankbar sein können. Das möchte ich jetzt tun, sicherlich unvollkommen. Aber einen Versuch ist es wert:

Wenn ich wie jetzt auf der Kanzel stehe, dann sehe ich viele erwartungsvolle Gesichter von Menschen, die interessiert zuhören. Sie erwarten sich etwas vom Gottesdienst und vor allen Dingen von der Predigt. Und dafür bin ich dankbar.

Nach dem Gottesdienst gehen viele Besucher nicht gleich nach hause sondern bleiben noch da, um miteinander zu plaudern. Das weist auf eine gute Gemeinschaft hin. Und dafür bin ich dankbar.

Unter der Woche treffen sich Jung und Alt in den vielen Kreisen unserer Gemeinde. Es sind insgesamt 28 verschiedene Gruppen. Über 40 Gruppenleiter bereiten sich jedes Mal vor, um eine ansprechende Gruppenstunde halten zu können. Der Mittelpunkt dieser Kreise ist das Wort Gottes. Und dafür bin ich dankbar.

Es gibt viele junge Leute, die sich für die Jugendgottesdienste engagieren, die Theater spielen, moderieren, musizieren, singen und beten. Und dafür bin ich dankbar.

Dann denke ich an unsere kids-Treff-Mitarbeiter. Vor allen Dingen unsere Hauptamtlichen haben oft einen Knochenjob, den sie gerne und mit Liebe tun. Außerdem gibt es viele Ehrenamtliche wie in der Hausaufgabenhilfe, auf der "Kiwi", im "kids-Club" oder im "Flux", ohne die wir die Arbeit im kids-Treff nicht tun könnten. Und dafür bin ich dankbar.

Dann haben wir so viele Kindergottesdienstmitarbeiter, dass wir Woche für Woche drei Gruppen anbieten können. Es gibt Leute, die ohne viel Aufhebens die unscheinbare Arbeit tun, die einfach gemacht werden muss, wie das Austragen der "Gemeindenachrichten". Wir haben so viele tüchtige Mitarbeiter wie im Büro oder auf der Orgelbank. Und dafür bin ich dankbar.

Dann haben wir einen harmonisch zusammenarbeitenden Kirchenvorstand ohne Quertreiber und mehr Kandidaten für die Kirchenvorstandswahl, als wir bräuchten. Und dafür bin ich dankbar.

Woran liegt das? Da ist eben auch bei vielen in unserer Gemeinde ein guter Grund gelegt worden. Irgendwann einmal, vielleicht vor Jahrzehnten oder erst auf der letzten Jugendfreizeit im August haben sie sich wie die Thessalonicher von den "toten Götzen" zu dem lebendigen Gott bekehrt.

Sie haben gemerkt: Woran ihr Herz hing, hat sie nicht erfüllt: der Beruf, die Kinder, der Haushalt, der Mann, den ich habe oder noch bekommen möchte, ihre Freizeitgestaltung, Geld, Hobbys, Wohnungseinrichtung, Essen, Trinken, Kleidung, Sexualität, Familie, Geld, Beruf. Natürlich sind das alles gute Gaben Gottes. Aber sie erfüllen nicht ihr Leben. Wenn jemand das von diesen Dingen und Menschen erwartet, erweisen sie sich als tote Götzen.

Sie haben gemerkt: Sie haben zutiefst gottlos gelebt, ohne Verbindung mit dem lebendigen Gott. Und ihr Herz war voller Unversöhnlichkeit, Unbarmherzigkeit und Bitterkeit. Vielleicht waren sie sogar fromm, aber es fehlte die Liebe zu Gott. Im Alltag ihres Lebens herrschte nicht der Heilige Geist, sondern das eigene Ich.

Aber dann entdeckten sie auch die wunderbare Liebe Gottes, die gerade den Sündern, den Verlorenen gilt. Sie konnten die Vergebung ihrer Sünden glauben, sie konnten glauben: Jesus ist auch für meine Sünde am Kreuz gestorben. Ich gehöre zu Gott. Ich bin sein Kind.

