Bayreuth, den 28.3.04 Matthäus 6,9-13


Liebe Gemeinde!

Martin Luther sagte einmal in einem Gespräch mit einem anderen Mann, dass niemand in der Lage sei, ganz andächtig, ohne dass er an etwas anderes denkt, ein Vaterunser zu beten. "Das stimmt nicht!" sagte der Gesprächspartner Luthers. "Ich kann das Vaterunser beten, ohne an etwas anderes zu denken!" "Gut!" sagte Luther. "Du bekommst von mir ein Pferd, wenn du ein Vaterunser ohne abschweifende Gedanken betest!" Der Mann machte große Augen und willigte natürlich sofort in die Wette ein. Denn wie sollte Luther wissen können, was er beim Beten denkt!

Er ging in ein Nebenzimmer, um zu beten. Nach kurzer Zeit kam er wieder heraus und fragte Luther: "Das Pferd mit oder ohne Zaumzeug?" Und damit hatte Luther die Wette gewonnen. Denn durch seine Frage hatte er verraten, woran er die ganze Zeit gedacht hatte: an das Pferd, das er gewinnen sollte.

Das Vaterunser ist das bekannteste christliche Gebet. Wir haben es alle, vielleicht schon oft, gebetet. Aber es ist sicher auch das Gebet, das am gedankenlosesten gebetet wurde. Die Beterin in dem Anspiel der Konfirmanden, das wir eben gesehen haben, sagte: "Ich habe nichts damit gemeint. Ich habe nur meine täglichen Gebete gesagt. Ich sage immer das Vaterunser. Es gibt mir ein gutes Gefühl."

Doch was meint denn das Vaterunser überhaupt? Es ist nicht dazu da, um uns ein gutes Gefühl zu geben. Nein, vom Vaterunser geht eine besondere Kraft aus, die man nur entdecken muss.

Eine Geschichte dazu: 26. April 1945. Kurz vor Kriegsende. Ein LKW rast durch Norditalien. 21 deutsche Soldaten versuchen noch in die Heimat zu kommen, wo alles an der Front sich auflöst. Überall lauern Partisanen. Sie werden oft beschossen und schießen zurück. Die Alpen steigen auf. Dahinter ist die Heimat, Leben, Freiheit. Schwerer Beschuss in einem Dorf. Der tödlich getroffene Fahrer lenkt das Auto noch aus der Fahrbahn. Die drei auf dem Vordersitz sind alle tot. 18 werden von den Partisanen vom Wagen gerissen. "Al muro! An die Mauer!" schreit die wütende Menge. Einer der Deutschen verhandelt mit dem Anführer der Partisanen. Der Anführer scheint vernünftiger, aber die Menge wird drohend gegen ihn selbst. Schließlich Abmarsch in einen Steinbruch. Dort wieder: "Al muro!" Noch eine kleine Bitte der Deutschen. Der Anführer nickt. Die Deutschen dürfen in aller Stille noch ein Vaterunser sprechen. Niemand hat es ihnen gesagt: Sie knien alle nieder. Dann erheben sie sich die Deutschen, lautlos, ohne dass einer weint oder flucht und treten an die Mauer. Wieder eine kleine Bitte des Unterhändlers; er fragt, ob er für die Italiener ein Vaterunser beten dürfe. Er bekommt die Erlaubnis. So fängt er italienisch an: "Padre nostro!" Jetzt beten auf einmal die Italiener mit, beten bis zum Amen. Und dann – kann man nicht mehr aufeinander schießen, nachdem man miteinander und füreinander das Vaterunser gebetet hat. Befehle, Abmarsch. Die achtzehn marschieren unangefochten zur nächsten Kreisstadt, wandern in ein Gefangenenlager und später – nach hause.

Was ist das Geheimnis dieses Gebetes, dass es Männer dazu bringt, nicht aufeinander zu schießen? Ich denke, das hängt mit der Anrede zusammen, von der es seinen Namen hat: Vater unser.

Wir dürfen Gott mit "Vater" anreden. Wir dürfen so vertraulich und vertrauensvoll mit ihm reden wie Kinder mit ihrem Vater. Gott verspricht dem, der sich an ihn im Gebet wendet, zu helfen, wie ein guter Vater seinen Kindern hilft.

