Bayreuth, den 13.10.2019 Lukas 19, 1-10

Liebe Gemeinde!

"Ausgegrenzt", das war Zachäus in unserer Geschichte. Ausgegrenzt sein, das ist eine Erfahrung, die sicher viele Menschen schon gemacht haben. 

Das gibt es schon in der Schule. Da werden Kinder gehänselt oder ausgelacht: Weil sie etwas nicht so gut gekonnt haben wie die anderen, wie vielleicht lesen oder rechnen, oder weil ihnen ein Missgeschick passiert ist, oder weil sie nicht so gut im Sport waren. Mobbing nennt man das heute.

Mobbing gibt es überall, überall, wo Menschen zusammenkommen, an den Schulen, in den Familien, an der Uni, auf der Arbeit. Wer gemobbt wird, mit dem spricht man nicht, oder man beleidigt ihn, - neuerdings auch in den sozialen Medien, - oder die Gespräche verstummen, wenn der Gemobbte den Raum betritt, vielleicht weil man gerade über ihn hergezogen hat. Wer gemobbt wird, der gehört nicht dazu.

Auch Zachäus gehörte nicht dazu. In der Stadt, in der er lebte, gehörte er zu den Ausgegrenzten. Man kann es verstehen. Denn er hat alles dafür getan, sich unbeliebt zu machen. Zachäus war Zolleinnehmer. Heute ist das ein ehrenhafter Beruf. Damals galten Zolleinnehmer als Betrüger und Lumpen, die in die eigene Tasche wirtschafteten. Überall wurde zur Zeit Jesu Zoll verlangt: vor einer Brücke etwa oder wenn man als Händler eine Stadt betrat. Da langten die Zolleinnehmer ganz schön zu, oft zu sehr. Dadurch wurden sie reich. Außerdem arbeiteten die Zolleinnehmer mit den verhassten Besatzern zusammen, den Römern.

Klar: Zachäus hatte es zu etwas gebracht und konnte sich eine ganze Menge Sachen kaufen, die sich die meisten seiner Zeit nicht leisten konnten. Er besaß sicher schöne Schuhe und Anziehsachen. Der wohnte auch nicht zur Miete in einem heruntergekommenen Stadtteil sondern lebte in einer vornehmen Villa. Das beste Essen konnte er sich leisten. Und das musste er sicher nicht selber machen sondern er hatte jede Menge Bedienstete, die ihm seine Wünsche von den Augen ablasen.

Doch auch wenn man in seiner Nähe sich immer wieder verbeugte und „Jawohl, Herr Zachäus! Ganz wie Sie wünschen, Herr Zachäus!“ sagte, so spürte er doch: „Die behandeln mich nur so, weil ich reich bin.“ Und auf der Straße wandten sich alle von ihm ab. Keiner wollte mit ihm etwas zu tun haben. Denn er hatte sein Geld nicht auf ehrliche Art und Weise verdient. Er hatte viele Leute betrogen.

Kein anständiger Bürger betrat das Haus des Zachäus. „Zu dem gehen wir nicht!“ sagten sie, „Nicht für 1000 Euro! Denn Zachäus ist ein Lump, ein Betrüger!“

Diese Reaktion ist nur zu verständlich. Wir machen es ja oft genug genauso. Wenn uns etwa jemand übers Ohr gehauen hat, dann wollen wir mit ihm nichts mehr zu tun haben. Wenn uns jemand beleidigt hat, dann reden wir nicht mehr mit ihm. Auch wir grenzen aus.

Die frommen Juden wollten mit Zachäus nichts mehr zu tun haben. Er gehörte nicht mehr zur jüdischen Gemeinschaft dazu. Das gibt es auch heute noch. Auch Menschen, die sich zu einer Kirchengemeinde halten, können sich abschotten. Sie fühlen sich dort wohl. Aber sie sind sich selbst genug. Andere würden nur stören.

