Nur der Glaube an Christus zählt

Predigtreihe I – 18.08.2019
9. Sonntag nach Trinitatis
Wochenspruch: Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
Predigtwort: Philipper 3, (4b-6)7-14

Predigt

Liebe Gemeinde,

an diesem Sonntag, der eigentlich unter dem Leitbild „die anvertrauten Gaben“ steht, wurde uns ein Predigtwort aus dem Brief von Paulus an die Philipper vorgegeben. Es steht im 3. Kapitel. Zum besseren Verständnis lese ich aus der Übersetzung „Hoffnung für Alle“:

Aber seit ich Christus kenne, ist für mich alles wertlos, was ich früher für so wichtig gehalten habe.
8 Denn das ist mir klar geworden: Gegenüber dem unvergleichlichen Gewinn, dass Jesus Christus mein Herr ist, hat alles andere seinen Wert verloren. Um seinetwillen habe ich das alles hinter mir gelassen; es ist für mich nur noch Dreck, wenn ich bloß Christus habe.
9 Mit ihm möchte ich um jeden Preis verbunden sein. Deshalb versuche ich jetzt nicht mehr, durch meine eigene Leistung und durch das genaue Befolgen des Gesetzes vor Gott zu bestehen. Was zählt, ist, dass ich durch den Glauben an Christus von Gott angenommen werde. Darauf will ich vertrauen.
10 Um Christus allein geht es mir. Ihn will ich immer besser kennen lernen: Ich will die Kraft seiner Auferstehung erfahren, aber auch seine Leiden möchte ich mit ihm teilen und mein Leben ganz für Gott aufgeben, so wie es Jesus am Kreuz getan hat.
11 Dann werde ich auch mit allen, die an Christus glauben, von den Toten auferstehen.
12 Dabei ist mir klar, dass ich dies alles noch lange nicht erreicht habe und ich noch nicht am Ziel bin. Doch ich setze alles daran, es zu ergreifen, weil ich von Jesus Christus ergriffen bin.
13 Wie gesagt, meine lieben Brüder und Schwestern, ich weiß genau: Noch bin ich nicht am Ziel angekommen. Aber eins steht fest: Ich will vergessen, was hinter mir liegt, und schaue nur noch auf das Ziel vor mir.
14 Mit aller Kraft laufe ich darauf zu, um den Siegespreis zu gewinnen, das Leben in Gottes Herrlichkeit. Denn dazu hat uns Gott durch Jesus Christus berufen.

Wissen Sie welche Personengruppe so richtig nervig sein kann? Es sind die Nichtraucher. Ich bin ja auch einer und natürlich meine ich nicht mich oder Sie. Sondern ich meine die Nichtraucher, welche über Jahre Raucher, ja starke Raucher waren und es nun seit kurzem geschafft haben. Wenn vom anderen Ende im Biergarten etwas Zigarettenqualm herüberweht werden sie schon unruhig. Wenn ein Raucher auf dem Bahnsteig die gelbe Markierung der Raucherzone übertritt, dann möchten sie am liebsten ihn zur Rede stellen. Wie kann man nur so rücksichtslos sein und die Umwelt mit ihrem Qualm verpesten. Können die ihren Mief nicht für sich behalten? Ich will mit diesem Dreck nichts mehr zu tun haben. Denn ich habe es geschafft, ich bin jetzt frei.

Viele Intellektuelle, ja auch viele Theologen unterstellen Paulus einen solchen Charakterzug. Und es ist ja auch naheliegend. Einer der eifrigsten Pharisäer, ein Christenverfolger erster Güte, wird durch Gottes massives Eingreifen bekehrt. Und so hoch wie das Pendel auf der einen Seite stand, soweit schwingt es auf der anderen Seite nun hoch. Alles was früher war, ist jetzt nur noch Dreck.

Wir können diesen Überschwang oft bei Jugendlichen beobachten. An meiner ersten Jugendfreizeit konnte ich aus irgendwelchen Gründen nur die erste Woche teilnehmen. Ein Zimmergenosse war bei meiner Abreise sichtlich entsetzt. Wie konnte ich aus für ihn banalen Gründen nur eine so gesegnete Freizeit vorzeitig verlassen. Ich weiß nicht, was aus dem Jungen geworden ist. Auf jeden Fall habe ich ihn schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr bei christlichen Veranstaltungen gesehen. Ich hoffe, sein religiöses Pendel ist nicht wieder auf die andere Seite geschwungen.

