Gottesdienst Nikodemuskirche Bayreuth, 4. Sonntag der Passionszeit - Laetare 10.03.2024, Pfr. i.R. Martin Schöppel, Lukas 22, 54-62

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen

Wir wollen in der Stille, jeder für sich, darum beten, dass Gott uns diese Predigt segnen
möge. Herr gibt deinen Heiligen Geist zum Reden und zum Hören.
Amen

Unser Bibelwort für die Predigt an diesem Sonntag steht in der Passionsgeschichte nach Lukas im 22 Kapitel und es ist eine ganz besonders eindrückliche Begebenheit. Sie geschah wenige Stunden, eigentlich vor dem Kreuz Jesu, zwischen Abendmahl und zwischen Kreuzigung, eine Begebenheit mitten in der Nacht. Im Garten Gethsemane war Jesus verhaftet worden. Dass seine Jünger zu den Waffen greifen und ihn mit Gewalt verteidigen, hatte Jesus sofort unterbunden. Er hatte seine Hände hingestreckt und sich von den Wachen des Hohen Priesters fesseln und widerstandslos abführen lassen. Als die Jünger das sahen, da packte sie die nackte Angst und sie rannten aus dem Licht der Fackeln weg in den Schutz der Dunkelheit, in die finstere Nacht. Die Wachen ließen sie rennen; sie hatten ja nur den Auftrag, den einen, den Jesus von Nazareth, zu verhaften und vorzuführen. Im flackernden Licht der Fackeln bewegte sich der Zug dann wieder in Richtung Stadt Jerusalem und dort zum Palast des Hohenpriesters. Als Petrus, der auch weggerannt war, merkte, dass ihn niemand verfolgt, blieb er stehen, überlegte, sah den sich entfernenden Zug im Fackelschein. Wo bringen die den hin? Was passiert denn jetzt? Ich könnte doch einfach mal hinterhergehen, vielleicht erfahre ich ja, was mit Jesus geschieht. An dieser Stelle setzt unser Predigtabschnitt ein:

54. „Sie ergriffen Jesus aber und führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von ferne.
55. Da zündeten sie ein Feuer an mitten im Hof und setzten sich zusammen; und Petrus setzte sich mitten unter sie.
56. Da sah ihn eine Magd im Licht sitzen, sah ihn genau an und sprach: Dieser war auch mit ihm. 57. Er aber leugnete und sprach: Frau, ich kenne ihn nicht.
58. Und nach einer kleinen Weile sah ihn ein anderer und sprach: Du bist auch einer von denen. Petrus aber sprach: Mensch ich bin es nicht.
59. Und nach einer Weile, etwa nach einer Stunde, bekräftigte es ein anderer und sprach: Wahrhaftig, dieser war auch mit ihm; denn er ist auch ein Galiläer.
60. Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Und alsbald, während er noch redete, krähte der Hahn.
61. Und der Herr wandte sich und sah Petrus an. Und Petrus gedachte an des Herrn Wort, wie er zu ihm gesagt hatte: Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.
62. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.“

