Bayreuth, den 9.6.19 Johannes 14,15-19

Liebe Gemeinde! 

Beim Einkaufen erzählt die Verkäuferin der Pfarrerin: "Die kleine Elke hatte heute verweinte Augen. Ich fragte sie, was los sei. Sie sagte: 'Heute morgen hat mich meine Mama im Stich gelassen und ist zu ihrem Freund gegangen!'"

Wie viel Verzweiflung spricht aus diesen Worten. Da bricht für ein kleines Mädchen die Welt zusammen. Was muss sie innerlich verkraften! Und wird sie es können, ohne seelischen Schaden zu nehmen?

Wie schrecklich ist das, wenn ein Kind sagt: "Meine Mutter hat mich im Stich gelassen." Aber selbst, wenn so etwas geschehen kann, selbst wenn wir in Situationen kommen, in denen wir das Gefühl haben, wir sind von allen verlassen, auch von Gott - die Zusage Jesu an seine Jünger in unserem Predigtabschnitt steht dagegen: "Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen. Ich komme zu euch."

Er lässt uns nicht im Stich. Er wendet sich nicht von uns ab, sondern er wendet sich uns zu. Er starb für uns am Kreuz und schrie in seiner Todesnot: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Seitdem braucht kein Mensch mehr in dieser Furcht zu leben, von Gott verlassen zu sein. In den durchbohrten Händen Jesu wird die Liebe Gottes sichtbar. Nein, nie wird sich Jesus von mir abwenden.

Das kann man nicht oft genug sagen. Denn in jedem menschlichen Herzen steckt der Urzweifel, das Urmisstrauen, ob Gott es wirklich gut mit einem meint, ob er immer bei mir und für mich ist.

In einer sechsten Klasse stellte man mir die kritische Frage: „Warum ist denn Jesus heute nicht mehr bei uns wie bei den Jüngern? Warum geschehen heute nicht mehr die Wunder wie zur Zeit Jesu?“ Dahinter steckt ja die Anfrage: Hat uns Gott jetzt verlassen? Oder stimmt das überhaupt nicht, was die Bibel uns berichtet?

Beide Fragen enthalten ja falsche Behauptungen. Es ist nicht richtig, dass die Wunder Jesu heute nicht mehr geschehen. Und es stimmt auch nicht, dass Jesus nicht mehr bei uns wäre. Als sichtbare Gestalt ist er seit seiner Himmelfahrt natürlich nicht mehr da. Aber unsichtbar ist er durch den Heiligen Geist anwesend. Jesus bezeichnet ihn hier als den Tröster. Man kann das griechische Wort, das hier steht, auch als Beistand oder Begleiter übersetzen.

Die Jünger standen ja nach der Himmelfahrt von Jesus vor dem gleichen Problem wie wir. Sie sahen ihn nicht mehr. Nun mussten sie darauf vertrauen, dass er unsichtbar bei ihnen blieb. Aber woher wussten sie es? Jesus versucht es ihnen hier zu erklären.

Seine Worte stammen aus den so genannten Abschiedsreden Jesu. Am letzten Abend vor seinem Tod gab Jesus den Jüngern sein Vermächtnis mit. Und vor allen Dingen will er sie auf eine neue Situation vorbereiten. Er kann nicht mehr sichtbar bei ihnen bleiben. Sondern er muss zu seinem Vater im Himmel zurück, um von dort aus jedem überall gleich nah sein zu können. In seiner irdischen Gestalt war ihm das ja nicht möglich. Aber nach seiner Himmelfahrt konnte er durch seinen Geist jedem, der an ihn glaubt, gleich nahe sein. Der Geist Gottes wird seine Stelle einnehmen.

Darum geht es ja an Pfingsten. Jesus ist zwar nicht mehr sichtbar auf dieser Erde. Aber er ist nicht einfach in einer anderen Dimension verschwunden. Sondern er ist weiterhin spürbar und erfahrbar durch seinen Geist. Aber dieser Geist Gottes muss in das Leben eines Menschen hinein.

Ich fürchte, dies ist bei vielen getauften und konfirmierten Christen unserer Tage nicht geschehen. Sie sind arm dran. Denn sie haben bestenfalls nur einen geschichtlichen Jesus, der einmal gelebt hat und der einmal wiederkommen wird. Aber sie haben keinen lebendigen Jesus, der in ihr gegenwärtiges Leben eingreift, ihnen hilft, sie mahnt und tröstet. Mit anderen Worten: Es fehlt ihnen der Heilige Geist, der in ihren Herzen wohnt, der Geist der Wahrheit, wie er hier bezeichnet wird. Mit dem Heiligen Geist kommt Jesus selbst in mich hinein. Vielleicht ist es uns beim Vorlesen aufgefallen: Einmal heißt es in unserem Predigtabschnitt, dass der Tröster kommen wird und weiter unten, dass Jesus selbst zu seinen Jüngern kommen wird. Der Tröster ist der Geist Jesu Christi.

