Predigtreihe IV – 26.05.2019

5. Sonntag nach Ostern, Rogate
Wochenspruch: Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.

Predigtwort: Johannes 16,23b-28(29-32)33

Predigt

Liebe Gemeinde,

ich muss gestehen, das war für mich jetzt schon eine sehr bewegende Zeremonie. Dabei hatte ich ursprünglich gedacht, diese Sache wäre eher eine Formalie. Gut, der Herr Dekan kommt, aber ansonsten -. Apropos Dekan, da fällt mir immer eine alter jüdischer Witz ein:

Wissen sie, was der Unterschied zwischen einem Rabbiner und einem Oberrabbiner ist? Der Rabbiner kennt die Gesetze, der Oberrabbiner die Ausnahmen.

Ja, für uns als Nikodemus-Kirche mit ihren vielen Aktivitäten, die außerhalb der Regel sind, ist es schon praktisch, einen Oberrabbiner zu haben, der auch die Ausnahmen kennt.

Aber zurück zu diesem Gottesdienst, der für mich bis jetzt so besonders war und gar nichts mit einem normalen, formalen Gottesdienst zu tun hatte. Dabei müsste ja eigentlich jeder Gottesdienst etwas Besonderes sein. Aber unsere Lebenswirklichkeit zeigt, dass sich sowas nicht durchhalten lässt. Etwas, das sich regelmäßig wiederholt, wird irgendwann normal, wird zur Gewohnheit und damit ist natürlich immer die Gefahr verbunden, dass die Sache verflacht. Die Wertschätzung eines Vorgangs, der ursprünglich mal was ganz Besonderes war, geht verloren.

Womit wir beim Thema des heutigen Sonntags wären. Der 5. Sonntag nach Ostern hat seit jeher den Namen „Rogate“, zu Deutsch: „Betet!“ Heute geht es also um das Gebet. Dazu hören wir Verse aus dem Johannes-Evangelium. Sie stehen im 16. Kapitel. Es sind Worte, die Jesus in seiner Abschiedsrede zu seinen Jüngern spricht:

23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.
24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.
25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.
26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde;
27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
33 Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Wie so oft im Johannes-Evangelium haben diese Worte eine Tiefe, welche man so beim Lesen und Zuhören in seiner Fülle nicht begreifen kann. Aber ein erster Eindruck bleibt doch.

Das Beten und Bitten scheint etwas ganz Besonderes zu sein. In dem Gebet scheint ein großes und tiefes Geheimnis zu stecken. Es ist wie ein Schatz, eine Schatztruhe, welche immer wieder neu geöffnet werden muss. Nur, zum Öffnen einer Schatztruhe braucht man einen Schlüssel. Hat man den verlegt, dann nützt einem der ganze Schatz nichts. Er ist zwar nicht verloren, aber er wird dann nur verstaubt in der Ecke eines Abstellraumes stehen. „Stimmt, da war mal was“, denkt man sich, wenn einem die Truhe beim Aufräumen wieder in die Hände fällt. „Ich weiß schon gar nicht mehr, was drinnen ist.“

Sie merken, ich beschreibe unser Gebetsleben, wenn es zur Routine geworden ist, wenn man nicht mehr an das glaubt, um was man gebetet und gebeten hat, wenn man also den Schlüssel verlegt hat. Kann man diesen Schlüssel wiederfinden? Und wie schaut der überhaupt aus? Auf diese Frage gibt uns unser Predigttext eine eindeutige Antwort. Hier steht:

Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.

In meinem Namen steht hier, also im Namen Jesus. Das ist der Schlüssel zum Vater. Nur mit dem „Namen Jesus Christus“ kann die Schatztruhe des Gebetes geöffnet werden.

Aber was bedeutet eigentlich diese Formulierung „im Namen von Jesus“? Wir kennen diese Redewendung noch von einer anderen Berufsgruppe: Im Gericht verkündigt der Richter das Urteil „im Namen des Volkes“. Und diese sprachliche Gemeinsamkeit wird sowohl in der Kirche als auch in der Justiz noch durch eine symbolische Äußerlichkeit unterstrichen.