Was für eine dramatische Dichte in diesem Geschehen. Zuerst ist Petrus eigentlich der mutigste von allen Jüngern. Er traut sich hinterher zugehen, mitten hinein in die Höhle des Löwen, in den Hof des hohenpriesterlichen Palastes und er gesellt sich ganz selbstverständlich, wie wenn er dazu gehört zu denen, die da versammelt sind, Wachleute, Knechte, Mägde, vielleicht auch schon die ersten Mitglieder des Hohen Rates, die man eilig zu einer nächtlichen Sitzung zusammen gerufen hat. Verstohlen geht der Blick von Petrus immer wieder hinüber in die Ecke des Hofes, wo der verhaftete Jesus gefesselt und angebunden darauf wartet, als Angeklagter vorgeführt zu werden. Je länger Petrus mit den anderen am Feuer sitzt, desto ruhiger wird er und desto sicherer fühlt er sich. Es wird gescherzt, getrunken, geredet.
Können wir das nicht auch mitten unter Partygästen, bei einer Einladung, einer Firmenfeier, in der Pause eines Konzerts, einer Oper, eines Theaterstücks. Vielleicht wollte man gar nicht hingehen, hat sich doch überreden lassen und plötzlich, in der Runde der Zusammenstehenden oder Zusammensitzenden, als es gerade etwas ruhiger ist, spricht den einen jemand von der Seite an, sodass es alle hören können: „Sag mal, gehst du eigentlich immer noch sonntags in die Kirche? Liest du wirklich jeden Tag in der Bibel? Glaubst du ernsthaft, dass Gott die Welt geschaffen hat?“
So kalt erwischt, in eine Situation, in der man gar nicht damit gerechnet hat, sich zu seinem Glauben, sich zu Jesus bekennen zu müssen, ist dann eine ausweichende oder abwiegelnd Antwort schneller gegeben, als man über ihre Tragweite nachdenken kann. Oder das Gespräch in der Runde entwickelt sich so, dass man genau weiß, jetzt müsste ich eigentlich etwas sagen, jetzt könnte ich mich, als Christ zu erkennen geben, jetzt sollte ich widersprechen, den Angegriffenen in den Schutz nehmen. Aber man zögert noch, sucht nach den richtigen Worten, wartet zu lange; und auf einmal ist die Gelegenheit wieder vorbei. Ein anderes Thema ist dran oder es ertönt das Signal, dass die Vorstellung gleich weitergeht. Da plötzlich ist es einem völlig klar: Jetzt hast du was verpasst! Jetzt habe ich versagt, versäumt, mich als einer zu erkennen zu geben, der an den lebendigen Gott glaubt und der zu seinen Überzeugungen steht! Jetzt habe ich es verpasst, mich zu Jesus zu bekennen, verpasst zu dem zu stehen, der zu mir steht.

Genau das wollte Petrus: Zu dem stehen, der zu ihm steht. Ein paar Stunden vorher hatte Jesus es den Jüngern angekündigt: In dieser Nacht werdet ihr alle Ärgernis an mir nehmen; und als Petrus widersprach: Herr ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen, da wandte sich Jesus zu ihm, sah ihm in die Augen und sagte: Du Petrus, ich sage dir, der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst. Und genau dieses Wort Jesu blitzt mit dem ersten Hahnenschrei bei Petrus wieder auf und geht ihm ins Herz. Er hatte recht, und ich war mir so sicher. Ich wollte doch treu zu ihm stehen! Er blickt hinüber, dorthin, wo Jesus gefesselt und angekettet sitzt. Für einen Moment begegnen sich ihre Blicke. Dieser Augenblick hat sich tief in die Seele des Jüngers eingebrannt. Kein Vorwurf in den Augen des Herrn, keine Anklage, keine Verachtung, viel mehr eine große Liebe und ein tiefes Erbarmen. „Du bist ein Gott, der mich sieht“, so heißt es in unserer Jahreslosung 2023.

Ja, der Herr sieht uns auch in aller unserer Schwachheit und in unserem Versagen. Er sieht uns, nicht richtend, nicht verklagend, sondern mit dieser großen, erbarmenden Liebe. Schuld ist nicht das Ende der Beziehung zu Jesus, sondern im Gegenteil immer wieder die Einladung des Heilands: Komm doch zurück! Kehr doch um! Komm zu mir! Komm zu meinem Kreuz! Ich will nicht, dass dein Glaube aufhört! Petrus spürt die Tränen, die seine Augen füllen und er steht auf und verlässt eilig den Palasthof und weint bitterlich, Tränen der Enttäuschung über sich selbst, Tränen der Scham. Irgendwann in dieser Nacht, in der er keinen Schlaf mehr fand, wird er sich wohl auch an die anderen Sätze erinnert haben, die Jesus ihm persönlich gesagt hatte: „Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre, und wenn du dann einmal umkehrst, geh hin und stärke deine Brüder.“ Dem Petrus ist durch sein Versagen und seine Schuld mehr als allen anderen aufgegangen: Der Herr lässt mich nicht fallen! Ich darf umkehren! Meine Schuld trennt mich nicht von Gott!
Gerade in meiner größten Sünde ist Jesus mir am nächsten mit seiner Liebe. Nicht ich kann ihn durch meinen Mut und meine Treue retten, sondern er hat mich gerettet durch sein Blut, durch seinen Tod am Kreuz.