Begreifen wir, wie aufregend das ist? : Jesus, der damals mit den Jüngern über die Erde ging, mit ihnen redete und Wunder tat, - der will auch heute noch mit uns durchs Leben gehen, mit uns reden und helfend eingreifen.

Wir sehen und merken etwas, was die Menschen, die nicht glauben, nicht sehen. Sie sehen den Geist der Wahrheit nicht, heißt es in unserem Predigtabschnitt. Der Heilige Geist öffnet einem gewissermaßen die Augen für die neue Welt Gottes. Wer den Heiligen Geist nicht hat, der sieht sie gar nicht.

Man braucht schon den rechten Blick, um die Wirklichkeit Gottes wahrzunehmen. Vielleicht kennen Sie die "3D"- Bilder. Vor einiger Zeit sind hunderttausende von Büchern mit diesen Bildern verkauft worden. Auf den ersten Blick wirken sie wie ein Gewirr von Linien und Farben. Aber mit einem bestimmten Blick konnte man gewissermaßen durch diese Bilder hindurchschauen. Dann entdeckte man auf einmal eine plastische dreidimensionale Figur. Faszinierend.

So ähnlich ist es mit dem Heiligen Geist. Er schenkt uns den rechten Blick, ja Durchblick, so dass wir eine ganz andere Dimension wahrnehmen, die Dimension des Gottesreiches.

Der Geist Gottes bringt uns Jesus ganz nahe. Nur der Heilige Geist kann uns das Wort der Bibel oder einer Predigt lebendig machen, so dass wir merken, dass Gott persönlich zu uns spricht.

Das Wort Gottes kann ja ganz verschieden wirken. Für die einen ist es tödlich langweilig oder nur ein interessanter Gedankenanstoß. Die anderen hingegen werden bewegt, getroffen und getröstet. So kann wirklich auch durch eine Gottesdienstgemeinde eine unsichtbare Trennlinie gehen. Die einen sehen das Leuchten des Gottesreiches, weil sie den Geist Gottes haben. Die anderen sehen es nicht, weil sie den Geist Gottes nicht haben. Das heißt nun nicht, dass diese bessere Menschen wären. Es ist eher das Gegenteil der Fall. Dazu gleich mehr.

Der Geist Gottes, so sagt Jesus hier in unserem Predigttext, ist der Geist der Wahrheit. Das heißt, er zeigt mir die Wahrheit über mich selbst und über Gott.

Geht das überhaupt? Eine moderne Ansicht lautet ja: Die Wahrheit über mich oder gar über Gott kann ich gar nicht erkennen. Jede Religion oder Philosophie gibt nur Meinungen über die Wahrheit wider oder bestenfalls Teilaspekte der Wahrheit.

Aber das stimmt nicht. Der Geist Gottes führt uns in die Wahrheit. Er bringt Licht in ein dunkles, ungeordnetes Leben. Er zeigt mir meine Verfehlungen auf, meine ganze sündhafte Vergangenheit. Der Geist der Wahrheit befreit mich von der Lüge, an allem Unglück in meinem Leben seien die anderen schuld. Er bringt mich vielmehr zu der Erkenntnis, dass ich auch nicht besser bin als andere Menschen, sondern jemand, der alle Gebote Gottes vielfach übertreten hat und deshalb seine gerechte Strafe verdient hätte.

Der Geist Gottes bringt mir auch den nahe, der von sich gesagt hat: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich", also Jesus Christus. Er zeigt mir Jesus als den Retter, als den, der mir meine Sünde vergibt und mich auch zu einem anderen Menschen macht.

Ich brauche nur eines zu tun: Mich dieser Wahrheit aussetzen, mich ihr stellen, nicht von ihr davonlaufen. Wer ehrlich und unvoreingenommen sich auf die Botschaft der Bibel einlässt, der wird auch merken, dass sie die Wahrheit über ihn und über Gott sagt. Wer Jesus vertraut, wird erfahren, dass es wahr ist, was er von sich sagt, nämlich, dass er Sünde vergibt und in ein Leben hineinkommt, um es zu verändern.

Wer Jesus so erfahren hat, in dem entsteht auch eine große Liebe zu dem, der ihn ja zuerst geliebt hat. Und dann will er ihm auch gehorsam sein. "Liebt ihr mich, so werdet ihre meine Gebote halten", sagt Jesus zu seinen Jüngern.

