Bayreuth, den 23.06.2019 - Johannes 3,1-16

Liebe Gemeinde! 

Früher hat man in Predigten häufiger als heute über den Himmel gesprochen und über die Frage, wie man da hineinkommt. Heute geht es in Predigten mehr über das Diesseits. Wohl aus Angst, man könnte auf ein ungewisses Jenseits vertrösten. Das Pendel ist in die andere Richtung ausgeschlagen. Aber wir wissen ja, dass wir endliche Wesen sind und wollen uns nicht damit abfinden. Wir sehnen uns nach Ewigkeit. Und die Bibel greift diese Sehnsucht an vielen Stellen, auch im heutigen Predigttext auf und gibt als Antwort: Ja, es gibt den Himmel.

Und so möchte ich mit einer Frage beginnen. Sie lautet: Wer von Ihnen, wer von euch, möchte in den Himmel kommen? Sie müssen jetzt nicht wie in der Schule den Finger heben. Wer von Ihnen, von euch, möchte in den Himmel kommen? Ich gehe davon aus, dass wohl alle hier mit "Ja" antworten würden. Und vielleicht sind Sie ja heute deshalb im Gottesdienst, weil Sie meinen, so ein Besuch in der Kirche trägt dazu bei, um in den Himmel zu kommen.

Zweite Frage: Wer von Ihnen ist sich sicher, in den Himmel zu kommen? Ich vermute, die Antworten auf diese Frage dürften ganz verschieden ausfallen, zwischen ja und nein auch Antworten die eine Unsicherheit ausdrücken, wie "Ich hoffe" oder "Ich denke schon".

Unser Predigtabschnitt berichtet von Nikodemus. Ich denke, er war sich sicher, in den Himmel zu kommen. Er war in der Gesellschaft hoch angesehen: Mitglied des Hohen Rates, also des jüdischen Parlamentes, ein kluger Kopf und dazu noch fromm. Nikodemus gehörte der religiösen Gruppe der Pharisäer an. Unter ihnen gab es viele, die waren nur scheinfromm. Es ging ihnen gar nicht um Gott sondern um ihre Ehre. Sie wollten vor den Leuten gut dastehen. Deshalb waren sie auf Jesus neidisch. Denn er hatte mehr Zulauf als sie. Deshalb hassten sie ihn und wollten ihn beseitigen.

Nikodemus war nicht so. Er hielt sich nicht nur als Pharisäer genau an die jüdischen Gesetze. Sondern er achtete auch Jesus. Er war für Nikodemus ein besonderer Mensch, einer der Wunder tat wie kein Anderer, einer, mit dem zweifellos Gott war. Der Pharisäer bewunderte Jesus, beginnt das Gespräch mit einem Kompliment. Nikodemus war im besten Sinne religiös. Und doch fehlte ihm etwas. Was das war, machte ihm Jesus in dem Gespräch mit ihm klar: "Es sei denn, dass jemand von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen". Und er kann auch nicht hineinkommen.

Mit diesen Worten will Jesus dem Nikodemus klar machen: Du weißt viel. Aber dein Wissen über Gott und die Bibel sind kein Garantieschein dafür in den Himmel zu kommen. Der lebendige Glaube ist keinem Menschen angeboren. Dir auch nicht. Dazu musst du neu geboren werden Du gehst oft zum Gottesdienst in den Tempel, aber in deiner ganzen traditionellen Frömmigkeit fehlt das Entscheidende. Du hast keine Freude und Gewissheit, ein Kind Gottes zu sein.

Wie Nikodemus geht es vielen Menschen. Sie haben das ganze kirchliche Programm mitgemacht: sind getauft, haben den Kindergottesdienst besucht, haben konfirmiert, zahlen ihre Kirchensteuer, gehen ab und zu in den Gottesdienst oder gar regelmäßig oder auch nicht. Vielleicht beten sie auch. Aber ihnen fehlt die Freude und Gewissheit, ein wiedergeborener Christ zu sein – und mit Jesus Christus können sie auch nichts Richtiges anfangen.

Der Liedermacher Jörg Swoboda hat einmal einen solchen Mann kennengelernt. Dieser hatte einen Unfall, lag eine Woche im Koma und ist wieder aufgewacht. Er redet von Schutzengeln, die ihn wohl bewahrt haben. Aber Gott ist für ihn ein Fremdwort. Am Schluss des Gespräches verabschiedet sich Swoboda mit den Worten: „Ich wünsche ihnen, dass sie noch andere Christen treffen und dass sie selbst Christ werden.“ “Ich bin ja Christ“, sagt er fast entrüstet. Swoboda fragt weiter: „Haben sie zu Jesus Christus eine persönliche Beziehung?“ „Eher nicht“, gesteht er ein. „Wie können sie denn ein Christ ohne Christus sein?“ ist die letzte Frage des Besuchers zum Abschied.

