Bayreuth, den 14.10.18 Josua 24,14-16

Liebe Gemeinde!

Der Kirchweihtag ist immer eine gute Gelegenheit für eine Kirchengemeinde zur Standortbestimmung. Das wollen wir auch heute tun. Wir wollen uns fragen: Wo steht unsere evangelisch-lutherische Landeskirche, wo stehen wir als Gemeinde, und zwar jeder von uns persönlich vor Gott? Unser Predigttext, den ich vorgelesen habe, will uns dazu entscheidende Hilfestellungen für die Beantwortung dieser Fragen geben. 

Vor 45 Jahren ist unsere Nikodemuskirche von Oberkirchenrat Flurschütz eingeweiht worden. Bei 2000 Jahren Kirchengeschichte und über 1000 Jahren Christentum in Deutschland ist das eine vergleichsweise kurze Zeit. Wir sind auch eine der jüngsten Kirchen im Dekanatsbezirk. Doch in dieser Zeit hat sich viel getan, in unserem Stadtteil, in unserer Kirchengemeinde, in unserer Gesellschaft, in unserer Kirche.

Wir haben zum einen Grund zum Dankbarsein. Vor 46 Jahren war hier nur eine Baugrube. Ein Jahr später konnte die Nikodemuskirche eingeweiht werden. 1976 wurde unsere Gemeinde selbständig und ist seitdem nicht mehr Teil der Stadtkirchengemeinde. Ein paar Jahre später konnte die Orgel geweiht werden und dann die Glocken. Das Gemeindeleben blühte auf. Viele, viele Gruppen und Kreise entstanden. Bei Gottesdiensten platzte die Kirche oft aus allen Nähten. So wurde die Idee des Kirchenanbaus geboren, der 2006 eingeweiht werden konnte. Unsere offene Kinder- und Jugendarbeit kids-Treff entstand. Der Abenteuerspielplatz "Kiwi" und der Jugendtreff "Flux" konnten in den letzten Jahren eingeweiht werden. Gottes Segen lag sichtbar auf dieser Gemeinde. An so einem Tag wie heute können wir dem Herrn der Kirche, Jesus Christus, nur dankbar sein. Und wir wollen ihn bitten, dass er seine Nikodemuskirche weiter segnet.

Aber es gibt auch Erscheinungen in unserem Gemeindeleben, die mir als Pfarrer weh tun. Sie passen gut zu unserem Predigtabschnitt. Dieser ist ein Abschnitt einer Rede. Gehalten hat sie Josua, der Anführer der Israeliten. Er ließ das Volk Israel nach Sichem kommen. Dort hielt er eine Rede, die es in sich hatte. Zunächst erinnert er die Israeliten an das, was sie mit Gott erlebt hatten. Er hatte sie aus Ägypten geführt und wunderbar durch das Rote Meer ziehen lassen. Sie kamen trockenen Fußes hindurch. Doch die Ägypter, die sie verfolgten, ertranken. Sicher, kein einziger außer Kaleb und eben Josua hat dieses Wunder noch mit seinen eigenen Augen gesehen. Aber ihre Eltern und Großeltern hatten ihnen sicher immer wieder davon erzählt. Dafür erlebten sie selber ein ähnliches Wunder. Auf wundersame Weise durchquerten sie den Jordan und kamen so in das von Gott versprochene Land Kanaan. Sie belagerten die feindliche Stadt Jericho. Diese war mit einer gewaltigen Stadtmauer umgeben. Doch Gott ließ sie durch den Schall ihrer Posaunen zusammenfallen. Nun war es Leichtes für die Israeliten, Jericho zu erobern.

An all diese Geschehnisse erinnert Josua die Israeliten. Und dann stellt er ihnen eine Frage: Wollt ihr diesem wunderbaren Herrn auch in Zukunft dienen oder wollt ihr anderen Göttern nachlaufen, wie den Göttern der Ägypter, denen euere Väter dienten oder den Göttern der Amoriter, in deren Land ihr wohnt?

Eigentlich ist es klar, wie die Antwort der Israeliten ausfallen musste. Ja, natürlich wollen wir dem Herrn, unserem Gott dienen. Was wollen wir mit den Göttern der Ägypter und der Amoriter? Diese haben sich als ohnmächtig und tot erwiesen. Aber unser Gott ist mächtig und lebt.

Josua ist skeptisch, ob die Israeliten dies wirklich tun werden. Er kennt das wankelmütige Volk nur zu gut. Aber an diesem Tag in Sichem beschließt das Volk Israel: Wir wollen dem Herrn, unserem Gott dienen. Doch nur wenige Jahre und Jahrzehnte später sollten sich die Ahnungen Josuas bestätigen: Die Israeliten wandten sich von ihrem Gott ab und verehrten tatsächlich die Götter der Kanaaniter, also die Götter der Völker, die sie mit der Hilfe Gottes besiegt hatten. Diese Götter erschienen ihnen doch attraktiver als Gott der Herr. Sie erschienen ihnen freizügiger, großzügiger, lockerer als der Gott, dem sie bisher dienten.

