Bayreuth, den 30.9. 2018 Jakobus 2,1-13

Liebe Gemeinde!

"Lasst euch nicht vom Rang und Ansehen der Menschen beeindrucken!" Das ist natürlich ein provozierendes Wort , auch für eine Kirchengemeinde. In drei Wochen haben wir Kirchenvorstandswahl. Was ich eben auch unserem Predigttext noch einmal vorgelesen habe, ist wichtiges Wort für die, die sich zur Wahl stellen und die, die unter den Kandidaten und Kandidatinnen wählen, hier in unserer Gemeinde und den hunderten Gemeinden in ganz Bayern. Und wir müssen uns diese unbequemen Sätze von Jakobus schon gefallen lassen. 

Gott sieht nicht die Person an. Er lässt sich nicht vom äußeren Schein beeindrucken. Titel und Mittel, Gott sind sie egal. So steht es, nicht nur hier bei Jakobus, immer wieder in der Bibel.

Ob jemand einen Doktortitel hat oder ein Diplom, ob jemand zwei Häuser hat oder ein Millionenvermögen besitzt, ob jemand Landrat oder Abgeordneter ist, vor Gott ist es ohne Bedeutung. Deshalb kann man auf jeden Fall eine Wahlempfehlung aussprechen: Achtet nicht auf das, was hinter dem Namen steht, auf die Angabe des Berufs. Das ist nicht von Bedeutung für die Eignung zu einem Kirchenvorsteher. Da sind schon andere Qualitäten gefragt: die Bereitschaft zur Mitarbeitschaft in der Gemeinde, die Liebe zu Jesus und seinem Wort, das treue Gebet für die Gemeinde, ein anhand vom Wort Gottes geschärftes Urteilsvermögen, um nur einiges zu nennen.

Letztlich kommt es nicht auf bestimmte Qualitäten an, sondern auf die Herzensstellung, ob einer weiß, dass er ein armer Sünder ist, der Vergebung erfahren hat und der weiß, dass Gott ihn nur unverdientermaßen gebrauchen will.

Immer wieder, nicht nur bei dieser Wahl, erlebe ich Folgendes: Ich frage Männer und Frauen, ob sie bereit wären für die Kirchenvorstandswahl zu kandidieren. Und dann waren etliche recht erschrocken. Denn sie fühlten sich eher untauglich für so einen Dienst. Und ich habe mich gefreut. Denn wenn einer so denkt, dann ist schon einmal eine Grundvoraussetzung erfüllt, dass Gott einen gebrauchen kann. Denn so waren alle eingestellt, die Gott für seine Sache benutzte. Denken wir nur an Petrus, der zu Jesus sagte: "Geh weg von mir; ich bin ein sündiger Mensch." Doch gerade ihn wollte Jesus als Mitarbeiter, weil dieser alles von ihm, dem Sohn Gottes erwartete und nicht von sich selbst.

Nun hoffe ich, dass wir es den Wahlberechtigten in unserer Gemeinde etwas schwerer gemacht haben als vielleicht in anderen Gemeinden. Wir vom Vertrauensausschuss, der die Wahl vorbereitet und den Wahlvorschlag gemacht hat, haben gerade darauf geachtet, dass wir nicht nach Rang und Titel Kandidaten und Kandidatinnen aufgestellt haben. Sondern wir wollten gerade solche Leute, die bereit sind, sich in ihrer Gemeinde zu engagieren. Wenn Sie in drei Wochen wählen, müssen Sie nicht Menschen beurteilen. Solches Urteil steht nur Gott zu. Sondern Sie müssen selber beurteilen, welche Gaben der Gemeindeleitung in den nächsten sechs Jahren hier in der Nikodemuskirchengemeinde vordringlich gebraucht werden. Und wir können darum beten, dass wirklich die in den Kirchenvorstand kommen, die Gott da auch haben will. Das sind eben in unserer Gemeinde nur 8 von 16 Kandidaten, von denen Sie sechs wählen dürfen, zwei werden berufen. Und die acht übrigen haben dann nicht Pech gehabt. Wir können sie sehr wohl gebrauchen! Es gibt genug in einer Gemeinde zu tun. Wir laden alle 16 zu den Sitzungen ein, ob sie nun gewählt und berufen worden sind oder nicht.

Und Gott? Er hat schon die ausgewählt, die er für seine Aufgaben gebrauchen kann. Es sind die, die "im Glauben reich" sind, wie Jakobus sich hier ausrückt. Auf diesen inneren Reichtum kommt es bei Gott an. Wir Menschen sind geneigt, uns vom Äußeren blenden und beeindrucken zu lassen. Da bekleidet einer einen Titel, besitzt einen Rang, und schon sehen wir ihn mit anderen Augen an. Er steigt in unserer Achtung. Oder da besticht einer durch ein sicheres Auftreten, und schon sind wir leichter geneigt, seinen Worten Glauben zu schenken. Da besitzt einer eine gefälliges Äußeres, und schon sind wir von ihm eingenommen.