Jesus denkt nicht so. Und wir von der Nikodemuskirche wollen auch nicht so denken. Wir wollen uns nicht für besser halten, wollen nicht denken: "Was will denn der hier?" Wir wollen jeden herzlich aufnehmen, der zu uns kommt. Wir freuen uns über ihn. Und das wollen wir ihm auch zeigen, durch gute Worte, durch Freundlichkeit und ein bisschen Gastfreundschaft, wie etwa heute nach dem Gottesdienst. Wer Zeit und Lust hat, ist herzlich zu einem Kirchenkaffee unten im Gemeindesaal eingeladen, natürlich auch und gerade die, die hier in unserer Kirche noch nie oder sehr selten waren.

Wir wollen uns an unseren Gründer orientieren, an Jesus. Er hat niemanden ausgeschlossen. Er ist auf jeden zugegangen. Das war wohl auch der Grund, warum Zachäus Jesus näher kennenlernen oder wenigstens sehen wollte.

Einsam, unglücklich und leer, so war Zachäus. Und er sehnte sich danach, dass ihm jemand seine Last, die er mit sich herumschleppte, abnahm. Instinktiv wendet er sich an die richtige Adresse, an Jesus.

Aber so leicht war das nicht, wenigstens einen Blick auf Jesus zu erhaschen. Dicht an dicht standen die Einwohner von Jericho an der Straße, auf der Jesus durchkommen musste. Zachäus war klein. Niemand ließ ihn durch. In solchen Situationen konnte man den reichen Zolleineinnehmer spüren lassen: Mit dir wollen wir nichts zu tun haben.

Aber Zachäus war clever. Er kletterte auf einen Baum, von dem er hinunterschauen konnte. Dort gab er sicher eine lächerliche Figur ab. Er machte sich zum Gespött der Leute: Der mächtige und reiche Chefzolleinnehmer Zachäus klettert wie ein kleiner Junge auf einen Baum! Er nahm keine Rücksicht auf seine feinen Kleider. Er musste auf den Baum hinauf! Und so baumelten seine viel zu kurzen Beine von einem Ast herunter, um neugierig nach unten schauen zu können.

Dann geschieht das Wunder. Jesus kommt in die Stadt. Die Massen drängen sich um ihn herum. Er schaut nach oben. Der Blick von Jesus fällt auf Zachäus, der oben auf dem Baum sitzt. Und er fordert ihn auf: „Komm schnell herunter! Ich möchte heute dein Gast sein!“ Das waren unglaubliche Worte, die Zachäus da zu hören bekam. Bisher hatte er immer nur zu hören bekommen: „Mit dir wollen wir nichts zu tun haben! Du bist ein Lump, ein Gauner, ein Betrüger!“ Doch dieser Jesus schloss ihn nicht aus. Der schloss ihn in sein Herz, ausgerechnet ihn. Dem bin ich wichtig! Der kennt mich! Ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmte den Zachäus. Wie der Blitz kletterte er vom Baum herunter und nahm Jesus in sein Haus auf.

Es handelt sich hier nicht um eine nette Geschichte, die man gern im Kindergottesdienst oder im Religionsunterricht erzählt. Sondern sie geht uns alle heute noch etwas an. Sie hat mit unserem Leben zu tun, mit unserem Selbstverständnis und unserer Beziehung zu Gott. Manche meinen: In der Kirche geht es nur um Moral. Tu was Gutes! Streng dich an! Setz dich für andere Menschen ein, denen es nicht so gut geht, wie anderen. Tu was fürs Klima! Und iss nicht zu viel! Aber darum geht es nicht, überhaupt nicht!

Ich sag jetzt nicht: Du sollst dich ruhig vollfressen, die Luft verpesten und nichts für andere Menschen tun. Natürlich soll von Christen etwas Gutes und Wohltuendes ausgehen. Aber das ist nicht alles und nicht das Wichtigste, worum es hier in dieser Kirche geht. Wir reden hier in unseren Gottesdiensten vor allen Dingen von der Kraftquelle, die uns zu all dem Guten befähigt, das wir tun sollen. Das ist Jesus. Er ist der Herr der Kirche, heute noch. Er ist der Lebendige und Auferstandene, der heute noch in dein Leben kommen kann. Dies geschieht durch sein Wort. Jeder kann in diesem Gottesdienst seine Stimme hören. Er redet zu uns, wenn wir einen Abschnitt aus der Bibel vorlesen und wir eine Predigt hören. In seinem Namen spreche ich zu Ihnen. Vor dem Gottesdienst bete ich mit einigen von der Gemeinde darum, dass dieses Wunder auch geschieht: Dass in einem Gottesdienst nicht nur menschliche Gedanken und Worte zu hören sind sondern dass Jesus mit Ihnen redet. Auch heute habe ich im Namen Jesu eine gute Nachricht weiterzusagen:

Dieser Jesus nimmt auch Sie so an, wie Sie sind. Sie müssen keine Rolle spielen, müssen ihm nichts vormachen, müssen keine Leistung bringen. Sondern Sie dürfen sich bei ihm so geben, wie Sie sind, auch mit Ihren Fehlern, mit Ihren Ecken und Kanten.

Sich so zu geben, wie man ist, ist für Gott sehr wichtig. Es ist leider sehr selten. Wir haben die Neigung, uns für supertoll zu halten. Aber das ist nicht ehrlich. Wir haben Angst, unsere Fehler zuzugeben. Aber das ist ein falscher Stolz. Und ein unnötiger Stolz. Bei Jesus dürfen Sie Ihr Versagen zugeben. Es ist sogar so: Er kann nur dann mit Ihnen etwas anfangen, wenn Sie das tun. Die Leute regten sich auf, als Jesus zu dem Zachäus ging. Der ist doch ein Lump, ein Betrüger! Aber Jesus sagte: Gerade für solche Menschen bin ich da, für die Versager, für die Sünder. Die will ich retten.

Menschen können wir etwas vormachen, Gott nicht. Er sieht hinter die Masken, die wir uns oft aufsetzen, um uns dahinter zu verstecken, damit die anderen nicht sehen, wie dreckig es uns eigentlich geht. Er sieht hinter einem netten, freundlichen Frauengesicht jemand, die sich nach wahrer Liebe sehnt. Wie cool und selbstsicher und abgeklärt können wir Männer uns geben. Aber Gott sieht dahinter jemand, der nach Halt und Geborgenheit sucht.

Vor Gott brauchen Sie kein Theater zu machen. Sie können mit offenen Karten spielen. Sie können zu ihm kommen, wie Sie sind. Mit allem Pfusch, mit allem Mist, den Sie gebaut haben. Mit aller Schuld. Und das ist mehr, als Sie vielleicht meinen. Vor Gott zählt nicht nur das als Schuld, wofür Sie ins Gefängnis kommen. Da zählen auch die abschätzigen, beleidigenden Worte, sogar alle gemeinen Gedanken. All das trennt Sie von Gott. Es trennt Sie für immer von Gott.

Gott will einen ehrlichen Menschen. Und er schmeißt Sie nicht raus, wenn Sie zu ihm kommen, wie Sie sind. Ganz im Gegenteil, er freut sich auf Sie. Haben Sie schon einmal Liebeskummer gehabt, dieses nagende Gefühl an der Seele, die Sehnsucht nach einem, der nichts von Ihnen wissen will? So geht es Gott mit Ihnen! Er sehnt sich nach Ihnen. Und er ist froh, wenn Sie endlich zu ihm kommen. Ist Gott so auf uns angewiesen? Nein, er braucht uns nicht. Aber er weiß: wir brauchen ihn, um glücklich zu werden!

Es gibt jemand, der hat Sie lieb, wer Sie auch sind, in welcher Lage Sie auch sind, was Sie auch getan haben. Er steht unbeirrbar auf Ihrer Seite.

Jesus hat an uns als einzelnen größtes Interesse. Er übersieht keinen. Damals in Jericho hat er einen Zachäus nicht übersehen, obwohl der sich auf einen Baum versteckt hat. Gerade ihn hat er nicht übersehen, weil er gespürt hat: Der braucht mich. Der braucht meine Liebe, meine Vergebung. Ich will Sie ganz persönlich fragen: Brauchen Sie das auch, Vergebung, Trost, Mut machende Worte, die Erfahrung einer ganz besonderen, eben göttlichen Liebe? Wenn Sie mit "Ja" antworten, habe ich eine gute Nachricht für Sie. Sie dürfen tatsächlich etwas von seiner Liebe erfahren: von seiner Vergebung, seinem Trost, von manchen innerlichen Befreiungen, von Hilfen und Bewahrungen.