Martin Luther hat dazu einmal gesagt: ‚Wenn ich Petrus abbilden oder abmalen könnte, wollte ich auf jedes Härlein auf seinem Kopf schreiben: Vergebung der Sünden, Vergebung der Sünden, denn so malen ihn die Evangelisten ab. Kein Stück in der Passion ist mit so vielen Worten beschrieben, wie der Fall des Petrus. Alles, was Christus widerfahren ist, ist mit kurzen Worten von den Evangelisten angezeigt. Petrus aber zerhauen sie so schändlich, dass sie von seinem Fall nicht Worte genug machen können, während doch der Evangelist Johannes sagt: Die Frucht und der Nutzen des Leidens Christi soll dieser sein, dass ihr darin Vergebung der Sünden habt‘. So weit Luther.
Ja, ich bin mir sicher, die Gebete von Jesus haben Petrus durch die Tiefe seiner Schuld durch getragen. Sein Glaube an Jesus, den Sohn Gottes, hat in jener Nacht nicht aufgehört, aber sicher der Glaube an seine eigene Stärke. Und er hat begriffen, nicht was ich leiste im Glauben und in der Treue und in der Nachfolge und für die Sache Gottes ist entscheidend, sondern was Gott durch Jesus an mir und für mich getan hat. Darauf kommt es an, und dass ich mir die Vergebung Gottes gefallen lasse. Das muss jeder Glaubende in seinem Leben begreifen. Es kommt nicht auf meine Stärke an, sondern ich darf mich seiner Stärke anvertrauen.

Diese ganze Episode war ja aus menschlicher Sicht keine Heldentat. Als Kind, kann ich mich erinnern, war ich immer sehr enttäuscht von Petrus, wenn diese Geschichte im Kindergottesdienst dran war, oder wenn sie in der Kinderbibel vorgelesen wurde, dachte ich, wie kann der Petrus, der doch ein Freund von Jesus war, sich so verhalten, wie kann der nur so feige sein und Jesus verleugnen? Das hätte ich nicht gemacht, dachte ich, bis mir irgendwann aufging, das hätte ich, ja, das habe ich schon oft genauso gemacht. Etwa seit im 9. Jahrhundert hat man angefangen, Hähne auf die Kirchturmspitzen zu setzen, oft so, dass sie gleichzeitig Wetterfahne waren und sich durch den Wind gedreht haben. Man wollte damit an diese Petrus Geschichte erinnern und davor warnen, sein Fähnchen nach dem Wind zu richten, sich anzupassen und dadurch seinen Glauben zu verleugnen. Jeder Christ sollte durch den Hahn auf dem Kirchturm gewarnt werden, den eigenen Glauben zu überschätzen. Aber, wer sieht das noch, wer kennt diesen Zusammenhang noch? Ganz abgesehen davon, dass Hähne auf neueren Kirchtürmen nicht mehr zu finden sind. Dafür habe ich kürzlich den Hahnenschrei als Klingelton auf einem Handy gehört. Erst war ich irritiert. Wo kräht denn hier in diesem Besprechungsraum ein Hahn, ganz lebensecht. Bis mir klar wurde, dass das der Klingelton eines Handys war. Da sind ja der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Manche haben das Pfeifen einer Dampflokomotive drauf und Vogelgezwitscher. Ich weiß nicht, gibt's auch Kirchenglocken? Wahrscheinlich schon, oder Motorradgebrumm und was da noch alles möglich ist. Der Hahnenschrei, der wäre eigentlich keine schlechte Idee, wenn einen das Krähen dann an diese Petrus-Szene erinnern würde und man dadurch öfter daran denken würde, sich zu Jesus zu bekennen, oder sich nicht zu überschätzen oder daran zu denken, dass Jesus Schuld vergibt und auch nach großer Schuld nicht verstößt.

