Bayreuth, den 3.9.06 Apostelgeschichte 3,1-10

Liebe Gemeinde!

Zwei Männer sind unterwegs zum Tempel. Heute ist das ein seltener Anblick geworden. Zwei Männer, die in ein Gotteshaus gehen, um dort zu beten. Das Beten haben wir weithin den Frauen und den Kindern überlassen. Männer packen Probleme an. Männer schauen Fußball. Männer trinken Bier. Aber Männer gehen nicht in die Kirche, um dort zu beten.

Petrus und Johannes sind anders. Sie beten. Sie sind keine Schwächlinge. Auch sie sind Männer. Und was für Männer! Die Apostelgeschichte erzählt wundersame Geschichten von ihnen. Sie sind bereit, für ihren Glauben in das Gefängnis und in den Tod zu gehen. Am Vorabend seiner geplanten Hinrichtung schläft Petrus im Gefängnis. Ein Mann mit eisernen Nerven? Nein, ein Mann, den sein Glaube geborgen machte. Petrus und Johannes, arme, einflusslose und ungebildete Männer aus dem Norden Israels. Und doch waren es Männer, die die Welt veränderten. Sie waren die Anführer einer zunächst kleinen aber dann explosionsartig wachsenden Gruppe, der ersten Christen. Was sie sagten, hatte ungeheure Wirkungen, Menschen kamen zum Glauben an Jesus, Kranke wurden wieder gesund. Und das Geheimnis ihrer Vollmacht lag auch in den wenigen Worten begründet, die hier in der Apostelgeschichte berichtet werden. Ihnen war das Gebet wichtig. Sie konnten ohne das Gebet nicht sein. Sie brauchten dieses Gespräch mit Gott, die stille Zeit mit ihm. Das half. Das gab neue Orientierung. Das Gebet als Kraftquelle. Täglich beteten sie - miteinander und füreinander. Wohl dem, der ein regelmäßiges Gebetsleben hat!

Petrus und Johannes waren also unterwegs zum Tempel. Da wird ein gelähmter Mann herbeigetragen. Er hat ein schweres Schicksal zu tragen, denn er ist von Geburt an gelähmt. Wer je mit behinderten Menschen zu tun gehabt hat, weiß, wie schlimm das für sie ist, schon als Kind krank zu sein. Und welche Belastung das für die Angehörigen ist. Ich weiß das aus eigener Erfahrung durch einen Fall aus meiner Verwandtschaft. Demgegenüber ist unser Leben viel reicher an Freuden, Möglichkeiten und Erlebnissen. Wie dankbar müssten wir sein, dass wir unsere Glieder bewegen und auch diesen Gottesdienst besuchen können!

Der Gelähmte in unserer Geschichte konnte dies alles nicht. Er sitzt vor der Tür des Tempels, die "die Schöne" heißt. Es klingt fast wie ein Hohn. Vor der "schönen" Tür - der gelähmte Mann. Da stoßen Gegensätze aufeinander. Da klaffen Welten auseinander. Wir singen so gern das Lied "Tut mir auf die schöne Pforte...". Für den Gelähmten bleibt sie verschlossen. Er darf da nicht hinein, wo die Menschen Gott loben, wo gebetet und Gottesdienst gefeiert wird. Im Grunde ist er doppelt gestraft. Mensch zweiter Klasse. Ein Ausgestoßener. Schlimm genug ist schon, dass er krank ist. Viel schlimmer ist noch, dass er gemieden wird und nicht in die gottesdienstliche Gemeinschaft hineingenommen wird. Das ist wirklich etwas vom Schlimmsten, wenn wir Menschen nicht mehr in unsere Gemeinschaft hineinnehmen und sie wegen irgendeinen Makels ausstoßen.

Der gelähmte Mann sitzt vor der "schönen" Tür. Der Gegensatz könnte wirklich nicht größer sein. Er findet sich auch in unserer Zeit.

Vor einigen Jahren waren meine Frau und ich einmal in Berlin. Wir schauten uns auch die berühmte Delikatessabteilung des Kaufhauses "KaDeWe" an. Dort findet man alles, wirklich alles, was der Gaumen und der Magen begehrt, unter anderem 1300 Käsesorten, 1200 Wurstsorten, 2400 Weinsorten und 400 Brotsorten. Die Darstellung des Wohllebens erschlägt einen fast, wie die Darstellung der Armut direkt draußen vor der Tür des Kaufhauses. Dort lungern die Bettler und warten auf ein Almosen der Reichen. Armut und Reichtum sind vielfach ganz nah beieinander. Strahlende, strotzende Fassaden auf der einen Seite und hart daneben Elend und viel innere Not und manchmal auch dahinter. Der gelähmte Mann hat heute viele Namen und Gesichter, - vielleicht auch unsere.