War Paulus wirklich ein Mensch der Extreme? Zuerst ein fanatischer Christenverfolger, dann ein radikaler, kompromissloser Apostel, für den sein bisheriges Leben nur Dreck war. Einer, der keine zweite Meinung zuließ. Der die Wahrheit quasi mit dem Löffel gefressen hat. Gestern noch Pharisäer und heute kritisiert er selbst Petrus, einen Jünger und Apostel der ersten Stunde. Anlässlich des sogenannten Zwischenfalls in Antiochia wirft er Petrus vor, ein Heuchler zu sein.

Wenn man die Apostelgeschichte durchliest, muss man den Eindruck gewinnen, dass seit der Bekehrung von Paulus in Damaskus bis zu seiner ersten Missionsreise nur wenig Zeit vergangen ist. Paulus wird während dieser Zeit nur in 5 bis 10 Versen in der Apostelgeschichte erwähnt. Tatsächlich sind bis zu seiner ersten Reise über 10 Jahre vergangen. 10 Jahre, in denen er sehr zurückgezogen im Gebiet vom heutigen Syrien gelebt hat. Es wird in der Bibel nicht berichtet, was er dort gemacht hat. Es ist aber davon auszugehen, dass er in dieser Zeit sehr intensiv das Alte Testament studiert hat und genau überprüfte, ob das mit Jesus tatsächlich so stimmen kann. Barnabas musste ihn dort suchen und hat ihn dann auf die erste Missionsreise mitgenommen. Und als er mit Petrus in Antiochien in Streit geriet, war Paulus schon 15 Jahre Christ. Und zum Zeitpunkt unseres Briefes waren seit seiner Bekehrung 25 Jahre vergangen. Paulus hat diese Zeilen also nicht in einem Zustand religiöser Euphorie geschrieben nach dem Motto, hurra, ich bin seit 10 Wochen Nichtraucher, sondern er hat seine Leben vor seiner Bekehrung mit den 25 Jahren danach verglichen und kommt zu folgendem Ergebnis:

seit ich Christus kenne, ist für mich alles wertlos, was ich früher für so wichtig gehalten habe.

Aber was hat er denn früher für so wichtig gehalten? Im Gegensatz zu einigen oder vielen von uns hat Paulus vor seiner Bekehrung kein gottloses oder gar zügelloses Leben geführt. Er war von Kindesbeinen an ein frommer Mann, nein, ein sehr frommer Mann, er war Pharisäer. Und trotzdem soll das alles Dreck gewesen sein? Der Theologe Klaus Berger überschreibt in seinem Büchlein über Paulus ein Kapitel mit den Worten: Der lebenslange Pharisäer. Damit will er ausdrücken, dass Paulus seine Erziehung, seine Prägung und Tradition nicht einfach abschütteln konnte, so wie jeder von uns seine Erziehung und die daraus entstandenen Charakterzüge nicht einfach hinter sich lassen kann, auch wenn man das gern möchte. Paulus hatte eine ausgezeichnete jüdische und griechische Ausbildung. Die war auch notwendig und die Grundlage für die Gotteserkenntnis, die sich in seinen Briefen offenbarte. Was war der Grund, der Auslöser, der Paulus dazu bewog, so drastisch über seine Vergangenheit zu urteilen?

Es gab einen Punkt, bei dem konnte Paulus richtig fuchsig werden. Und genau das hatte sich bei den Philippern wieder eingeschlichen. Jüdisch-christliche Wanderprediger hatten die jüdische Gesetzlichkeit verkündet und die hatte um sich gegriffen.

Man könnte sich die Frage stellen: Warum sind Gesetze eigentlich so attraktiv? Den Philippern wurde durch Paulus die Erlösung und Befreiung durch den Tod und die Auferstehung von Jesus verkündigt und kaum ist er weg und Wanderprediger verkünden das Gesetz, ist es wieder so als hätte es die Erlösung durch Jesus Christus nie gegeben.

Warum ist das so? Weil dem damaligen Menschen das Befolgen von Gesetzen und, wenn das nicht geklappt hat, die Tilgung seiner Schuld durch ein Opfer, durch mein Opfer viel näher ist als eine bedingungslose Gnade.

Und warum hören wir heute diese Worte? Weil wir genauso sind wie unsere Mitchristen vor 2000 Jahren.

Dazu eine kleine Anekdote. Gestern hat die Tochter eines befreundeten Ehepaares geheiratet. Was war die Frage meiner Frau, und da ist sie bestimmt nicht allein, an unseren Sohn, der vor drei Jahren geheiratet hat: Was habt ihr damals von den Bekannten eigentlich geschenkt bekommen? Zum Glück hat die Schwiegertochter das alles schön säuberlich dokumentiert und man konnte ein adäquates Geschenk zusammenstellen. Nur nichts schuldig bleiben!