Und nun komme ich auf das zu sprechen, was mir als Gemeindepfarrer weh tut. Das Geschehen bei der Stadt Sichem erinnert mich an unsere alljährlichen Konfirmationen. Unsere Konfirmanden legen ein ähnliches Versprechen ab. Sie versprechen, Gott und seinem Sohn Jesus Christus zu dienen und ihm und seiner Gemeinde treu zu sein. - Auch ihr, liebe Konfirmanden, werdet dies in einem halben Jahr tun. - Sie wussten, was sie da versprachen, oder hätten es wissen können. Denn ein ganzes Jahr sind sie Woche für Woche auf den Tag ihrer Konfirmation vorbereitet worden. Sie haben im Unterricht und auch in den Gottesdiensten davon gehört, was für einem wunderbaren Gott sie ihr Leben anvertrauen dürfen. Dann haben sie es an dem Tag ihrer Konfirmation getan. Für manche war es wohl nur ein Lippenbekenntnis. Manche meinten es ernst. Aber nur wenige sind im Laufe der Jahre und Jahrzehnte Gott wirklich treu geblieben.

Warum nur wenige? Ich vermute, es wird den gleichen Grund haben wie bei den Israeliten. Die Götter unserer Zeit haben sich für sie als attraktiver erwiesen. Sie haben andere Namen als zur Zeit des Josua. Aber im Grunde genommen sind es die gleichen wie vor 3000 Jahren.

Sie heißen Spaß. Sie heißen Erfolg. Sie heißen Karriere. Sie heißen Sex. Sie heißen Geld. Sie heißen Wohlstand. Sie alle versprechen ein erfülltes Leben aber lassen den Menschen leer zurück. Denn nur der lebendige Gott der Bibel kann ein Leben erfüllen.

In ganz Deutschland ist es ja ähnlich oder noch schlimmer. Hunderttausende Jugendliche konfirmieren Jahr für Jahr und versprechen damit mit Jesus zu leben. Aber die Allermeisten tun es nicht sondern wenden sich sogar ganz und gar von ihm ab. Sie wollen von Kirche und Glauben nichts mehr wissen. In Scharen treten sie aus der Kirche aus, schon seit Jahrzehnten. Wenn dies so weitergeht, dann haben in weniger als 10 Jahren in Deutschland die Menschen die Mehrheit, die keiner Kirche angehören.

Die Kirchen, gerade unsere evangelische Kirche, versuchen sich diesem Trend entgegenzustemmen. Sie werfen Glaubensinhalte über Bord, von denen sie meinen, nicht mehr in die Zeit zu passen, wie, dass Jesus wiederkommt oder für unsere Sünde am Kreuz gestorben ist oder das Verständnis von Ehe und Familie wird den Vorstellungen unserer Zeit angepasst. Das klingt alles sehr modern. Aber durch solche Versuche macht sich die Kirche noch überflüssiger. Wieso brauche ich noch die Kirche, wenn sie nur das nachsagt, was Parteien, Meinungsmacher, Journalisten ihr vorsagen?

Eine bessere Strategie ist es auch nicht, wenn man den Kopf in den Sand steckt und meint: Es wird schon nicht so schlimm kommen. Wenn sich in unserem Land nicht Grundlegendes ändert, dann werden die Christen irgendwann einmal eine kleine Minderheit sein, vielleicht mehr oder weniger geduldet, vielleicht auch als Störenfriede diskriminiert oder gar verfolgt.

Was tun? Wir können uns nicht den Megatrends unserer Zeit entgegenstemmen. Diese Trends heißen Materialismus und Individualismus. Aber wir können selber diesen Trends widerstehen, wir als Nikodemuskirchengemeinde mit allen Mitarbeitern und vor allen Dingen unserem Kirchenvorstand. Am nächsten Sonntag wird er neu gewählt. Er hat die Aufgabe, zusammen mit mir, seine Arbeit an dem Evangelium von Jesus Christus und an den Bekenntnisschriften auszurichten. Er verspricht, ich zitiere aus ihrer Verpflichtungsfrage, "Verantwortung zu übernehmen für den Gottesdienst, für die diakonischen und missionarischen Aufgaben sowie für Lehre, Leben und Ordnung der Kirche." Eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe! Der jetzt noch amtierende Kirchenvorstand hat diese Aufgaben gewissenhaft erfüllt. Wir wollen alle dafür beten, dass dies auch der neue Kirchenvorstand tut.

Auch wir selber mit unseren Familien können uns entschließen, nicht den falschen Göttern sondern dem wahren Gott zu folgen. Josua sagt hier in unserem Predigttext: "Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen."

So ein Entschluss setzt etwas Entscheidendes voraus. Josua hat damals erfahren, dass Gott lebt und dass man sich auf ihn und seine Versprechen verlassen kann. Gott hat sich ihm in seiner großen Liebe zugewendet. Und er durfte erfahren: Und ich gehöre ihm. Ich bin sein Eigentum.