Darüber muss man eigentlich staunen, dass wir Gott als Vater anreden dürfen. Selbstverständlich ist das nicht. Hochgestellte Persönlichkeiten rede ich ganz anders an. Niemand von uns hier würde es wagen, den Bürgermeister unserer Stadt oder gar den Bundeskanzler einfach zu duzen: "Hallo, Dieter, hallo, Gerhard!" Das wäre ganz einfach respektlos. Warum ist das bei Gott anders?

Die Antwort hängt mit dem zusammen, was sein Sohn Jesus Christus für uns getan hat. Er ist für uns, für jeden Menschen, am Kreuz gestorben. Er ist unser Bruder geworden. Deshalb können wir Gott als unseren Vater anreden.

Ich will auch diese Aussage an einer kleinen Geschichte verdeutlichen. Ein Vater wartet mitten in der Nacht auf seinen Sohn. An der Haustür, mit einer Eisenstange in der Hand. Der Sohn ist ein Taugenichts, ein Alkoholiker und Schlägertyp. Beim Vater reift der furchtbare Entschluss: "Lieber einen toten Sohn als so einen!" Da springt durch einen vorbeifahrenden LKW die Wohnzimmertür auf. Das Mondlicht fällt auf das Kreuz. Und der Vater steht da – mit der Eisenstange. Es sieht so aus, als ob er den Mann am Kreuz bedrohen würde. Die Eisenstange sinkt zu Boden. Erschüttert wartet der Vater auf den Heimkehrenden. Bringt ihn in das Wohnzimmer, holt ihm zu essen, zieht ihm die Schuhe aus. Beide sind kreidebleich. Der Vater bringt den Angetrunkenen ins Bett und morgens um sieben Uhr erzählt er ihm, was die Nacht war. Vater und Sohn finden wieder zueinander.

Was hat die beiden wieder zusammengebracht? Es war das Kreuz Jesu. Der Vater hat gemerkt: Ich kann doch meinen Sohn nicht umbringen! Jesus ist doch auch für ihn am Kreuz gestorben.

Auf jeden Menschen könnte Gott wie der Vater in der Geschichte zornig sein, und zwar mit Recht! Denn wir sind seine missratenen Söhne und Töchter. Jeder hat in irgendeiner Form die 10 Gebote übertreten. Keiner hat das Recht darauf, dass Gott auch nur eine Bitte von ihm erhört. Unsere Schuld ist wie eine Mauer, die uns von Gott trennt.

Doch diese Mauer hat Jesus am Kreuz zerstört. Der Weg zu Gott ist wieder frei. Wir dürfen zu ihm gehen, dürfen ihn bitten, dürfen ihn Vater nennen. Gott vergibt uns unsere Schuld, wenn wir nur Vergebung haben wollen. In einem Lied heißt es: "Barmherzig, geduldig und gnädig ist er, viel mehr als ein Vater es kann, Er warf unsere Sünde ins äußerste Meer. Kommt betet den Ewigen an."

Wenn du das glaubst, darfst du ohne die Spur eines Misstrauens zu Gott als deinem Vater beten. Er will nur eines, wenn du betest. Dass du ihm auch vertraust, dass er auch hilft. Wenn einer in der Haltung betet: "Beten hilft ja sowieso nichts", muss er sich nicht wundern, wenn Gott seine Gebete nicht erhört. Aber wenn du glaubst, dass er ja dein Vater ist, der dich liebt, darfst du damit rechnen, dass er auch hilft und eingreift.

Er ist kein kleiner Gott. Er kann auch große Dinge tun. Ich denke da an den Tatsachenbericht eines amerikanischen Fliegerleutnants. Dieser Bericht heißt: "Es war, als sängen die Engel." Acht Männer müssen mit ihrem Flugzeug auf dem pazifischen Ozean notwassern. Drei qualvolle Wochen müssen sie in drei Schlauchbooten, bedroht von Haien, Hunger und Durst, verbringen. Abends treiben sie ihre Boote zusammen. Einer liest aus seinem Neuen Testament vor. Dann beten sie miteinander das Vaterunser. Eine Bitte ist ihnen natürlich besonders wichtig: die Bitte um das tägliche Brot.

Die Soldaten erleben handfest das Eingreifen Gottes. Einmal setzt sich eine Seemöwe auf den Kopf eines Mannes. Man fängt den Vogel. Die Eingeweide ergeben einen Köder fürs Fischen. Ein andermal erhört Gott das Gebet um Regen. Mit dem erquickendem Wasser können sie ihren Durst löschen. Nach einigen Tagen treiben sogar Wolken gegen den Wind auf sie zu und regnen über ihren Booten ab. Als sie nach drei Wochen Land entdecken, halten sie darauf zu. Ein tückische Strömung treibt ein Boot wieder aufs Meer. Beim zweiten Versuch klappt es. Diesmal erreichen sie problemlos das rettende Ufer. Es war ihnen, als ob an den Rudern andere Hände als die ihren am Werk waren.