Auch wir können in durchaus vergleichbarer Lage wie jener Mann sein. Wir haben unsere persönlichen Behinderungen, Lähmungen und Nöte im körperlichen und auch im seelischen Bereich. Vielleicht ist es auch eine bestimmte Sünde, die uns quält, die wir immer wieder, immer wieder tun. Wir kommen nicht von ihr los, jahrelang, vielleicht jahrzehntelang. Wir bemühen uns, unserer Lage zu verbessern, wir suchen Hilfe, hier und dort. Vielleicht suchen wir auch im Gebet Hilfe. Doch eigentlich haben wir uns mit unserer Lage schon abgefunden, so wie der Gelähmte. Wir erwarten gar keine tief greifende Hilfe mehr, sondern nur noch gewissermaßen Almosen: eine Linderung der Not keine Beseitigung. Aber Gott kann uns noch viel mehr schenken. Seine Hilfe ist immer umfassender als unsere Erwartungen.

Petrus antwortet auf die Bitte um ein Almosen zunächst nur mit einem kurzen Satz: "Sieh uns an!" Wir können uns das Bild des Elends, das der Kranke abgab, gut vorstellen: Er war in sich versunken, mit sich und seinem Elend beschäftigt und schaute diejenigen, die ihm ein Almosen geben sollten, gar nicht an.

Einmal war ich mit irgendeinem Problem beschäftigt und nahm beim Essen meine Umgebung gar nicht so recht wahr. Da sagte meine Frau zu mir: "Es gibt auch noch Menschen!" Ja, es gibt auch noch Menschen, die es gut mit einem meinen, nicht nur Probleme und Nöte. Und vor allen Dingen gibt es auch noch Jesus, der dir helfen kann. Schau doch ihn an! Das heißt: Richte deine Aufmerksamkeit auf das, was er dir sagt. Und was siehst du dann? Den Mann am Kreuz, der aus Liebe zu dir dort alle deine Sünden getragen hat, der bereit ist, sie dir zu vergeben, der auch von ihrer Macht frei machen kann. Und auch den Auferstandenen, den Sieger über den Tod, der auch zu dir spricht: "Mir ist gegeben alle Gewalt, alle Macht im Himmel und auf Erden. ... Und siehe, ich bin bei euch bis an der Welt Ende." Schau auf ihn, der schon so viel für dich getan hat und auch in Zukunft noch mehr tun will. "Du wirst noch Größeres als das sehen", sagte Jesus einmal einem, der ihm nachfolgen wollte, weil er ein für ihn großes Wunder erlebt hatte. Auch du wirst noch mehr mit Jesus erleben, wenn du bereit bist, ihm wieder zu vertrauen, vielleicht mehr als du meinst und erhoffst.

Auch der Gelähmte in unserer Geschichte bekommt mehr, als er sich wünschte und sich träumen ließ. Nur ein paar Almosen, damit wäre er zufrieden gewesen. Aber Petrus hat ihm etwas anderes anzubieten. Er sagt zu dem Gelähmten: "Silber und Gold habe ich nicht, aber was ich habe, das gebe ich dir. Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!"

Unsere Kirchen und Gemeinden wünschen sich in der Regel mehr "Silber und Gold", also mehr Geld, mehr Geld, um die Gemeindehäuser und Kirchen renovieren zu können, mehr Geld, um das Personal bezahlen zu können. Mit Geld kann man in der Kirche viel Segensreiches machen. Aber Geld ist nicht alles und auch nicht das Wichtigste. Worauf kommt es dann in der Kirche an? Was ist denn der wahre Schatz der Kirche?

Vielleicht kennen Sie die Geschichte von Laurentius. Er lebte im 3. Jahrhundert n. Chr in Rom und kümmerte sich um die Alten, Kranken, Behinderten und Mittellosen der christlichen Gemeinde. Dies tat er mit großer Liebe, bis er, wie sein Bischof Sixtus, verhaftet wurde. Die Legende erzählt, dass der Kaiser Valerian einen Schatz der Gemeinde vermutet habe, den Laurentius verwaltete. Innerhalb von 3 Tagen sollte der junge Priester diesen herbeischaffen. Zur angegebenen Frist befanden sich auf dem Hof des Kaiserpalastes Arme, Kranke, Behinderte und Blinde. Dem römischen Kaiser sagte Laurentius: "Siehe, der Hof ist voller goldener Gefäße. Das sind Schätze, die wachsen in aller Zeit. Das Gold, nach dem du verlangst, ist Ursache vieler Verbrechen. Das wahre Gold ist Jesus Christus. Diese aber sind des Lichtes Kinder, der wahre Schatz der Kirche." Der Kaiser fühlte sich betrogen und ließ Laurentius am 10. August 258 n. Chr. auf einem glühenden Rost verbrennen. Er starb mit einem mutigen Bekenntnis zu seinem Herrn Jesus Christus

Das wahre Gold der Kirche ist Jesus Christus, genauer gesagt, die Botschaft von Jesus Christus. Martin Luther drückte diese Erkenntnis in seinen 95 Thesen so aus: "Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes." Und auch die sind ungeheuer wertvoll, die an ihn glauben, auch wenn es Arme, Kranke und Behinderte sind, ja gerade wenn sie es sind. Gerade ihnen gilt Gottes besondere Fürsorge und Liebe.