Sie sehen mich heute das erste Mal im Talar. Ich bin ehrlich, ich hätte ihn nicht gebraucht, obwohl er schon was hermacht, wie ich jetzt feststellen muss. Aber in dem neuen Prädikantengesetz unserer Kirche steht eindeutig: Für den Prädikanten ist der Talar die Regel, finanzielle Gründe werden als Ausnahme nicht anerkannt. Warum tragen Pfarrer und Prädikanten Talare und Richter Roben? Warum diese schwarzen, schlichten und völlig unmodischen Gewänder?

Weil in der Justiz der Staat demonstriert, dass der Richter als Person völlig unwichtig ist. Dieser spricht das Urteil nicht als private Person im schicken Anzug, sondern „im Namen des Volkes“. Dieser Gottesdienst wurde nicht im Namen von Pfarrer Opitz, sondern „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ eröffnet. Wir Pfarrer und Prädikanten sind mit unseren persönlichen Meinungen oder Ansichten völlig unwichtig. Das hat hier niemanden zu interessieren. Unsere Aufgabe ist es, das Wort Gottes zu verkündigen. Und für die Wirksamkeit eines Gebetes, eines Reden mit dem Vater ist es offensichtlich entscheidend, dass dies im Namen Jesu geschieht.

Damit bringt Jesus selbst unser Anliegen, unsere Bitte, unser Klagen, ja unsere Verzweiflung vor seinen Vater. Somit wird unser Reden mit dem Vater im Namen Jesu für uns unwahrscheinlich befreiend. Ein Gespräch mit dem Vater, mit dem heiligen Gott im Himmel, ist dadurch nicht erst möglich, wenn wir auch heilig, rechtschaffen oder sündlos wären. Nein, wir dürfen zu dem Vater kommen und sagen: Mein Vater, ich bin weder heilig noch schuldlos, aber Jesus ist es! Deswegen komme ich zu dir im Namen Jesus. Dass das neu ist, dass es das vor Jesus noch nicht gab, betont Jesus gleich nochmal im nächsten Vers. Dort heißt es:

Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Und fährt dann mit einer unglaublichen Verheißung fort:

Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.

Ein Problem des Betens und besonders des Bittens ist ja oft der Zweifel oder der Unglaube, dass das Gebetsanliegen nicht gehört und somit nicht in Erfüllung gehen könnte. Und daraus ergeben sich einige Fragen. Denn hier steht ja, bittet, so werdet ihr empfangen.

Was ist, wenn man nicht empfängt? Und das erleben wir ja auch oft genug, da müssen wir uns auch nichts vormachen oder schönreden. Stehe ich dann falsch? Sind meine Wünsche und Anliegen dann nicht aufrichtig? Oder bete ich dann doch nicht richtig, sodass Gott mich nicht hören kann oder will? Denn wenn ich diese Verse ernstnehme, dann muss doch etwas passieren, denn hier steht eindeutig: Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Wünsche erfüllt werden.

Und, ist es ihnen aufgefallen? Genau, das steht eben nicht hier. Die Antwort Gottes auf unsere Bitte ist nicht die Erfüllung unseres Wunsches. Sondern es steht hier:

Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.

Freude vollkommen sei, Wunsch geht in Erfüllung, das ist doch fast das Gleiche. Nein, das ist es eben nicht. Und genau das durfte ich vor wenigen Monaten erfahren.

Im vergangenen Jahr hatte ich gesundheitliche Probleme, die dazu führten, dass ich über den Jahreswechsel auf Kur fahren musste, konnte, durfte, nennen sie es, wie sie wollen. Und jede Kur hat natürlich auch ein Ende und der Alltag holt einen wieder ein. Die Arbeit fiel mir sehr schwer, gefühlt noch schwerer als vor der Kur. An einem Vormittag war es auf der Arbeit besonders schlimm, sodass ich meinen ganzen Frust über die vermeintlich sinnlose Kur in Form eines Gebetes in mein Tagebuch schrieb. (Ich habe das jetzt nochmal nachgelesen, da hatte sich schon viel Frust angesammelt.) Unmittelbar danach stand ich von meinem Schreibtisch auf und ging in die Pause zu meinen Kollegen. Ich hatte keine Lust auf Unterhaltung, habe mich dann doch mit einem neuen, mir unbekannten Praktikanten unterhalten. Es stellte sich heraus, dass dieser junge Mann aus meinem kleinen Kur-Ort stammte. Und nicht nur das: der Mann ist Christ und kam aus der gleichen Gemeinde, in der ich während meines Kuraufenthaltes immer die Gottesdienste besuchte. Wissen sie, was das bei mir bewirkte? Zuerst Verblüffung, dann ungläubiges Staunen über so viele Zufälle auf einmal und schließlich war es Freude, reine Freude!

Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.

Die Unterhaltung mit dem netten neuen Kollegen hatte aber auch gar nichts mit meinem Gebetsanliegen zu tun. Natürlich wurden meine Probleme mit dieser Begegnung nicht einfach weggezaubert. (Zur Beruhigung, die Probleme sind mittlerweile auch weniger geworden und ich musste lernen nach einer Kur nicht zu ungeduldig mit mir selbst sein.) Aber das alles ist ja auch nicht der Punkt. Der Punkt ist: Gott hat mein Gebet erhört. Und als Antwort, und diese war so unmittelbar wie selten in meinem Leben, durfte ich etwas empfangen, mit dem ich am wenigsten gerechnet habe: Freude, reine Freude.

Bitte verstehen sie mich richtig. Diese kleine Geschichte ist nicht die Regel, mit der Gott auf unsere Bitten antwortet und vermutlich wurde mir dieses Erlebnis nur deswegen geschenkt, damit ich ihnen heute diesen Vers auslegen kann. Und man muss ja auch bedenken: Jesus spricht hier von der vollkommene Freude.

Die Freude, die ich da erlebte war für mich persönlich sehr überschwänglich, aber sie verging wieder. Die vollkommene Freude, von der Jesus hier spricht, werden wir tatsächlich erst am Ende unseres Lebens, also in der Ewigkeit erleben dürfen.

Denn in der Welt, also hier auf dieser Erde, in eurem Alltag, da habt ihr Angst. Da ist Jesus total nüchtern. Da macht er uns überhaupt nichts vor. Das Vermächtnis, das Jesus in seiner Abschiedsrede seinen Jüngern hinterlässt, ist nicht das Paradies hier auf Erden, ist nicht die Erfüllung unserer Wünsche. Jesus Vermächtnis für uns hier in dieser Welt ist etwas anderes: es ist der Trost. Denn Jesus sagt am Ende unseres Predigtabschnittes diesen mächtigen Satz:

In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Jesus ist stärker als alles, was in dieser Welt Angst machen kann. Unser Vater im Himmel ist durch das Gebet im Namen Jesus in ständiger Rufweite, er ist ständig zu erreichen. Von dieser Tatsache geht ein gewaltiger Trost aus!

Friedrich von Bodelschwingh erzählte in einer Predigt über unseren Bibelabschnitt eine Begebenheit aus seiner Kindheit. Nach dem Einschlafen waren seine Schwester und er durch ein Geräusch wieder aufgeweckt worden. Die Kinder waren nun hellwach und saßen aufrecht im Bett. Es war ihnen unheimlich zumute. Schließlich beschlossen sie, ins Wohnzimmer zu gehen. Sie mussten durch zwei Stuben hindurch, die finster und kalt waren. Voller Angst fassten sich beide an der Hand und gingen bis ins Wohnzimmer. Bodelschwingh erzählt weiter: „Als ich dann aber die Tür auftat und der helle Schein aus der warmen Stube auf unsere Gesichter fiel und ich den Vater am Tisch sitzen sah, als er seinen Arm nach mir ausstreckte und mich auf seinen Schoß setzte, da war auf einmal alles wieder gut. ›Was wolltest du denn, kleiner Mann?‹ sprach der Vater und strich dem kleinen Jungen übers Haar. ›Vater‹, antwortete ich, ›Vater,‹ und dicke Tränen kullerten übers Gesicht, ›ich wollte ja nur zu dir.‹“

Übertragen auf das Gebet fährt dann Bodelschwingh fort: »Beten heißt: Sich aus der Angst der Welt aufmachen und zum Vater gehen. Beten heißt: Sehen, wie die Tür sich öffnet, aus der das ewige Licht auf unsere arme, zitternde Gestalt fällt. Beten heißt: Sein Haupt neigen, so dass die Hand des Vaters, die gute, starke Hand sich drauflegen kann. Kind, was wolltest du? Vater, ich wollte bloß zu dir! Amen.