Im letzten Kapitel des Johannesevangeliums findet sich dann eigentlich Teil 2 dieser Verleugnungsgeschichte. Als es nach der Auferstehung am See Genezareth zu der Begegnung von einigen Jüngern, die eigentlich Fischer waren, zur Begegnung mit Jesus kam. Die Jünger waren beim Fischen zunächst wieder erfolglos, wie damals, bis Jesus sie anruft, sie sollen doch das Netz auf der anderen Seite auswerfen und sie machen wieder einen großen Fang und begreifen, der da am Ufer da, ferne im Nebel, das ist Jesus. Als Petrus das merkt, springt er ins Wasser, schwimmt ans Land, um möglichst schnell bei seinem Herrn zu sein. Jesus hat Feuer gemacht und Fische gegrillt und sie saßen und aßen miteinander. Und dabei fragte Jesus den Petrus: Simon hast du mich lieber als diese? Und dann noch zweimal: Hast du mich lieb? Und der Petrus hat schon kapiert. Dreimal habe ich ihn verleugnet, habe mich für stärker und besser gehalten als die anderen. Er konnte nur sagen: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Und er wurde dann wieder in seine Aufgabe als Hirte und Glaubensbote eingesetzt.
Weide meine Schafe! Ja, wie denn? Wie sollte er denn die Herde derer weiden, die an Kreuz und Auferstehung glaubten? Wenn du umkehrst, dann stärke deine Brüder! Erzähl ihnen von deinem Versagen und von dem Erleben von Vergebung! So hat Jesus es ihm aufgetragen. Seine Umkehr, das war das Erkennen seiner Schuld. Umkehr vom „Ich“ der eigenen Stärke zum, eher: „Ich verlasse mich auf dich Herr.“ Umkehr war auch, sich da eben nicht mehr auf den eigenen Glauben zu verlassen oder als Christ perfekt sein zu wollen. Da wird nichts draus.
Petrus sollte in der Gemeinde und bei seiner Missionsarbeit immer wieder von seinem eigenen Versagen und von dieser unglaublichen, vergebenen Liebe erzählen, die ihn gerettet hatte und die jeden rettet, der seine Sünde erkennt und damit zum Kreuz und zu Jesus kommt. In der Vergebung kommt einem die Liebe Gottes am allernächsten, nicht wenn man meint: Na, heute war ich aber mal fromm und brav und habe meine stille Zeit schön gemacht oder vermeintlich das getan, was Gott will. Wer erfährt, dass Jesus ihm Schuld abgenommen hat durch sein Kreuz und seinen Tod, der spürt erst, was ihm da für eine Liebe entgegenkommt und dem fällt es nicht schwer den, der ihn so liebt, wieder zu lieben. Schafft die Seligkeit durch den Glauben! Die tiefste und größte Not, die es gibt, ist es, dieser Liebe nicht zu vertrauen und darum haben alle Frauen und Männer, die Jesus verkündigt haben, immer auch davon geredet, dass sie in ihrem Leben vieles falsch gemacht haben, dass sie Vergebung erfahren haben in ihrer tiefen Schuld, und dass sie diese Vergebung immer wieder brauchen. Erst nach dem Erkennen der eigenen Schuld, nach dem Annehmen der vergebenden Liebe Gottes, wird es dir möglich zu dem zu stehen, der zu dir steht.

Die christliche Überlieferung weiß davon, dass Petrus unter dem grausamen Christenverfolger Nero, etwa im Jahr 67 nach Christi Geburt, in Rom an einem Kreuz den Märtyrertod gestorben ist. Unter dem Altar der Peterskirche zeigt die katholische Kirche bis heute dort sein Grab.
Die Kraft dazu, für seinen Glauben mit dem Leben zu bezahlen, nahm Petrus da nicht mehr auf sich selbst, sondern erbat sie sich von seinem Herrn. Drei wichtige Tatsachen können wir uns von Petrus bezeugen lassen und für uns festhalten:

1. Niemand ist so tief in Schuld gefallen, dass ihm Jesus nicht mehr vergeben kann.
2. Gerade mit Sündern, die Vergebung erfahren haben, baut Jesus seine Kirche, und
3. die Kraft, Glauben zu leben und zu bekennen, haben wir niemals aus uns selbst, aber wir dürfen sie uns erbitten.

Jeder darf mit seiner Vergangenheit zu Jesus kommen, um Neuanfang bitten und wird im Reich Gottes gebraucht, nicht nur einmal, sondern immer wieder.
Amen