Predigt: Die blinden Jünger und der sehende Bettler

Predigtreihe II – 23.02.2020

Estomihi

Wochenspruch: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.

Predigtwort: Lukas 3, 31-43

Predigt

Liebe Gemeinde,

meine Worte in der Begrüßung haben sich bestätigt. Die Lieder und auch die Lesung waren nicht unbedingt faschingstauglich. Und das setzt sich mit unserem Predigttext fort. Er steht bei Lukas im 18. Kapitel und beginnt mit unserem Wochenspruch:

31 Jesus nahm zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.
32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden,
33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen.
34 Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war.
35 Es geschah aber, als er in die Nähe von Jericho kam, da saß ein Blinder am Wege und bettelte.
36 Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre.
37 Da verkündeten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorüber.
38 Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
39 Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
40 Jesus aber blieb stehen und befahl, ihn zu sich zu führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn:
41 Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann.
42 Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.
43 Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.

Liebe Gemeinde,

ich denke, es ist auffällig, dass unser Predigttext aus zwei Teilen besteht, welche auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten haben. Die zwei Geschichten stehen auch in den Evangelien von Markus und Matthäus. Da sind sie aber durch eine andere Erzählung voneinander getrennt. Nur hier im Lukasevangelium folgen sie direkt hintereinander.

Der erste Teil ist die sogenannte dritte Leidensankündigung. Jesus nimmt seine 12 Jünger zur Seite und prophezeit ihnen, was geschehen wird. Sie werden jetzt von Jericho nach Jerusalem gehen. Dort wird er von den Verantwortlichen seines Volkes an die Römer ausgeliefert werden. Sie werden ihn foltern und dann töten. Aber am dritten Tag wird er auferstehen. Noch Fragen? Nein, keine Fragen, denn die Jünger verstehen nur Bahnhof. Was soll das Gerede von Folter und Tod? Es läuft doch gerade so gut. Das Volk jubelt ihnen zu.

Und bei Lukas folgt dann direkt im Anschluss die Geschichte von Bartimäus, wie der arme, blinde Bettler in einem anderen Evangelium genannt wird. Bartimäus merkt, dass irgendetwas los ist. Es herrscht Aufruhr in den Straßen von Jericho. Die Leute erzählen ihm, dass Jesus aus Nazareth in der Stadt ist. Auch er hat schon von ihm gehört. Das ist doch der Sohn Davids, also der Messias, der Retter der Juden denkt, er sich. Dieser Retter, dieser Heiland kann doch bestimmt auch ihm helfen. Deswegen fängt er an, nach Jesus zu rufen. Die Leute wollen ihn zum Schweigen bringen. Mit deinem Geschrei können wir ja nicht verstehen, was Jesus uns zu sagen hat, werden sie vielleicht gedacht haben. Aber das stört Bartimäus nicht. Er schreit immer lauter. Und Jesus hört ihn. Er ruft ihn zu sich und heilt ihn. Bartimäus kann wieder sehen.

Es sind zwei Geschichten. Zum einen geht es um die 12 Jünger, die Jesus in ein tiefes Geheimnis einweiht und die einfach nicht sehen wollen, was da auf sie zukommt. Und es geht um einen Blinden, der wieder sehen kann. Es geht also um 13 blinde Männer. In unserer Predigt geht es um Blindheit. Es geht darum, was uns blind macht und was uns wieder die Augen öffnet.

Wir machen jetzt einen großen, vielleicht auch etwas gewagten Sprung. Und ich hoffe, Sie können sich darauf einlassen. Für die meisten Männer ist der Sprung etwas kürzer als für viele Frauen. Es geht um Fußball.

Folgen Sie mir bitte ins Hans-Walter-Wild-Stadion. Die Oldschdod, also die Altstadt (Spielvereinigung Bayreuth), hat ein wichtiges Regionalligaspiel. Wir stehen auf der neuen, überdachten Tribüne, nur wenige Meter von der Außenlinie entfernt. Man hat da einen super Blick, das kann ich Ihnen aus eigener Anschauung versichern. Unser Oldschdäder Stürmer läuft mit dem Ball am Fuß an unserer Außenlinie entlang. Das wird ein gefährlicher Angriff. Da rauscht der gegnerische Abwehrspieler im Tiefflug heran und knallt den Ball praktisch vom Fuß unseres geliebten Oldschdäders ins Aus. Unser Spieler fliegt in weitem Bogen auf den Rasen und bleibt erstmal liegen. Der Schiedsrichter pfeift.

