Bayreuth, den 30.6.19 Jesaja 55,1-5

Liebe Gemeinde!

Marktschreier. Die Jüngeren unter uns werden sie wohl kaum mehr gesehen und vor allen Dingen gehört haben. Man findet sie immer noch auf großen Märkten, wo sie mit lauter Stimme ihre Waren anbieten. Je origineller und unterhaltsamer sie ihre Produkte anpreisen, desto größer die Menschenmenge, die um ihre Stände steht, sich amüsiert und auch die angebotenen Waren kauft. Zur Zeit sind die besten und lautesten ja hier in Bayreuth. Unter anderem Wurst-Achim. Er ist der lauteste Marktschreier der Welt. Ein Presslufthammer bringt es auf 100 Dezibel. Wenn aber Achim seine Würste anpreist, kommt er locker auf 110 Dezibel.

Es geht auch moderner, wie am Times Square in New York, dieser berühmten Kreuzung am Broadway in New York. Da schreit keiner. Aber die meterhohen Leuchtreklamen an den Fassaden der Hochhäuser springen einem in die Augen. So habe ich es vor einigen Wochen selber staunend gesehen. Das "Epizentrum der Outdoor-Werbung" nennt man den Times Square, das "Herz der Welt", sagen viele Amerikaner. Vielleicht haben sie sogar recht. Das Herz unserer Welt ist ja der Konsum. Und auf dem Times Square hört man den Herzschlag dieser Welt besonders laut. Unglaublich viel Geld wird hier in phantasievolle Werbung investiert, die nur ein Ziel hat: Dass ein bestimmtes Produkt gekauft wird oder eine bestimmte Veranstaltung besucht wird.

Keiner unter uns würde wohl im Traum darauf kommen, dass auch Gott wie ein Marktschreier handelt. Es geht ihm wie der Werbung auf dem Times Square um maximale Aufmerksamkeit für das, was er anzubieten hat. Er ist sich nicht zu schade, eindringlich und mit lockenden Worten auf sein einzigartiges Angebot aufmerksam zu machen. Es mag uns ungewöhnlich und befremdlich vorkommen. Aber genauso schildert der Prophet Jesaja Gott. Ich lese als Predigttext für den heutigen Sonntag Jesaja 55, Vers 1 bis 5.

Hier redet Gott selber durch den Mund des Propheten. Jesaja rührt hier für Gott die Werbetrommel. "Kommt! Kauft ein!" so ruft es der Prophet seinen Zuhörern zu. Ist das nicht irgendwie peinlich? Hat Gott das nötig, dass man für ihn wirbt wie für ein bestimmtes Getränk etwa? Hat er das nötig? Er hat es sicherlich nicht nötig. Er bleibt Gott, ob jetzt nun einer oder 5 Milliarden an ihn glauben. Aber wir haben es nötig. Weil nur ein Leben mit ihm ein wahres Leben ist. Weil ein Leben sinnlos wäre, wenn man nicht das Angebot seiner Liebe annimmt.

Gott will, dass wir für das, was er anzubieten hat, werben. Dass wir das tun, ist heute sogar wichtiger als in früheren Zeiten. Die Zeiten sind in unserem Land ja vorbei, in denen man ganz selbstverständlich zu einer christlichen Kirche gehörte. Es treten Jahr für Jahr Hunderttausende aus der Kirche aus. Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr unbedingt taufen. In wenigen Jahren werden die getauften Christen in Deutschland in der Minderheit sein. Jetzt schon gibt es keine deutsche Großstadt mehr, in der sie in der Mehrheit sind.

Ob es uns gefällt oder nicht: Wir müssen uns immer mehr darauf einstellen, dass wir auf dem Markt der religiösen Angebote eines unter vielen haben. Es gibt inzwischen sehr viele Muslime in Deutschland. Andere sind fasziniert von den fernöstlichen Angeboten wie Yoga und Buddhismus. Esoterik in vielen schillernden Spielarten zieht viele in ihren Bann. Immer mehr Menschen können mit Religion gar nichts mehr anfangen. Diese meinen: Hauptsache, man kann das Leben genießen. Und wenn man Probleme hat, geht man halt zum Arzt oder Psychologen. Pillen und Therapien ersetzen Gebete und Gottesdienste. Natürlich ist es gut, dass es Ärzte und Psychologen gibt. Aber was sie einem bestenfalls geben können, körperlich und seelische Gesundheit, ist ja nicht alles im Leben.