In der Bibel lesen wir: "Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an." Gott sieht tiefer, nicht nur auf unsere oft so glatt polierte Oberfläche. Er sieht das Herz an, das, was einen Menschen im Innersten bewegt, was der tiefste Grund seines Denkens, Redens und Handelns ist. Deshalb sieht so manches im Lichte Gottes ganz anders aus.

Wir auch in einer Gemeinde dazu, die besonders zu achten, sind die vorne dran stehen. Wir bewundern vielleicht einen Pfarrer, dessen Dienst Gott sichtbar segnet. Und es ja auch richtig so, dass wir die ehren und für sie dankbar sind, die uns Gottes Wort verkündigen. Aber da gibt es vielleicht ganz unscheinbare Gemeindeglieder. Die kennt kaum einer, die beachtet kaum einer, weil sie kein Amt in der Öffentlichkeit bekleiden. Aber die beten treu für ihre Gemeinde. Vielleicht tun sie in den Augen Gottes mehr für den Segen der Verkündigung als ein hochgeachteter Pfarrer. Oder wir freuen uns, wenn angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich zum christlichen Glauben bekennen, Stars in der Politik, in Fernsehen oder im Sport. Aber die entscheidenden Persönlichkeiten, die bei Gott etwas bewegen, sind vielleicht ganz andere. Menschen, die wir gar nicht kennen, die aber Gott kennt, ihren Glauben sieht und ihre Gebete besonders erhört. Die Ewigkeit wird einmal erst zeigen, welche Menschen bei Gott die entscheidenden Persönlichkeiten waren. Und ich glaube, da werden wir manche Überraschung erleben.

Gott erwählt oft gerade die, die vor der Welt arm sind. Wo wir für irgendwelche Zwecke Menschen brauchen, suchen wir immer die Besten und die herausragenden aus. Auch sonst ist man an denen, die Rang und Namen haben, besonders interessiert. Gott ist nicht auf die Qualität des Menschen angewiesen. Er handelt aus seinem Erbarmen ganz anders und fängt unten bei den Armen an. Mit einem Sklavenvolk schließt er einen Bund, mit dem Volk Israel. Von der Herde weg hat einen, an den keine Mensch dachte, zum bedeutendsten König seines Volkes berufen. Ich spreche von David. Ein einfaches Mädchen aus Nazareth, die Maria, hat er zur Mutter seines Sohnes gemacht. Keiner von denen, die Gott berufen hat, kann einmal sagen, Gott habe ihn wegen seiner Vorzüge erwählt. Gott hat oft sehr einseitig Partei ergriffen für die Armen und Hilfsbedürftigen.

Er kann sicher auch einflussreiche und begabte Menschen gebrauchen. Aber er kann mit dem Hochmut, der ihren Gaben oft verbunden ist, nichts anfangen. Gott gebraucht nur Menschen, und nur sie sind im Reiche Gottes zu finden, die sich auf sich selbst nichts einbilden. "Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade", lesen wir im 1. Petrusbrief. Die Demütigen sind keine Menschen, die voller Minderwertigkeitsgefühle stecken, sondern die den Mut haben, sich zu sehen , wie sie sind. Sie haben erkannt, dass sie Sünder sind, die aufgrund ihrer Taten nicht verdienst haben, in das Reich Gottes zu kommen. Aber sie verlassen sich ganz und gar auf die Gnade Gottes, die ihnen ihre Schuld vergeben hat.

Und weil Gott gerade auf die Armen und Benachteiligten einer Gesellschaft achtet, soll seine Gemeinde das Gleiche tun. Der Apostel Jakobus schreibt das seiner Gemeinde ins Stammbuch. Er warnt davor, gerade die zu hofieren, die mit einem dicken goldenen Ring an der Hand und vornehmer Kleidung die Gemeinde besuchen und ihnen Ehrenplätze anzuweisen. Und mit den Armen geht man ganz anders um. Sie dürfen irgendwo hinten im Gemeinderaum Platz nehmen. Schon die Urchristenheit stand also in Gefahr, sich nach den Reichen und Mächtigen dieser Welt zu orientieren. Drei Jahrhunderte später, unter den römischen Kaisern Konstantin und Theodosius war die Kirche mächtig und einflussreich, ein wichtiger Pfeiler in der Gesellschaft. Und sie lässt sich auch in Machtpolitik und Intrigenspiel hineinziehen. Oder man denke an die Papstkirche des Mittelalters und er Renaissance, die immer mehr verweltlicht. Man erstellt herrliche Bauwerke, einflussreicher denn je, aber auch ohne Vollmacht.