Gott ist nicht fern von einem jedem Menschen. Er will mit unserem Leben etwas zu tun haben, in es eingreifen, es verändern, dir helfen. Das ist das Wunderbarste im Christentum, dass wir da von einem lebendigen Gott hören dürfen, von einem Gott, den wir "Vater" nennen dürfen, dem wir im Gebet alles, aber auch wirklich alles erzählen dürfen. Du kannst ihm alles sagen: jeden Kummer, jede Sorge, alle Schuld, jede verhauene Extemporale. Man darf ihn auch um ganz alltägliche Dinge bitten, wie um Hilfe bei Schulaufgaben oder dass man verlorene Sachen wiederfindet. Ich habe ja schon oft erlebt und habe es ja auch euch erzählt, wie er mir bei Prüfungen geholfen hat oder verlorene Schlüssel hat finden lassen.

Einmal bei einer Französischschulaufgabe. Ich war in der 13. Klasse kurz vor dem Abitur. Wir sollten in Französisch ein Diktat als Schulaufgabe schreiben. Wir alle in der Klasse waren nicht sehr begeistert. Denn unsere Lehrerin nuschelte. Und gerade beim Französischdiktat muss man sehr genau hinhören, weil viele Wörter ganz anders gesprochen als sie geschrieben werden.

Am Tag vor der Schulaufgabe kam eine andere Lehrerin in unser Klassenzimmer und sagte: "Ich habe gehört, dass ihr morgen Schulaufgabe schreibt und bete für euch." Auch ich betete dann um die Hilfe Gottes. Aber ich bereitete mich auch auf die Schulaufgabe, so gut es ging, vor. Ich las meine alten Diktate durch und schrieb mir einige schwierige Wörter heraus. Am nächsten Tag kamen ungewöhnlich viele von diesen Wörtern in der Schulaufgabe dran. Es war mir wie ein Wunder. Und ich bekam auch eine entsprechend gute Note. Bei der Herausgabe sagte die Lehrerin, sie habe unsere alten Diktate durchgeschaut und ganz bewusst einige Wörter eingebaut. Vielleicht, so dachte sie sich, hat ja jemand auch die alten Diktate angeschaut. Aber die gute Note habe ich trotzdem dem Eingreifen Gottes zu verdanken. Denn von den Gedanken meiner Lehrerin wusste ich natürlich nichts. Aber Gott wusste es!

Natürlich wird man nicht immer, wenn man betet, gute Noten schreiben. Aber man darf vertrauen: Gott mag mir nicht immer das geben, was ich will, aber immer das, was ich brauche. Wie ein rechter Vater kümmert er sich um alle Dinge seiner Kinder.

Amen



 
 
 
 
 
 

Gebet

Vater unser im Himmel,
wir danken dir, dass wir wie Kinder zu einem guten Vater kommen dürfen,
geheiligt werde dein Name
hilf uns, dass unser Leben dir ganz gehört und wir deinem Namen keine Schande bereiten,
Dein Reich komme,
regiere du in dieser Welt und auch in unserem Leben,
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden
Dein Wille ist der beste, lass ihn auch bei uns geschehen, lass uns ein Leben führen, das sich nach deinen 10 Geboten ausrichtet,
Unser tägliches Brot gib uns heute,
gib uns das, was wir zum Leben brauchen, nicht nur Essen und Trinken sondern auch Frieden in unserem Land, eine gute Regierung, Freunde, eine intakte Familie, Erfolg in Schule und Beruf, auch gutes Wetter und Gesundheit,
Und vergib uns unsere Schuld,
nimm bitte auch unsere Schuld weg, wir brauchen deine Vergebung jeden Tag, da wir immer wieder an dir und unseren Nächsten schuldig werden
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,
auch wir wollen denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind, so wie du uns ja auch vergeben willst,
Und führe uns nicht in Versuchung,
bewahre uns davor, dass wir uns von falschen Freunden zu Dingen hinreißen lassen, die uns nicht gut tun,
sondern erlöse uns von dem Bösen
befreie uns von allem Bösen, was unser Leben belastet,
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen
Ja, so soll es geschehen.