Man kann Jesus nicht begutachten wie die Großen der Welt- und Geistesgeschichte Napoleon, Goethe oder Luther. Die kann man würdigen, kritisieren, loben, aber lieben muss man sie deshalb noch lange nicht. Bei Jesus kommt alles darauf an, dass wir ihn lieben. Denn er ist nicht nur ein Großer der Weltgeschichte, er ist der Sohn Gottes, der Erlöser der Menschheit.

Jesus lieben können wir nur, wenn wir merken, das wir seine Liebe brauchen. Wenn ich begreife, da ist einer da, der mich nicht wegstößt, auch wenn ich merke, wozu ich fähig bin, wenn mir meine eigene Lieblosigkeit aufgeht. Jesus lieben kann ich, wenn ich merke, er hat mich lieb, auch wenn ich Schuld auf mich geladen habe, er vergibt mir, auch wenn meine Sünde noch so groß ist. Wenn ich von dieser Liebe Jesu zu mir überwältigt werde, dann kann ich gar nicht anders, als ihn auch wiederlieben.

Wie will ich den nicht lieben, der mir den wunderbaren Trost der Sündenvergebung gibt? Der größte Trost, den ein Mensch erfahren kann, ist der: Gott will nicht nichts von mir wissen, weil ich seinen Ansprüchen nicht genüge, weil ich zu schlecht bin. Sondern er tröstet mich durch den Zuspruch der Vergebung. Eines der schönsten Worte Jesu ist dies: "Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben." Er sagte es einem gelähmten Mann, bevor er ihn heilte. "Jesus nimmt die Sünder an, saget doch dies Trostwort allen" heißt es in einem unserer Gesangbuchlieder. Jesus vergibt. Ja, noch mehr: Unsere Sünden hindern ihn nicht daran, uns zu gebrauchen. Sünder können Gutes für ihn und für ihre Mitmenschen tun, gerade sie.

Ein tröstlicher Text aus Sri Lanka hat diese Wahrheit in folgende Worte gefasst: " Falls du mal wieder denkst, Gott kann jemanden wie dich nicht gebrauchen, dann denke daran: Noah war betrunken, Abraham war zu alt, Sara hat über Gott gelacht. Jakob hat gelogen und betrogen. Lea war hässlich. Josef wurde misshandelt. Mose stotterte. Gideon hatte Angst. Simson war langhaarig und ein Frauenheld. Rahab eine Hure, David zu jung, David ein Ehebrecher und Mörder. Elia hatte Selbstmordabsichten. Jona haute ab vor Gott. Noomi war Witwe. Hiob machte Bankrott. Petrus verleugnete Jesus dreimal. Marta machte sich um alles Sorgen. Die Samariterin hatte lauter gescheiterte Beziehungen. Zachäus war zu klein, Paulus zu religiös, Timotheus hatte Magenprobleme und Lazarus - war sogar tot.

Also keine Entschuldigungen: Gott kann deine vollen Möglichkeiten ausschöpfen. Außerdem: Du bist nicht die Botschaft, du bist nur der Bote!"

Gott kann dich gebrauchen, auch und gerade mit deinen Ecken und Kanten, deine Fehlern und Macken, deinen Unzulänglichkeiten und Sünden. So hat er es schon immer gemacht. So wird er es auch mit dir machen. Er hat immer Schwache gebraucht, damit er ihnen seine Kraft geben kann.

Der Geist Gottes, so haben wir nun also gehört, schenkt uns die Gewissheit, dass Jesus bei uns ist und wir nicht einsam und verlassen sind. Er zeigt uns die Wahrheit über uns, dass wir Menschen sind, die Vergebung brauchen. Er schenkt uns den Trost der Sündenvergebung. Und er gibt uns die Liebe zu Jesus Christus ins Herz hinein.

Um diesen Geist Gottes darf man bitten. Man darf und soll sprechen: „Schenke mir deinen Geist, der mich dein Wort verstehen lässt, der mir den Trost der Vergebung schenkt und der mir die Liebe zu deinem Sohn Jesus Christus gibt.“

Wer bittet, der empfängt, lesen wir in der Bibel. Jesus hat einmal das ermutigende Wort gesagt: „Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, der ihm eine Schlange für den Fisch biete? ... Um wie viel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“

Der Heilige Geist ist Gottes beste Gabe. Denn damit gibt er sich uns selbst. Heute an Pfingsten ist eine gute Gelegenheit, ganz neu oder zum ersten Mal ganz bewusst darum zu bitten.

Amen