Gott findet sich mit dieser Entwicklung nicht einfach ab. Und wir sollten es auch nicht tun. Solange es uns möglich ist, sollen und dürfen wir für Gott und sein einzigartiges Angebot der Liebe werben. Denn er liebt ja nicht nur die, die sowieso an ihn glauben sondern auch die, die von ihm nichts oder nichts mehr wissen. Ja, sie liegen ihm besonders am Herzen.

So war ja auch Jesus. In einem seiner Geschichten vergleicht er sich mit einem Hirten, der einem Schaf nachgeht, das sich von der Herde verirrt hat und lässt dafür die 99 anderen alleine.

Bei Jesus soll keiner am Rand stehen. Er will sie alle zu sich holen, mitten in das Reich Gottes, das Reich der Liebe und der Vergebung, der Hilfe bei Not und des Schutzes vor bösen Dingen und Mächten.

Die Interesselosigkeit und die Gleichgültigkeit Jesus gegenüber ist in unserer Zeit groß. Aber trotzdem interessiert sich Jesus für diese Menschen, die ihn nicht kennen, die ihm noch gleichgültig gegenüber stehen. Denn er will, dass keiner verloren geht. Kein einziger.

Es kommt ihm gerade auf den einzelnen an. Jener Hirte, von dem Jesus erzählte, dachte ja auch nicht: „Auf ein Schaf mehr oder weniger kommt es nicht an. Ich habe ja noch 99.“ Nein, er machte sich auf die Suche, um gerade dieses eine Schaf zu suchen. Das Evangelium ist keine Massenware, es will vielmehr jeden einzelnen ansprechen. Wenn Menschen das merken: Es geht in dieser christlichen Gemeinde um mich, die Leute, die da sind, interessieren sich für mich, nehmen an meinem Schicksal Anteil, dann ist sie auch attraktiv, anziehend. Dann wächst sie in der Regel auch.

Es wurden einmal neue Gemeindeglieder befragt: „Warum sind Sie dazugekommen?“ 5 Prozent wegen einer Großveranstaltung, 5 Prozent wegen interessanter Einzelveranstaltungen. Doch 85 Prozent sagten: „Ich bin persönlich eingeladen und abgeholt worden.“

Genau deshalb machen wir in unserer Gemeinde an der aus England kommenden Aktion "Back to church sunday" mit. Da geht es darum, dass möglichst jeder von uns hier an einem ganz bestimmten Sonntag, bei uns ist es der 13. Oktober 2019, einmal andere wie Bekannte, Freunde, Arbeitskollegen, Verwandte in den Gottesdienst einlädt. Dass wir den Satz über die Lippen bekommen: "Würdest du an diesem Sonntag mit mir in die Kirche gehen?" Es geht nicht darum, möglichst viele in die Kirche mitzubringen und dann beschämt zu hause zu bleiben, wenn niemand von denen mitgeht, die wir eingeladen haben. Kein frommer Leistungsdruck! Es geht nur darum, Menschen zum Gottesdienst persönlich einzuladen. Wie es dann weitergeht, das ist nicht mehr unsere Sache. Das überlassen wir Gott und seinem Heiligen Geist.

Wir dürfen und sollen also für Gott und das, was er anzubieten hat, werben. Aber das heißt nicht, dass wir nur ein Angebot unter vielen haben. Es ist nicht egal, ob einer an Buddha, Mohammed, an Glückssteine, die Macht der Sterne, an gar nichts oder eben an Jesus glaubt. Jesaja sagt es hier im Namen Gottes auch deutlich: Nur der Glaube an den lebendigen Gott der Bibel macht deine Seele satt. Alles andere, wo Menschen ihren Lebenssinn und auch ihr Lebensglück suchen, hinterlässt bei ihnen früher oder später eine große Leere. Ihre Seele wird nicht satt. Ein Lied in unserem Gesangbuch beschreibt das Ergebnis dieses Suchens mit den Worten: "Sie suchen, was sie nicht finden, in Liebe, Ehre und Glück und kommen belastet mit Sünden und unbefriedigt zurück."