Er, der lebendige Gott, muss auch uns wie Josua, dich und mich, einmal zu sich gerufen haben, uns zu seinem Eigentum gemacht haben. Das ist entscheidend wichtig für unser Leben. Ich muss wissen, dass ich zu Gott gehöre, dass ich sein Kind bin und er mein Vater, der mich nicht mehr loslässt.

Dazu muss ich nicht besonders fromm und lieb sein. Im Gegenteil. Da kann keiner sagen: Gott hat mich zu einem Christen gemacht, weil ich ein besonderes Prachtexemplar der menschlichen Gattung bin. Niemand kann sich brüsten: "Ich habe es verdient, dass ich zu Gott gehöre. Ohne mich würde ihm jemand fehlen. Er braucht mich für seine Zwecke!"

Nein, Gott braucht niemanden. Aber wir brauchen ihn. Ein jeder braucht ihn, seine Gnade und Vergebung, weil er sonst verloren geht. Deshalb hat Gott uns gerufen. Einer, den der Ruf Gottes getroffen hat, kann immer nur mit dem Liederdichter bekennen:

"Ich hatte nichts als Zorn verdienet / Und soll bei Gott in Gnaden sein; / Gott hat mich mit sich selbst versühnet / und macht durchs Blut des Sohns mich rein. / Wo kam dies her, warum geschieht's? / Erbarmung ist's und weiter nichts."

Wie das geschieht, wie einen der Ruf Gottes trifft, das ist bei jedem verschieden. Aber irgendwie, irgendwo und irgendwann muss es bei jedem, der ein Christ sein will, geschehen, dass Gott ihn anspricht, dass er merkt: Ich, ich ganz allein bin jetzt von Gott angesprochen. Das kann in einer Predigt geschehen, auf einer christlichen Freizeit, in einer Konfirmandenstunde, bei einem Gespräch mit einem Christen oder beim Lesen in der Bibel. Es muss einmal so weit kommen, dass ich meine ganz persönliche Sünde und Schuld erkenne und dass ich dann merke: Jetzt will Gott mich, nicht wegen meiner Schokoladenseiten, sondern meiner Schattenseiten. Er will mich jetzt retten. Und ich bin verloren, wenn ich nicht zugreife und das Wort der Vergebung für mich persönlich ergreife. Und wer das Geschehen der Gnade begriffen hat, der darf dann das Wort Gottes glauben: "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein."

Durch so eine Erfahrung wird im Leben nicht alles anders.

Auch Christen leben in dieser Welt. Wir sind auch nicht besser als die Menschen um uns herum. Auch in uns wohnt das Streben nach Lust, nach Erfolg, nach Wohlstand und Geld. Wir kennen auch die Faszination, die von den falschen Göttern unserer Zeit ausgeht.

Aber wir kennen auch den Gott, der uns so unendlich viel Gutes getan hat. Der uns in Unglücken bewahrt hat, der uns in schweren Zeiten geholfen hat, der oft auf wunderbare Weise in unser Leben eingegriffen hat, der unsere Schuld vergeben hat. Der unser Herz gewonnen hat, weil er uns seine unendliche Liebe gezeigt hat.

Zu diesem Gott kann ich auch immer wieder umkehren, wenn ich Fehler gemacht haben, egal wie groß diese Fehler sind, egal wie weit ich mich von ihm entfernt habe, egal, ob ich sogar schlimmer als die Menschen ohne Christus gehandelt und gelebt habe. Ich darf umkehren, wie der verlorene Sohn zu seinem Vater und ihm wieder dienen. Und ich darf auf Gnade hoffen. Gott schenkt sie dem, der sie nur möchte. Darauf kann ich mich verlassen.

Und ich darf mich auf etwas Anderes verlassen: Gott lässt auch seine Kirche nicht im Stich. Die äußeren Strukturen mögen sich verändern. Unsere Volkskirche mag einmal untergehen. Die Zeichen stehen zumindest auf Zusammenbruch. Aber wenn es soweit kommen sollte, wenn es einmal eine evangelisch-lutherische Landeskirche in Bayern nicht mehr geben sollte, wird doch die Kirche nicht untergehen.

Wir mögen uns Sorgen wegen der Zukunft der Kirche machen. Aber der Herr der Kirche sorgt selber für sie. Vor 52 Jahren, im Jahr 1966 haben sich tausende von Christen in der großen Westfalenhalle in Dortmund versammelt. Sie machten sich Sorgen wegen der Zukunft der Kirche, berechtigte Sorgen. Irrlehren bedrohten die innere Substanz der Kirche. Wird sie in den Anfechtungen der modernen Zeit bestehen können? Sorgenvolle Gesichter der Versammelten. Da trat ein älterer Herr ans Mikrofon. Der sagte nur den einen Satz: "Christus spricht: 'Ich will mich meiner Herde selbst annehmen.'" Es war der berühmte Pfarrer und Evangelist Wilhelm Busch. Er reagierte mit diesem Wort auf die Sorgen der Christen, die dort zusammenkamen.

Das dürfen wir auch nie vergessen: Nicht wir retten die Kirche. Der Herr selbst wird sich seiner Herde annehmen. Darauf ist Verlass!

Amen