Ein Pfarrer begleitet einmal einen jungen Mann nach Hause. Sie kommen in ein offenes, tiefes Gespräch. Schließlich sagt der junge Mann unvermittelt: „Wenn Sie wüssten, wer ich bin, würden Sie mich nicht begleiten.“ Der Pfarrer fragt erstaunt: „Warum?“ Der junge Mann will zunächst diese Frage nicht beantworten, doch schließlich gesteht er zögernd dem Pfarrer ein Verbrechen, das er begangen hatte. Dann wird aus dem Bekenntnis eine Anklage: „Mich hat in meinem ganzen Leben noch nie jemand geachtet! Mich hat in meinem ganzen Leben noch nie jemand lieb gehabt!“

Da erwidert der Pfarrer: „Das ist nicht wahr. Ich weiß einen, der hat Sie hoch geachtet. Dem sind Sie so viel wert, dass er sein Leben für Sie gelassen hat. Das ist Jesus, der Sohn Gottes. Und nun hören Sie gut zu: Wenn Sie heute Abend zu Bett gehen, dann soll das ganz groß vor Ihnen stehen: Jesus hat mich lieb. Und Sie können ans Ende der Welt laufen, dann läuft Jesu Liebe und Barmherzigkeit hinter Ihnen her. Und ich bitte Sie: Laufen Sie dieser einzigen Liebe in Ihrem Leben nicht weg. Nehmen Sie sie an!“

Groß sieht der Mann den Pfarrer an. Langsam laufen ein paar Tränen über sein Gesicht. Dann geht er weg. Dieser Mann hat wohl etwas gespürt von dieser Liebe Jesu zu ihm, die sogar ihm, einem Verbrecher, galt.

Jeder Mensch braucht diese Liebe. Wir alle sind auf sie angewiesen.

Deshalb können wir nichts Besseres tun, als diese Liebe anzunehmen. Denn nirgendwo anders bekommen wir das, was uns Jesus geben kann: Vergebung auch für die größte Schuld, einen Neuanfang auch nach den größten Fehltritten, Trost auch im tiefsten Kummer, Leben auch nach dem Tod.

Das hat auch der Zachäus begriffen. Er hat diese Liebe angenommen und geglaubt. Diese Liebe machte ihn zu einen anderen Menschen. Vor der Begegnung mit Jesus war er jemand, dem es nur ums Geld ging. Er schreckte auch vor Lug und Trug nicht zurück, um noch reicher zu werden, als er schon war.

Aber nun war das anders. Auf einmal rücken die Armen in sein Blickfeld, an die er vorher überhaupt nicht gedacht hatte. Die Hälfte seines Vermögens will er ihnen schenken. Dann denkt er an die, die er übers Ohr gehauen hatte. Ihnen will er das, was er zuviel verlangt hatte, wieder zurückerstatten. Seine Worte klingen nicht zähneknirschend sondern geradezu fröhlich. Es scheint ihm nichts auszumachen, einen Großteil seines Vermögens loszulassen.

Eine erstaunliche Veränderung, ausgelöst durch die Begegnung mit der Liebe Jesu. Solche Veränderungen sind kein Einzelfall sondern eher der Regelfall. Die Liebe Jesu verändert: Sie macht fröhlich, freigebig, freundlich, liebenswerter.

Christen sind deshalb keine perfekten Menschen. Leider verlieren sie immer wieder diese Liebe oder vergessen sie. Deshalb reicht es nicht aus, nur einmal von dieser Liebe zu hören sondern immer wieder. So reicht es ja auch nicht aus, nur einmal zu trinken, wenn wir durstig geworden sind. Wir müssen es immer wieder tun.

Gott sei Dank können wir jeden Sonntag im Gottesdienst und auch unter der Woche jeden Tag uns mit Jesus im Gebet verbinden und ihn bitten: "Gib mir wieder deine Liebe. Ich brauche sie." Er schenkt sie Ihnen. Amen