Warum das Leid, fragt Hiob – Jesus ist die Antwort

Predigtreihe I – 01.09.2019
11. Sonntag nach Trinitatis
Wochenspruch: Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
Predigtwort: Hiob 23,1-17

Predigt

Liebe Gemeinde,

wir haben heute also eine Premiere. Mit der Einführung der neuen Perikopenordnung wurde erstmals ein Wort aus dem Hiob-Buch in die Predigtreihe aufgenommen. Auf der einen Seite ist Hiob natürlich sehr spannend, man hat nur das Problem, dass man nicht weiß, wo man anfangen und wo man enden soll.
Zur Erinnerung kurz die Rahmenhandlung: Hiob war ein reicher Mann, gesegnet mit Frau, zehn Kindern und großem Besitz. In einem Gespräch zwischen Gott und dem Satan lobt Gott Hiobs Gottesfürchtigkeit. Satan fordert Gott heraus und meint, dass liege ja nur daran, dass Gott ihn so reich gesegnet hatte. Um dem Satan das Gegenteil zu beweisen erlaubt Gott ihm, dass er Hiob alle seine Kinder und seinen Besitz nehmen darf. Hiob fällt zwar in tiefe Trauer, aber am Ende steht der bekannte Satz:
Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt!
Danach wiederholt sich die Begegnung zwischen Gott und dem Satan. Wieder lobt Gott die Gottesfürchtigkeit Hiobs. Der Satan gibt sich aber damit noch nicht zufrieden. „Du wirst sehen, wenn du ihm die Gesundheit nimmst, dann ist es aus mit seiner Liebe zu dir.“ Auch diesmal ist Gott von der Liebe Hiobs zu seinem Schöpfer fest überzeugt und er erlaubt dem Satan, dass er ihm alle Krankheiten schicken darf, nur das Leben darf er ihn nicht nehmen.
Diese Geschichte wird am Anfang des Hiob-Buches in zwei kurzen Kapiteln erzählt. Dann folgen 35 Kapitel, welche die Gespräche von Hiob mit seinen Freunden wiedergeben. Grob zusammengefasst besteht der Grundtenor der Freunde darin, dass sein Leid eine Strafe Gottes ist und dass Hiob doch endlich seine Schuld eingestehen soll. Aber Hiob denkt nicht daran. Wir hören eine Antwort Hiobs auf die Vorhaltungen seiner Freunde. Sie steht im 23. Kapitel.

Hiob sagte:

2 »Auch heute muss ich bitter klagen, schwer lastet Gottes Hand auf mir, ich kann nur noch stöhnen! 3Wenn ich doch wüsste, wo ich ihn finden könnte und wie ich zu seinem Thron gelange!
4 Ich würde ihm meinen Fall darlegen und alle Gründe nennen, die zu meinen Gunsten sprechen!
5 Ich wollte wissen, was er mir zur Antwort gibt, und verstehen, was er mir dann sagt. 6Würde er wohl alle Kraft aufbieten, um mit mir zu streiten? Nein! Er würde mir Beachtung schenken! 7So könnte ich meine Unschuld beweisen, und Gott würde mich endgültig freisprechen.
8 Doch ich kann ihn nirgends finden! Ich habe ihn im Osten gesucht – er ist nicht dort, und auch im Westen entdecke ich ihn nicht. 9Wirkt er im Norden, oder wendet er sich zum Süden hin, sehe ich doch keine Spur von ihm; nirgends ist er zu erblicken!
10 Doch er kennt meinen Weg genau; wenn er mich prüfte, wäre ich rein wie Gold. 11Unbeirrbar bin ich dem Weg gefolgt, den er mir zeigte, niemals bin ich von ihm abgeirrt. 12Ich habe seine Gebote nicht übertreten; seine Befehle zu beachten war mir wichtiger als das tägliche Brot.
13 Aber Gott allein ist der Herr. Was er sich vornimmt, das tut er auch, und niemand bringt ihn davon ab. 14So wird er ausführen, was er über mich beschlossen hat; und dieser Plan ist nur einer von vielen, die er bereithält.
15 Darum habe ich Angst vor ihm; wenn ich darüber nachdenke, packt mich die Furcht! 16Ja, Gott hat mir jeden Mut genommen; der Gewaltige versetzt mich in Angst und Schrecken!
17 Doch die Dunkelheit, diese tiefe Finsternis, die mich jetzt bedeckt bringt mich nicht zum Schweigen.«

Welch gewaltige Worte, welche Lyrik. Nicht umsonst gehört das Hiob-Buch allein schon wegen seiner Poesie zu den Hauptwerken der Weltliteratur. Wer die Sprachgewalt noch eindrucksvoller erleben will, kann gerne auf die Luther-Übersetzung zurückgreifen. Aus Gründen der besseren Verständlichkeit habe ich aus der Übersetzung „Hoffnung für Alle“ vorgelesen.