Es hat bei ihnen etwas Neues angefangen. Es ist eine Liebe von Gott her und zu ihm in ihr Leben hineingekommen. Sie wollen das tun, was er will, ihm dienen, gehorchen und seine Liebe weitergeben.

Wer das noch nicht in seinem Leben erfahren hat, der darf Gott darum bitten, dass auch er erkennt, dass er ein Sünder ist, der aber von Gott um Jesu willen unendlich geliebt und wertvoll ist.

Wer nun ein bekehrter und wiedergeborener Christ ist, der darf nun selber das tun, was ich getan habe: Für das danken, was Gott an ihm getan hat. Das heißt wegschauen von sich, von allem Fehlerhaften und Sündhaften, was man an sich entdecken kann und sich mit dem beschäftigen, was Gott an einem getan hat und tut.

Wenn wir ein Lob hören, kann uns das ja verlegen machen. Vielleicht ist es dem einen oder anderen unter uns so gegangen, als ich aufgezählt habe, wofür ich in dieser Gemeinde Gott dankbar bin. Man kann ja auch denken: So ein vorbildhafter Christ bin ich ja nun auch nicht. Da gibt es Vieles, was in meinem Leben nicht passt. Vielleicht erging es den Thessalonichern ja auch so. Vielleicht haben sie sich auch gefragt: Sind wir wirklich so, wie Paulus uns beschrieben hat?

Wie schon gesagt: Die Thessalonicher waren keine perfekten Christen. Das wusste auch Paulus. Und die Nikodemuskirchenleute sind auch keine perfekten Christen. Das ist mir auch bewusst. Und wenn einer denkt, er sei perfekt, müsste ich ihm raten: Bitte Gott um viel Heiligen Geist, dass dir die Augen über dich geöffnet werden.

Aber die eigenen Fehler sind gar nicht so entscheidend. Entscheidend ist das, was Gott an einem schon getan hat. Entscheidend ist, dass er mit einem schon angefangen hat, dass nun jemand sagen kann: Ich bin ein Kind Gottes.

Das zählt in den Augen Gottes. Er sieht nicht so sehr auf unsere Fehler sondern auf die Pläne, die er mit uns vorhat. Und er hat große Pläne. Auch mit uns. Dieser Plan lautet für jeden von uns: Wir sollen für sein Reich passend gemacht werden. Das dürfen wir ihm zutrauen. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass dieser Plan scheitert. Nein, vielmehr dürfen wir glauben: Der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollbringen bis an den Tag Christi Jesu. Gott macht doch keine halben Sachen.

Dafür dürfen wir jetzt schon danken. Denn es wird geschehen, dass er bei uns schon noch das verändert, was bei uns nicht in Ordnung ist.

Nimm diese Zusage Gottes in dein Leben auf: "Der in euch angefangen das gute Werk, der wird es auch vollenden." Diese Zusage wird dich verwandeln, wird deinen Gedanken, Worten und Taten ein ganz besonderes Gütesiegel verleihen, das Prädikat: tauglich für die Ewigkeit. Er wird es machen, nicht wir. Vielleicht merken wir es an uns gar nicht, aber andere merken es und Jesus merkt es. Und er schaut freundlich, ja voller Freude auf das, was er in uns geschaffen hat. Jetzt schon, weil er weiß: Ich schaffe Freiheit, wo wir jetzt nur Abhängigkeiten und schlechte Angewohnheiten sehen. Ich schenke Freude, wo wir uns oft nur so traurig fühlen. Ich schaffe eine Hilfe, wo wir nur Probleme sehen.

Dafür danke. Und wenn du meinst, es gibt so wenig, wofür ich danken kann, dann danke für das Wenige. Dann wirst du schon morgen für mehr zu danken haben.

Amen