Für uns Fans ist die Sache ganz klar, ist ja direkt vor unseren Augen passiert. Foul! Mindestens Gelbe Karte, wenn nicht sogar Rot! Und was gibt der Schiedsrichter? Einwurf für die Oldschdod, kein Foul.

Was passiert jetzt? Ein Geschrei der Fans hebt an und es folgen die übliche Bezeichnung für einen Schiedsrichter wie aus einer Kehle: Du Blinder, du hast doch Tomaten auf den Augen, du hast wohl deine Schiedsrichterlizenz im Lotto gewonnen. Bis hierher zitiere ich, alles andere lasse ich jetzt weg. Aber beim entscheidenden Punkt sind sich alle einig. Hunderte Bayreuther Fans haben es mit den eigenen Augen gesehen. Das war Foul! Es kann ja sein, dass unser Stürmer etwas zu hoch und weit geflogen ist. Und ob der gegnerische Verteidiger auch die Beine unseres Spielers getroffen hat oder nur den Ball kann man jetzt auch nicht mehr beschwören. Zumindest war es nicht ganz so schlimm, denn unser Stürmer steht auch schon wieder. Aber das war Foul, ganz eindeutig. Und der Schiedsrichter ist ein Blinder, der hat keine Ahnung von Fußball!

100 Fans, die die Szene ganz genau gesehen haben und ein blinder Schiedsrichter. 12 Jünger, die ganz nahe bei Jesus waren, die alles mit ihm erlebt haben und eine armer, blinder Bettler.

Oder könnte es tatsächlich sein, dass sich hundert Fans getäuscht haben, dass sie verblendet waren und nur der Schiedsrichter den Durchblick hatte? Den 12 Jüngern hat Jesus nun schon zum dritten Mal erklärt was mit ihm passieren wird. Dass das alles schon die Propheten vorhergesagt haben, „es steht geschrieben“ sagte Jesus zu ihnen und sie glaubten ihm nicht. Ja, auch als es dann tatsächlich passierte, verstanden sie nichts. Und der blinde Bettler, ihm wurden die Augen geöffnet, er kann sehen! Was macht uns blind und was öffnet uns die Augen?

Was macht blind?

Unsere Sprache ist da ja sehr bildhaft. Der Mann oder die Frau ist blind vor Eifersucht, heißt es. Er oder sie sehen nicht mehr die Liebe ihres Partners. Wenn dann der Mann zum Beispiel seiner Frau Blumen schenkt, wird das nicht mehr als Zeichen der Zuneigung interpretiert. Nein, der hat bestimmt nur ein schlechtes Gewissen, denkt sich die eifersüchtige Frau. Ich bin mir sicher, er hat eine Affäre.

Oder Hass kann blind machen. Zu was das führen kann, mussten wir hier in Deutschland erst wieder in dieser Woche erleben. Ein Mann wird durch den Hass auf andere Bevölkerungsgruppen, egal ob auf Deutsche mit Migrationshintergrund oder jüdische Mitbürger oder Flüchtlinge so verblendet, dass er nur noch Tod und Vernichtung sieht. Er sieht nicht mehr, dass er das Leben, die Freude, die Zukunft von völlig unschuldigen Menschen zerstört. Er sieht nicht das Leid, das er den Hinterbliebenen zufügt. Geschockt müssen wir beobachten, wie bei Menschen das Gefühl einer scheinbaren oder auch tatsächlichen Benachteiligung zu einer stillen Wut führt. Und wie daraus ein blinder Hass erwächst, der zu unfassbaren Taten befähigt.

Ja, tief in uns drin verwurzelte Charakterzüge oder Veranlagungen können ins Böse umkippen und zu einer Blindheit führen, über die bestimmt jeder bei sich selbst schon erschrocken ist.

Aber es sind nicht nur so offensichtlich negative Eigenschaften, die uns erblinden lassen. Bei den Jüngern und bei unseren Fußball-Fans wurde die Blindheit nicht durch Hass oder Eifersucht ausgelöst, sondern durch das Gegenteil. Unsere Fußballfans lieben ihre Oldschdod. Die gegnerische Mannschaft ist ein Gegner, aber kein Feind. Und in unserer kleinen Szene ging es primär darum, dass unserem Spieler kein Leid zugeführt wird und wenn, dann muss das halt bestraft werden.