Das klingt intolerant, ich weiß. Aber es ist das, was die Bibel an den verschiedensten Stellen immer wieder sagt und was auch Jesus selbst von sich sagt: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich."

Jesus hat ein einmaliges Angebot. Es ist letztlich keine Forderung sondern ein Geschenk. Jesaja spricht hier nicht nur von Wasser und Brot sondern auch von Milch und Wein. Das Zusammensein mit Gott ist eher mit einer Party als einer öden Pflichtveranstaltung vergleichbar.

Gott lädt uns wirklich zu einer Party ein. Wenn einer der Wirklichkeit Gottes zum ersten Mal in seinem Leben begegnet, dann ist es, wie wenn er durch eine Tür geht, und zunächst einmal total überwältigt ist und erst einmal "Wow! sagt. Denn es ist alles, was das Herz begehrt, da, genauer gesagt, was es zufrieden und satt macht. Bei Gott geht’s nicht knauserig zu. Da herrscht die Fülle.

Das, was Gott im Überfluss für uns, für jeden von uns bereit hat, ist vor allen Dingen seine vergebende Liebe.

Manche, die diese Liebe erfahren haben, drücken es so aus: „Erst als ich Jesus kennengelernt habe, da konnte ich so richtig lachen.“ Andere sagten: „Als ich die Vergebung meiner Sünden erfahren hatte, da fiel ein Druck von mir ab. Eine tiefe Freude kam in mein Herz hinein.“ Sie erlebten Geborgenheit auch in Schwierigkeiten und Krisen ihres Lebens. Bibellesen und Gottesdienstbesuch war für sie kein frommes Pflichtpensum sondern ein Bedürfnis, weil da Gott mit ihnen redete. Staunend merkten sie, dass Gott auf Gebete hin antwortete. Er griff oft handgreiflich in ihr Leben ein.

Ich denke an den früheren Eventmanager Dario Pizzano. Jetzt ist er als Referent im Auftrag der Kirche unterwegs. Er sucht die Anerkennung seines Vaters, eines erfolgreichen Geschäftsmann. Doch er bekommt sie nicht. Umso mehr stürzt er sich ins Nachtleben und erotische Abenteuer, jagt von Event zu Event, dröhnt sich mit Alkohol zu, betäubt seinen Frust. Aber er bleibt unzufrieden.

Eines Tages kommt es zu einer langen Aussprache mit einem Pfarrer, zu einer Art Lebensbeichte. Er beginnt ein Leben mit Jesus. Sein Leben verändert sich, die Beziehung zu seinen Mitmenschen, auch zum Vater. Er sieht auch die Welt mit anderen Augen: "Ich bin im Supermarkt, hab die Obsttheke gesehen und dachte: Wow, ist das alles bunt hier!"

Wenn einer an Jesus glaubt, kann er auch die Welt um sich herum mit anderen Augen ansehen. Dann kann er auch entdecken, wie wunderbar die Natur ist, die Gott geschaffen hat. Er kann auch dankbar werden für die vielen Gaben, die Gott gegeben hat und sie genießen.

Gott ist kein strenger Asket, der uns keine Lebensfreude und Lebensgenüsse gönnen würde. Er will uns doch nicht den Spaß am Leben verderben. Er ist nicht nur für die Leute da, denen es nicht gut geht. Sondern er freut sich auch mit, wenn zwei Menschen "Ja" zueinander sagen und heiraten. Er gönnt ihnen ihr Glück. Ebenso gönnt er Gestressten einen erholsamen Urlaub. Gott gibt uns das ewige Leben, aber als Dreingabe lässt er uns in diesem Leben auch schon manche Freude an den irdischen Dingen dieser Welt erleben.