Christsein ohne Christus, ohne eine lebendige Beziehung zu ihm, gibt es nicht. Manche Leute sagen zwar, und ich habe auch solche Sätze schon gehört: "Was sollte Gott schon gegen mich haben? Ich bemühe mich ein guter Christ zu sein. Damit muss doch Gott zufrieden sein.“

"Ich bemühe mich, ein Christ zu sein!" Das klingt auf den ersten Blick bescheiden. Aber es ist die falsche Antwort auf die Frage: "Sind Sie ein Christ?" Entweder bin ich es oder ich bin es nicht. Wenn mich jemand fragen würden: "Sind Sie verheiratet?" und ich würde antworten: "Ich bemühe mich!" wäre das auch die falsche Antwort, abgesehen davon, dass ich dann von meiner Frau etwas zu hören bekommen würde, - zurecht! Denn auf diese Frage kann ich nur mit "Ja!" antworten. Ja, ich habe einmal auf dem Standesamt und in der Nikodemuskirche "Ja!" gesagt. Seitdem bin ich ein verheirateter Mann.

Beim Christsein ist das ähnlich. Ich kann mich bemühen ein guter Christ zu sein, kann versuchen, mich an die 10 Gebote zu halten, kann versuchen anständig zu leben, kann beten und in die Kirche gehen und bin trotzdem kein wiedergeborener Christ. Wer so lebt, könnte genauso ein Muslim sein.

Einmal kamen zu mir Ethikschüler, 3. Klasse, mit ihrer Lehrerin in die Nikodemuskirche. Das sind die Kinder in einer Schule, die nicht in den Religionsunterricht gehen. Und die wollten nun etwas über den evangelischen Glauben wissen. Es waren fast alle Muslime und es wurde ein munteres Gespräch.

Eine Schülerin, Muslima, erklärte mir, was man ihr gesagt hat, wie man in den Himmel hineinkommt. Für jeden Menschen gibt es gewissermaßen zwei Waagschalen. Auf die eine werden die guten Taten gelegt, auf die andere die schlechten. Wenn die Waagschale mit den guten Taten schwerer ist, lässt Allah einen in den Himmel. Und sie wollte nun wissen, was der evangelische Glaube zu der Frage sagt, wie man in den Himmel hineinkommt.

Ich sagte ihr in etwa Folgendes: Niemand kommt in den Himmel wegen seiner guten Taten. Denn die bösen Taten sind immer mehr wie die guten. Außerdem wäre das eine höchst unsichere Sache. Woher weiß ich denn, ob ich genügend gute Taten vorweisen kann? Vielleicht denkt auch Gott ganz anders von meinen guten bzw. bösen Taten als ich. Vielleicht meint er, dass meine guten Taten gar nicht so gut sind wie ich denke und die bösen Taten viel schwerer wiegen als ich meine. Das alles weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass Jesus für meine Sünde am Kreuz gestorben ist. Der hat mich lieb. Und der kann meine Sünden vergeben. Ich habe ihr gesagt, dass man Sünde bekennen kann, bei einem Pfarrer zum Beispiel. Und der spricht einem die Vergebung seiner Sünden zu. "Sind dann die Sünden wirklich vergeben?" wollte jemand wissen. "Natürlich", erwiderte ich. "Ist ja cool", erwiderte daraufhin einer der jungen Muslime.

Offensichtlich hatten sie noch nie davon gehört, dass man den Himmel sich nicht durch seine guten Taten verdienen kann. Deshalb ihre überraschte Reaktion. Der Himmel kann immer nur geschenkt werden.

Dieses Nichtwissen ist nun nicht verwunderlich. Wer hätte ihnen denn schon sagen sollen, wie man in den Himmel hineinkommt? Verwunderlich ist allerdings, dass viele Getaufte und Konfirmierte in Deutschland nicht wissen, wie man in den Himmel kommt. Vielleicht hat man es ihnen auch nicht erklärt, weder zu hause, noch im Religionsunterricht oder im Konfirmandenunterricht.

Luther hat es auch nicht gewusst. Auch er bemühte sich, entsprechend der Lehre seiner Kirche, ein guter Christ zu sein. Es dauerte, bis er erkannte: Solches Bemühen reicht eben nicht aus. Was hatte er sich bemüht, ohne Sünde zu leben, und hat sich umso tiefer in sie verstrickt. Sünde, das sind ja nicht nur die Taten, das sind auch die Worte, die ein Mensch gebraucht und die Gedanken, die er in seinem Herzen trägt. Jeder Mensch ist durch und durch verseucht von der Sünde.

Das war eine ganz gar nicht angenehme Erkenntnis für ihn. Er wäre fast verzweifelt, wenn er nicht das Evangelium, die frohe Botschaft von der Gnade Gottes, kennengelernt hätte.