Das Evangelium ist deshalb so wertvoll, weil es in ihm um einen ganz besonderen Namen geht, um Jesus Christus. In diesem Namen steckt eine ungeheure Kraft, mit der auch die Apostel Petrus und Johannes rechnen. Mutig berufen sie sich in dieser schwierigen Situation darauf, dass Jesu Name nicht Schall und Rauch ist wie alle anderen Namen. Sie wissen: Sein Name ist geladen mit seiner Energie und seiner ganzen Kraft. Petrus und Johannes wussten, dass sie vor dem Gelähmten nicht allein stehen. Sie wussten, dass Jesus da ist auch hier auf der Straße, auch eben im Alltag. Er hatte es ihnen doch selbst versprochen: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Und er hatte ihnen doch zugesagt, dass sie seine Zeugen sind und in seinem Namen Wunder tun durften.

Und wir? Und du? Du darfst ihn doch auch anrufen und mit seinem Erbarmen rechnen, für andere Menschen und auch für dich.

"Wer den Namen des Herrn Jesus anrufen wird, der soll gerettet werden." Der Name Jesus, der im Glauben angerufen wird, ist kein leeres Wort ohne Wirkung. Sondern es geht eine Macht von ihm aus. Wenn ein Richter z. B. ein Urteil im Namen des Volkes spricht, so wird damit die Vollmacht bezeichnet, die hinter seiner Entscheidung steht, nämlich der demokratische Staat, in dem wir leben. Und wenn an sich schwache und sündhafte Menschen wie Petrus im Namen Jesu reden und handeln, so steht die Person hinter ihnen, die von sich gesagt hat: "Mir ist gegeben alle Macht im Himmel wie auf Erden." Aus dieser Vollmacht heraus ruft Petrus dem Gelähmten zu: "Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle." Und das Wunder geschieht. Der Mann kann wieder stehen und gehen. Der Name Jesus, der im Glauben angerufen wurde, hat eine aussichtslose Lage schlagartig verändert.

Bis heute ist es so: Im Namen Jesu werden Gottesdienste angefangen, weil von diesem Namen eine Friedens- und Segensmacht ausgeht, im Namen Jesu werden Menschen getauft und somit in seinen Schutzbereich hineingestellt, im Namen Jesu werden in der Beichte die Sünden vergeben. Wo er genannt wird, hat der Satan ausgespielt. Deshalb konnte ja ein Luther in seinem Lied "Ein feste Burg" dichten: "Ein Wörtlein kann ihn fällen" - das Wort Jesus.

Ich selbst habe die Macht Jesu in meinem Leben immer wieder erfahren dürfen. Ich bin von Unfällen bewahrt geblieben, ich bin durch die Fürbitte von gläubigen Christen gesund geworden, und andere durch meine Gebete, weil der Name Jesu angerufen wurde.

Der Name Jesus wird für jeden zum Heil, der an ihn glaubt. Wenn wir wie Luther sagen: "Ich habe alles auf den Namen Jesus gesetzt", werden wir Hilfe erfahren.

Dabei geht es nicht nur um eine zeitliche Hilfe. Die Wunder des Schutzes, der Bewahrung und der körperlichen Heilung sind nicht das Entscheidende. Es gibt auch eine Hilfe im Namen Jesu, die unsere Ewigkeit betrifft, durch die Vergebung.

Das Wunder der Vergebung ist das entscheidende, das Jesus an einem Menschen tun kann, größer als alles andere Eingreifen Gottes. Vergebung heißt ja: Was auch immer einen Menschen gequält hat an Schuld und Vorwürfen, vielleicht jahrelang, ist total ausgelöscht. Nichts trennt mich von Gott und seiner Liebe.

Gerade wenn es um Vergebung geht, dürfen wir Jesus anrufen und zu ihm sprechen: ""Du, Jesus, bist meine Zuversicht alleine, sonst weiß ich keine."

Auch der Gelähmte in unserer Geschichte hat erfahren, wie sein ganzes Leben durch Jesus heil wurde. Die Erzählung schließt damit, wie der Geheilte Gott lobt. "Er lief und sprang umher und lobte Gott." Aus einem Bettler ist ein Beter geworden. Aus einem Bedürftigen ein dankender Mensch. Wir merken, wie er auch in seinem Wesen ein anderer geworden ist. Er hat ein neues Leben aus Gott gefunden.

Auch wir können unser Leben reicher machen, als es je war. Nicht mit Gold und Silber geschieht das, sondern durch den Namen Jesu Christi. Durch ihn wird es reich und heil zugleich. Darüber dürfen wir staunen und Gott immer wieder neu loben. Amen