Ja, und was kostet nun diese Fülle, die mir Gott anbietet? Wie viel muss ich dafür zahlen? Jesaja gibt als unglaubliche Antwort auf diese Frage: Das alles kostet gar nichts. Abgesehen davon könntest du es nicht bezahlen und musst es auch nicht. Du darfst dich von Gott mit seiner Liebe beschenken lassen. Alles, was du zu tun hast, ist es, diese Liebe anzunehmen. Dieses Nehmen nennt die Bibel Glauben.

Nichts leichter als das, könnte man meinen. Aber genau mit diesem Nehmen und sich Beschenken Lassen haben viele Menschen ein Problem.

Sie glauben nicht, dass dieser christliche Gott wirklich so großzügig ist. Überall im Leben sind wir gewohnt, zu bezahlen. Alles hat seinen Gegenwert. Und ausgerechnet bei Gott soll es anders sein? Ausgerechnet er bietet uns das Wertvollste, was es gibt, ein Leben mit ihm, umsonst an? Sich beschenken zu lassen, ohne dann irgendwie eine Gegenleistung bringen zu können, gefällt uns wohl allen nicht.

Der Theologe Oswald Bayer sagt: Der Sünder ist in erster Linie ein Kostverächter. Er verweigert die Liebe, die ihm gilt. Er ist ein geistlicher Suppen-Kaspar, der sich lieber selber abstrampelt, als sich etwas schenken zu lassen: "Meine Suppe ess' ich nicht!"

Zu einem geachteten und reichen Rabbi kamen einmal Gäste, vornehme Kaufleute. Der jüdische Gelehrte nahm sie in sein Haus auf. Allerdings verlangte er von ihnen Geld, das sie für ihren Aufenthalt zu bezahlen hätten. Es handelte sich um eine recht hohe Summe.

Die Reisenden waren zwar befremdet, dass ein Rabbi sich seine Gastfreundschaft bezahlen ließ. Aber sie nahmen sein Angebot an. Und so aßen und tranken sie, soviel sie wollten. Ja, sie verlangten noch ganz erlesene Weine und ausgewählte Speisen als Entgelt für den hohen Preis, den sie zu bezahlen hätten.

Am nächsten Tag wollten sie ihre Reise fortsetzen und die vereinbarte Summe bezahlen. Der Rabbi brach nun in Lachen aus: „Glaubt ihr, ich habe den Verstand verloren? Wie könnte ich Geld annehmen für das Privileg, Reisenden Gastfreundschaft zu gewähren?“ Die Kaufleute sahen einander verständnislos an: „Warum habt ihr uns denn dann nur unter der Bedingung aufgenommen, dass wir Euch hoch bezahlen?“

Da erklärte der Rabbi schmunzelnd: „Ich fürchtete, es könnte euch peinlich sein, auch genug zu essen oder die besten Weine zu trinken, wenn ihr euch nur als meine Gäste fühlt. Und – seid ehrlich, hatte ich nicht recht?“

Hat er nicht recht? Und ist nicht auch so, dass wir dazu neigen, uns Gott gegenüber genauso zu verhalten? Ist es uns nicht irgendwie peinlich, sich die Gemeinschaft mit ihm einfach schenken zu lassen?

Warum eigentlich? Weil wir eben doch etwas vor Gott darstellen wollen, weil wir keine Sünder sein wollen, die allein durch die unverdiente Liebe Gottes, seine Gnade, einmal vor Gott bestehen können.

Aber ist es nicht befreiend, dass wir uns seine Liebe nicht verdienen müssen, dass wir vor ihm nichts leisten müssen? Jeder von uns darf es glauben: Gott hat dich lieb, sehr lieb sogar. Er sorgt für dich. Und er steht zu seiner Liebe. Sie hört nie auf, weder im Tod und auch nicht, wenn wir versagen, auch so versagen, dass wir meinen, jetzt sind wir dieser Liebe nicht mehr wert. Nein, gerade dann gilt sie uns. So hat es hier auch Jesaja versprochen: Gott verspricht einen ewigen Bund und eine verlässliche Gnade. Gott steht zu uns, was auch immer kommen mag.

Amen