Kurz vor seinem Tode schreibt er davon, wie dies geschah. Er beschäftigte sich mit dem Römerbrief des Apostels Paulus. Paulus redet in diesem Brief immer wieder von der Gerechtigkeit Gottes. Er verstand zunächst nicht, was er damit sagen wollte. "Denn", so Luther, "die Worte ‘gerecht’ und ‘Gerechtigkeit Gottes’ wirkten auf mein Gewissen wie ein Blitz; hörte ich sie, so entsetzte ich mich: Ist Gott gerecht, so muss er strafen." Aber da stieß er auf die Stelle im Römerbrief, Kapitel 1, Vers 17. Dieser Vers packte ihn und ließ ihn nicht mehr los. Er veränderte sein ganzes Leben. Es waren nur ein paar Worte: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben.“ Luther begriff: Ich brauche mich nicht mehr abzumühen und abzuquälen, um Gott gnädig zu stimmen. Gott will in erster Linie etwas ganz anderes von mir. Ich darf glauben, dass Gott mich gerecht gemacht hat, weil sein Sohn Jesus Christus für mich am Kreuz gestorben ist. Gott schenkt mir seine Gerechtigkeit durch den Glauben an seinen Sohn. Da wurde er fröhlich. "Ich fühlte mich" so schreibt Luther, "völlig neu geboren und als wäre ich durch die geöffneten Pforten ins Paradies eingetreten." Was er, eben seine persönliche Wiedergeburt, in diesem Moment erlebt hatte, hat er später in einem seiner Lieder versucht auszudrücken. Es heißt: "Nun freut euch, lieben Christen G’mein." Da schildert er zunächst seine Verzweiflung, in die er hineingeriet, als er erkannte, dass die Sünde sein Leben in Besitz genommen hatte. Und dann drückt er seine Freude über die Erkenntnis der Gnade Gottes aus.

Ich habe mich selber jahrelang mit der Frage herumgequält, ob ich ein wiedergeborener Christ bin oder nicht, eben weil ich mich anhand von bestimmten Fragen prüfen wollte: "Habe ich…?" oder "Bin ich…?" Die Antworten auf meine Selbstprüfung lauteten immer: Zu wenig oder manchmal ja, manchmal nein. Wer sich mit sich selbst beschäftigt und andauernd den geistlichen Puls misst, kommt nicht zu der Gewissheit, dass Gott ihn lieb hat und dass er einmal in den Himmel kommt.

In der Geschichte von Jesus und Nikodemus steht in Vers 16: "So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen (= einzigen) Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen sondern das ewige Leben haben." Das Entscheidende ist also der Glaube. Und Glaube heißt wegschauen von sich selber, von seinen Fehlern, Sünden und auf Jesus schauen, der mich so unendlich liebt, dass er sein Leben für mich dahingab, für mich sündigen Menschen und auch heute noch unperfekten Christen. Man kann es auch so formulieren: Die Wiedergeburt der ganzen Menschheit ist am Kreuz passiert. Dort ist die vollkommene Erlösung passiert. Dieses objektive Geschehen brauchen wir nur im Glauben zu "nehmen" , für sich selbst zu akzeptieren: Ja, auch ich bin einer, für den Jesus gestorben ist. Auch ich gehöre zu denen, die das ewige Leben haben.

Ein ewiges Leben, das übrigens jetzt schon beginnt, wenn ich an Jesus glaube. Der Himmel ist gewissermaßen offen. Und ich weiß: Dort im Himmel ist kein ferner Weltenlenker, kein an mich uninteressiertes höchstes Wesen sondern ein mich liebender Vater, der mir immerzu Gutes tun kann. So wird Beten ein Reden mit diesem Gott. Es ist nicht ein Aufsagen von vorformulierten Gebeten sondern ein persönliches Gespräch mit ihm. Und beim Bibellesen oder Gottesdienstbesuch entdecke ich voller Staune, dass da Gott mit mir redet, mit mir ganz persönlich redet. Ein Mann erzählte: Er konnte erst so richtig beten, als er ein wiedergeborener Christ wurde, als er eine persönliche Beziehung zu Jesus bekam.

Ein Stück des Himmels ist jetzt schon da, wie zum Beispiel die Freude darüber, dass Jesus mir meine Sünden vergeben hat, die Liebe zu ihm, aber auch die Trauer darüber, dass ich immer noch sündige, obwohl ich es gar nicht will. Wiedergeborene Christen sind keine perfekten Menschen. Auch sie machen noch Fehler, oft sogar schlimme Sünden. Aber es tut ihnen immer wieder leid. Sie bitten immer wieder um Vergebung und erhalten sie auch. Auch im Versagen sind Christen anders. Denn sie können Buße tun, sie können immer wieder zu einem barmherzigen Gott umkehren, der sie trotzdem lieb hat und es auch einmal schafft, sie von allen bösen Neigungen und Charaktereigenschaften zu befreien.

Dieses "Nehmen" der Vergebung ist kein einmaliger Akt sondern muss immer wieder geschehen. Immer wenn ich dies tue, kann ich wieder frei durchatmen und kriege den richtigen Blick: Ach ja, so ist das. Es hängt nichts an mir, es hängt alles an Jesus. Er hat alles getan, was ich brauche, um in den Himmel zu kommen. Das darf ich immer wieder glauben. Das macht mich froh. Und so komme ich in den Himmel hinein.

Amen