Wir wollen es selber machen. Wir wollen nicht in Abhängigkeit, in der Schuld eines anderen stehen. Und da sind Gesetze so hilfreich. Sie erleichtern das Leben. Ja, wirklich. Das klingt zuerst widersprüchlich. Gesetze sind doch einengend. Sie begrenzen meine Freiheit, werden Sie denken. Das vielleicht schon, aber sie machen mich autark. Ich habe es selber im Griff. Ich bin zwar selber für die Einhaltung des Gesetzes zuständig, aber wenn ich es übertrete, dann kann ich es selber auch wieder zurechtbiegen. Ich bezahle meinen Strafzettel und fertig. Und genauso wie unser Strafrecht war auch das jüdische Gesetz aufgebaut. Für jede der unzähligen Vorschriften gab es auch eine Strafe. Natürlich ist man bestrebt, das Gesetz zuerst einmal einzuhalten, aber zur Not verbüße ich halt die Strafe. Ich brauche niemand anderen, um gerecht zu werden, geschweige denn den Tod von Jesus Christus.

Und diese Zusammenhänge kannte Paulus als Pharisäer natürlich ganz genau. Er wusste, auf was das hinauslaufen wird. Das Gesetz oder wie wir es heute sagen, ein christlicher Lebenswandel klingt so fromm, aber es ist eine ganz große Gefahr damit verbunden. Ich kann mich auf mich selbst verlassen und brauche keine Erlösung durch Jesus Christus. Deswegen schreibt Paulus:

Ich versuche jetzt nicht mehr, durch meine eigene Leistung und durch das genaue Befolgen des Gesetzes vor Gott zu bestehen. Was zählt, ist, dass ich durch den Glauben an Christus von Gott angenommen werde. Darauf will ich vertrauen.

Mehrfach wiederholt er es: Um Christus allein geht es mir.

Und er gesteht von sich selber:

Dabei ist mir klar, dass ich dies alles noch lange nicht erreicht habe und ich noch nicht am Ziel bin. Doch ich setze alles daran, es zu ergreifen, weil ich von Jesus Christus ergriffen bin.

Auch ich falle in diese Gesetzlichkeit immer wieder zurück, sagt Paulus. Denn sie steckt ganz tief in uns drin. Und es ist ja nicht so, dass nur ich alles selber im Griff haben will und jede Schuld auch beglichen werden muss. Ich übertrage dieses Denken ja auch auf den anderen und auf Gott. Natürlich kennen wir Christen alle die theologischen Grundsätze, dass Jesus Christus für unsere Sünden gestorben ist. Aber gilt das wirklich für jede Kleinigkeit, jederzeit, immer wieder auf Neue und in jeder Situation? Irgendwann und irgendwo muss doch Schluss sein.

Heute früh die Stille Zeit verschlampt, da ist es ja kein Wunder, dass es auf der Arbeit so schief läuft. Die Krankheit ist bestimmt ein Weckruf Gottes, dass es so nicht weitergehen kann. Ich muss jetzt erst einmal dieses oder jenes ändern, bevor mich Gott wieder gesund macht. Zuerst ist die Aussprache oder Versöhnung mit meinem Ehepartner oder Bekannten nötig, bevor ich wieder vor Gott treten kann.

All dieses Denken kann sich immer wieder aufs Neue ausbreiten. Und dahinter steckt dann doch wieder das Prinzip: erst die Leistung, dann die Gnade oder Hilfe. Es ist in dieser Situation nicht so einfach wie Gott zu denken.

Ja, der Start in den Tag war heute nicht so optimal, aber wenn ich jetzt während diesem miesen Arbeitstag um die Gegenwart von Jesus Christus bitte, dann ist er da, sofort. Der mitleidende Jesus ist in und während meiner Krankheit bei mir, Weckruf hin oder her. Und Jesus will in das schwierige Gespräch mit meiner Frau oder Bekannten mit hineingehen. Er will schon davor bei mir sein und helfen.

Paulus schreibt: Mit Jesus möchte ich um jeden Preis verbunden sein

Und dazu ist keine Leistung, oder besser, keine Vorleistung notwendig. Es ist gegen unsere Natur zu glauben, dass Gott uns durch Jesus wirklich bedingungslos liebt. Geben wir es auf. Wir können seine Geschenke, seine Liebe zu uns nicht mit unseren guten Taten zurückzahlen. Wir bleiben Gott was schuldig, wenn, ja wenn Jesus Christus unsere Schuld durch seinen Tod und seiner Auferstehung nicht bezahlt hätte. Am Ende bleiben wirklich nur die Worte von Paulus:

Was zählt, ist, dass ich durch den Glauben an Christus von Gott angenommen werde. Nur darauf will ich vertrauen.

Amen.