Aber nun zu dem Text selbst. Wie soll man mit der Antwort Hiobs umgehen? Kann man sie denn so stehen lassen? Für das was mir zugestoßen ist, bin ich nicht schuld. Und ich könnte es Gott auch beweisen. Wenn es zur Gerichtsverhandlung käme, müsste er mich freisprechen. Aber, und das ist das zweite große Problem, ich kann ihn nicht erreichen, ich finde ihn nicht. Egal ob ich nach Osten oder Westen, nach Norden oder Süden gehe, nirgends ist er.

Sind wir frei von Sünden? Vor wenigen Minuten haben wir noch unsere Schuld bekannt. War Hiob frei von Schuld? Im Sinne unserer Geschichte: ja. Dazu eine kleine Geschichte aus meiner Kindheit.

Es war in der 5. oder 6. Klasse in der Hauptschule. Unser Klassenlehrer, mit dem ich übrigens auch noch nach meiner Schulzeit ein sehr gutes Verhältnis hatte, musste etwas Wichtiges außerhalb des Klassenzimmers erledigen. Damit wir beschäftigt waren, sollten wir das Fichtelgebirge in unser Heimatkundeheft malen. Das war schnell erledigt. Ein paar Hügel im Hufeisenform und dann grün ausgemalt, fertig. Den Anderen ging es ähnlich und schon war Zeit für sonstigen Unsinn. Als der Lehrer in die Klasse mit einer doch recht lustigen Stimmung zurückkam wollte er unsere Zeichnungen sehen. Nach dem Betrachten meines Eintrags bekam ich eine richtig schmerzhafte Kopfnuss. Warum kann ich mich an diese Geschichte auch nach über 40 Jahren noch so gut erinnern? Es war nicht die körperliche Züchtigung, das war zu der Zeit nicht unüblich. Nein, es war die Ungerechtigkeit. Das Bild war sicherlich nicht das Schönste oder perfekt, aber ich hatte die Aufgabe des Lehrers erfüllte. Deswegen war der kleine Pimpf Erhard Steinlein auf seinen Lehrer richtig sauer und wütend.

Und genau das ist es, was Hiob so umtreibt. Das was ihm alles passiert ist hat nichts mit seinem Lebenswandel, ja mit seinem Leben zu tun. Auch wenn es seine Freunde ihm noch so sehr einreden wollen.

Ich denke, es war C.S. Lewis in seinem Büchlein „Dienstanweisung an einen Unterteufel“. Da wurde ausgeführt, dass der Satan im doppelten Sinne ein Lügner ist. Vermeintliche Schuld oder Ereignisse, für die wir nichts können, an denen wir wirklich unschuldig sind, die macht uns der Satan groß. Unsere wirkliche Schuld, die verharmlost er, die macht er klein und nebensächlich.

Als Beispiel für ersteres kann man das Kind anführen, das sich für die Scheidung seiner Eltern verantwortlich fühlt. Wenn ich doch nur immer brav gewesen wäre, hätten sich meine Eltern bestimmt nicht getrennt. Oder wenn man wegen einer Depression krankgeschrieben wird. „Jetzt reiß dich halt zusammen“, flüstert einem dann der Satan ins Ohr, „gib es doch zu, eigentlich bist du doch nur zu faul und deine Kollegen müssen es ausbaden.“

Auf der anderen Seite werden in unserer Gesellschaft so viele Dinge als akzeptiert und normal angesehen, welche vor Gottes Angesicht nicht zu rechtfertigen sind. Hierzu nur ein paar Stichworte wie Sexualität und Treue, Ehrlichkeit auch bei der Einkommenssteuer und vieles andere. Ich denke, jeder weiß für sich am besten, wo seine kritischen Punkte sind.

Im Buch Hiob wird erstmals in der Bibel diese erste Lüge des Satans behandelt. Und diese Strategie ist bei uns Christen besonders wirksam. Denn eine eingeredete Schuld ist ja nicht vorhanden und kann somit auch nicht vergeben werden. Was Hiob aber noch mehr bedrückte hat, war das Schweigen Gottes.

Ich hoffe, mein nächstes Beispiel haben nicht allzu viele am eigenen Leib erfahren. Die größte Strafe, welche meine Mutter eingesetzt hatte, war das Schweigen. Schimpfen oder auch Schreien, das war in Ordnung. Aber Schweigen war die Höchststrafe.

Doch ich kann ihn nirgends finden! Ich habe ihn im Osten gesucht – er ist nicht dort, und auch im Westen entdecke ich ihn nicht. 9 Wirkt er im Norden, oder wendet er sich zum Süden hin, sehe ich doch keine Spur von ihm; nirgends ist er zu erblicken!