Und heute? Wendet sich die Kirche mit ihrem Programm nicht häufig an die Gebildeten und Einflussreichen? Unsere Gemeindearbeit erreicht meist die Oberschicht und den Mittelstand. Freilich ist so, dass gerade sozial Benachteiligte in unserem Land oft sehr gleichgültig und uninteressiert dem Glauben gegenüber sind. Als Pfarrer erlebe ich dieses Desinteresse ja oft hautnah bei Besuchen und in den Schulen. Und doch frage ich mich manchmal, wenn ich jetzt diesen Predigttext lese und andere Geschichten der Bibel, warum dies zur Zeit Jesu anders war. Ich mag mich nicht damit abfinden, dass bei uns in Deutschland und in dieser Stadt häufig nur die Wohlsituierten sich Jesus zuwenden und die sozial Schwächeren vom Evangelium meist nichts wissen wollen.

Und unser Kirchenvorstand, mit denen ich hier in den letzten Jahren zusammenarbeiten durfte, hat das ja auch nicht. Schon seit zwölf Jahren gibt es in unserer Gemeinde den kids-Treff, unsere offen Kinder und Jugendarbeit. Wir erreichen mit dieser Arbeit viele Kinder und Jugendliche, die wir mit gewöhnlichen Jungschar- und Jugendgruppen nicht erreicht hätten. Dafür bin ich Gott dankbar. Dafür bin ich dem Kirchenvorstand dankbar, der hinter dieser Arbeit steht, all denen, die sie unterstützen, und natürlich den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern, die, mit viel Engagement und Liebe ihren Dienst tun. Natürlich ist unsere offene Kinder- und Jugendarbeit auch eine Aufgabe für den neu zu wählenden Kirchenvorstand und für uns alle, denen diese Gemeinde etwas bedeutet.

Auch Jesus lagen gerade die Mühseligen und Beladenen am Herzen, die Kranken, Verirrten und Verwirrten. Er war sich nicht zu schade, sich gerade ihnen zuzuwenden. Er überhörte ihren Ruf nach Erbarmen nicht, sondern ging zu ihnen, nahm sich ihrer an, vergab, heilte, tröstete.

Bis auf den heutigen Tag haben Menschen im Auftrag Jesu ebenso gehandelt. Viele, viele Christen haben sich um die gekümmert, die auf der Schattenseite des Lebens standen, haben sie nicht links liegen gelassen sondern ihnen geholfen.

Ich denke da gerade an eine Frau wie Mathilda Wrede, die Tochter eines finnischen Gouverneurs. Dieser hatte Gefangene unter sich. Sie war eine gläubige Christin und hatte eines Nachts einen Traum. Sie sah einen Mann, der an Händen und Füßen gefesselt war und sie um Hilfe bat. Ganz aufgewühlt wurde sie wach. Sie bat Gott, dass er ihr doch zeigt, was dieser Traum für sie bedeutet. Sie schlug die Bibel auf. Ihr Blick fiel auf die Stelle: "Du Menschenkind... gehe hin zu den Gefangenen deines Volkes und sprich mit ihnen." Am nächsten Morgen wollte sie an den Strand gehen. Auf dem Wege traf sie einen Gefangenen. Sie schaute ihm ins Gesicht und erschrak. Es war der Mann, den sie nachts im Traum gesehen hatte. Sie sprach mit ihm. Der Mann fasste Vertrauen zu ihr und bat sie nach dem Gespräch: "Sie sollten ins Gefängnis kommen und mit uns allen reden."

Nun war Mathilda Wrede klar, welchen Auftrag sie hatte: Gefangene besuchen.

Wir haben wohl nicht den gleichen Auftrag wie eine Mathilda Wrede, die man später "Engel der Gefangenen" nannte. Aber wir alle können doch ein Engel, d. h. ein Bote Gottes, für die Menschen sein, die Gott uns in den Weg stellt. Es mögen keine Gefangenen aus der Justizvollzugsanstalt dabei sein. Aber es gibt doch genug Gefangene aus unserer Umgebung, Menschen, die gefangen sind in ihrer Sorge, Trauer, Not oder Sünde und Schuld. Gerade für die sind wir doch da, so wie Jesus auch.

Ein Maßstab für Gottes Gericht wird die Barmherzigkeit sein. "Ohne Gnade wird über den das Urteil gesprochen, der selbst kein Erbarmen hat. Wer aber barmherzig ist, braucht das Gericht nicht zu fürchten", schreibt hier Jakobus.

Wer kann da bestehen? Wer kann da bestehen? Doch niemand. Denn wie oft sind wir Barmherzigkeit schuldig geblieben! Nur einer war wirklich vom Anfang bis zum Ende seines Lebens barmherzig, Jesus Christus. Den Aussätzigen, den Blinden, den Lahmen, den Schuldig Gewordenen, allen begegnete er mit Barmherzigkeit. Sie alle konnten nach der Begegnung mit Jesus wie der Liederdichter sagen: "Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert..." Diese seine Barmherzigkeit will er auch uns geben. Er will uns ja alles vergeben, auch unsere unbarmherzigen Gedanken, Worte und Taten. Dann können wir auch vor dem Gericht Gottes bestehen, weil er für uns einsteht. Und seine Barmherzigkeit, die wir erfahren haben, wird uns auch selber zu barmherzigen Menschen machen. Er wird es tun. Trauen wir es ihm nur zu!

Amen