Und bei den Jüngern? Natürlich haben sie Jesus geliebt. Sie haben Jesus so sehr geliebt, dass sie alles für ihn gemacht hätten, dachten sie zumindest. Wir müssen uns nur Petrus ansehen, wie vorhin in der Lesung. Er wollte Jesus beschützen und im Garten Gethsemane hat Petrus für Jesus gekämpft. Und Liebe ist doch etwas Positives, uneingeschränkt. Glaube, Liebe, Hoffnung, aber die Liebe ist das Höchste, schrieb Paulus. Also nochmal die Frage: Kann denn Liebe blind machen? Oder anders ausgedrückt, wir haben ja Fasching, kann denn Liebe Sünde sein?

Was ist Liebe? Das ist natürlich ein riesiges Thema. Für uns heute nur so viel: Liebe meint den anderen, die Liebe sucht den anderen, sie will für den anderen nur das Beste. War das bei den Jüngern so? Oder war Jesus für die Jünger nur die Erfüllung ihrer Wünsche, ihrer Sehnsüchte? Endlich war er da, der Retter, der Messias. Und endlich wird er das umsetzen, was wir uns die ganze Zeit erhofft haben. Er wird uns befreien von den Römern. Wir werden endlich siegen, dachten sich die Jünger. Wir wollen siegen, denken sich die Fans der Oldschdod. Und alles was dem widerspricht, das sehen wir nicht, das blenden wir aus. Auf dem Auge sind wir blind.

Nein, damals in Jericho konnten die Jünger Jesus noch nicht völlig selbstlos lieben. Sie hatten Wünsche und Sehnsüchte und diese mussten erfüllt werden so wie sie sich das vorgestellt hatten. Und wenn Gottes Plan und Vorsehung davon abwich, dann konnte es eben nicht Gottes Plan sein. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und das macht blind für den Willen Gottes.

Und unser blinder Bettler Bartimäus? Er hatte doch auch Sehnsüchte und Wünsche, ganz konkrete. Er wollte sehen und Jesus hat ihm seinen Wunsch erfüllt. Jesus hat ihn geheilt, er konnte wieder sehen. Wo ist der Unterschied zu den blinden Jüngern? Jesus gibt ja selbst die Antwort: Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.

Dein Glaube hat dir geholfen, sagt Jesus. Für uns Christen ist das ja fast ein banaler Satz. Klar, wir müssen glauben, damit uns überhaupt geholfen werden kann. Und die Jünger haben ja auch geglaubt. Und doch gibt es einen ganz großen Unterschied zwischen dem Glauben der Jünger, die tagtäglich mit Jesus zusammen waren, und dem Glauben von Bartimäus, der das erste Mal überhaupt mit Jesus in Kontakt trat.

Sie erinnern sich: Bartimäus schrie die ganze Zeit nach Jesus. Und was schrie er: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Immer wieder dieser Satz, erbarm dich meiner. Er schrie nicht: „Herr, bitte heile mich, ich bin blind“ oder „Herr, ich will wieder sehen können.“ Nein, er schrie nur: Jesus, erbarme dich meiner. Dann ließ Jesus ihn kommen und fragte ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Und erst da sprach Bartimäus seinen Wunsch aus: Herr, dass ich sehen kann.

Es ist ein großer Unterschied, ob ich mit fertigen Wünschen oder zarten Forderungen vor Jesus trete oder ob ich um Erbarmen bitte, ja, nur noch um Erbarmen schreien kann. Da gibt es keine Wünsche und Forderungen mehr, die man natürlich immer schön fromm verpackt hatte. Am Anfang erwähnte ich, dass bei den anderen Evangelien unsere zwei Geschichten durch eine weitere Geschichte getrennt wurden. Dabei ging es um den unsäglichen Streit der Jünger, wer denn zur Rechten und Linken von Jesus sitzen darf. So plump sind wir natürlich nicht. Wir haben uns da unsere Formulierungen zurechtgelegt. „Mach doch bitte das oder jenes, wenn es dein Wille ist“ oder „Herr, es kann doch nur dein Wille sein, dass dieses oder jenes passiert“. Aber insgeheim wissen wir doch, was für uns richtig ist.

Aber das hat alles nichts mit dem Schrei nach Erbarmen zu tun. Dieser Schrei stellt keine Bedingungen. Dieser Schrei führt zum Glauben, zum wahren Glauben, zum Glauben, den sich Jesus von uns wünscht. Und nur dieser Glaube kann auch heil machen, dieser Glaube kann verändern, weil Gott selbst verändern kann. Dieser Glaube trägt dann auch in den Lebensphasen, in denen kein Ende der dürren Zeit absehbar ist. Dieser Glaube geht mit nach Jerusalem, er führt durch den Tod zum ewigen Leben. Diesen Glauben wünsche ich Ihnen und mir.

Amen.