Gott schweigt. Gott schweigt zu dem Leiden Hiob. Und natürlich ist dieses Schweigen Gottes bei Hiob die Vorlage vieler für das Schweigen Gottes zum Leid in dieser Welt überhaupt. Ist das das Wesen Gottes? Fällt ihm zum Leid auf dieser Erde einfach nichts ein? Überlässt er die Welt einfach sich selbst? Wir Christen glauben das nicht. Aber nicht, weil bei Hiob am Schluss alles wieder gut ist.

Gott meldet sich am Ende dann doch zu Wort. Er weist die Freunde zurecht. Sie waren mit ihren klugen Sprüche Hiob keine Hilfe. Gott zeigt aber auch Hiob das Stoppschild. Gott ist allmächtig. Gott ist Gott und du bist ein, ja, du bist mein Geschöpf. Dir steht es nicht zu, dass wir gleichberechtigt zu Gericht sitzen. Hier sitzen nicht Ankläger und Verteidiger. Hier sitzt der Richter und ich entscheide allein. Mit Hiob hatte Gott Erbarmen. Aus Gnade, nicht weil er ein Recht darauf hatte, schenkte Gott ihm am Ende die Gesundheit und mehr Güter als er vorher hatte. Ist es dieser Gott, an den wir Christen glauben?

Beim Studium der Bibel können wir erkennen, dass sich Gott den Menschen, und auch den Gesellschaften Schritt für Schritt offenbart hat. Zum Beispiel wird in der Geschichte, als Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte, gezeigt, dass er, Gott, entgegen den üblichen Gebräuchen Menschenopfer verabscheute. Mit Hiob zeigte er dem Volk Israel erstmals, dass Leid und Krankheit nichts mit Rechtschaffenheit bzw. vermeintlicher Sünde seiner Kinder zu tun hat. Aber die Frage nach dem Leid auf dieser Erde wird bei Hiob nicht beantwortet.

Diese Frage blieb offen, bis Jahrhunderte später ein Mann seinem Vater diese Frage erneut entgegenschrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ schreit der Sohn Gottes am Kreuz. Erst jetzt beantwortet Gott die Frage nach dem Leid. Erst jetzt offenbart Gott wieder einen Teil seiner Herrlichkeit. Erst jetzt offenbart sich Gott nicht nur als der allmächtige Gott, der er war, der er ist und der er immer sein wird. Gott offenbart sich als ein mitleidender Gott. Gott offenbart seine vorletzte Antwort auf das Leid, auf die Krankheit und Schmerzen jedes einzelnen und der Menschheit und Schöpfung insgesamt.

Mit dem Kommen, dem Leiden und Sterben und der Auferstehung von Jesus Christus offenbarte Gott sein wahres Wesen. Er blieb nicht in einer interessanten Diskussionsrunde mit dem Satan irgendwo fern von uns sitzen, nein, er stand auf, er kam in einem Stall auf die Erde und er setzte sich zu den kranken und sündhaften Menschen (denn das sind wir, wir sind sündige Menschen). Und er ging noch weiter. Als Zeugnis, als Beweis dafür, dass ihm das Leid und die Schuld der Menschen wirklich nicht egal sind, teilte er auch das Leid mit uns. Gott selber wurde Hiob und schrie am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Aber nach Gottes Plan waren das eben nicht die letzten Wort sondern nach wenigen Stunden folgte: „Es ist vollbracht!“ Der Tod und die Auferstehung von Jesus Christus sind die Antwort Gottes auf die Sünde und das Leiden der Menschen.

Und diese Antwort Gottes beinhaltet so viel Zuwendung und Liebe zu uns Menschen, dass ich gewiss werden darf: Gott meint es wirklich ernst, ich bin ihm wirklich wichtig. Und das gibt mir die Kraft, Jesus Christus als die vorletzte Antwort anzunehmen. Nun weiß ich wirklich: Gott lügt nicht. Ein Gott, der bis jetzt schon so viel für mich getan hat, dem vertraue ich, dass auch seine letzte Antwort nur Liebe sein kann. Dem vertraue ich, dass all das Leid in meinem Leben oder auf der Welt keine gemeine Willkür Gottes ist, sondern dass es am Ende Sinn macht, auch wenn ich es mit meinem Verstand nicht verstehen kann, auch wenn bei so vielen Ereignissen jetzt noch so viele quälende Fragen unbeantwortet bleiben. Seit Jesus Christus bin ich mir gewiss: die letzte Antwort Gottes wird die Erlösung von allem Übel sein. Die letzte Antwort Gottes ist ewige Herrlichkeit! Das ist gewisslich wahr!

Amen.