Bayreuth, den 10.4.20 2. Korinther 5,19-21

Liebe Gemeinde! 

„O happy day“, vermutlich kennen die allermeisten von uns dieses mitreißende, ungemein fröhliche Lied. Die Edwin Hawkins Singers machten es vor 51 Jahren zum Welthit. „O happy day“ heißt übersetzt „Was für ein glücklicher Tag“. Was für ein Tag ist gemeint? Es ist der Tag, an dem, wie es in dem Lied weiter heißt, Jesus meine Sünden wegwusch. Es ist der Karfreitag. Dazu passt, dass im Englischen der Karfreitag „good friday“ heißt, also der „gute Freitag“, ein Tag, an dem Grund haben, uns zu freuen. Der Karfreitag ist ein Freudentag!

Vielleicht verwirrt den einen oder anderen diese Aussage. Das „Kar“ im Karfreitag leitet sich vom mittelalterlichen Wort für Klage und Trauer ab. Und ist nicht der Karfreitag einer der traurigsten christlichen Feiertage überhaupt?

Sicher, es geht um den Tod eines Mannes, um den grausamen Tod eines Mannes. Ein Unschuldiger wird hingerichtet. Bei lebendigem Leibe und vollem Bewusstsein nagelte man ihn an ein Kreuz fest. Nackt bis auf die Haut präsentierte man ihn der höhnischen Volksmenge. Die Sonne verlor ihren Schein. Sie trauerte gewissermaßen mit. Dieser Tod war natürlich keine fröhliche, sondern eine ungeheuerliche Angelegenheit.

Trotzdem: Karfreitag ist ein Freudentag. Es ist der Tag, an dem Jesus unsere Sünden wegwusch, an dem die Versöhnung der ganzen Menschheit mit Gott geschah. Wenn das kein Grund zum sich Freuen ist!

Auf dem Weg zu seiner Hinrichtungsstätte weinten Frauen über Jesus. Dieser lehnte aber diese Art von Trauer ab. Er sagte: „Ihr Frauen von Jerusalem! Weint nicht über mich! Weint über euch selbst!“

Es ist also am Karfreitag schon Trauer angebracht, aber nicht über Jesus, sondern über uns selbst, über unsere Sünde, die Jesus ans Kreuz gebracht hat. Jesus musste sterben, damit das, was Paulus hier in unserem Predigtabschnitt „Versöhnung“ nennt, geschehen kann, Versöhnung zwischen Mensch und Gott.

Ich weiß, auf moderne Ohren klingen solche Sätze wie aus einer anderen Welt, primitiv, altertümlich. Kann denn Gott erst vergeben, wenn er Blut sieht, noch dazu das seines eigenen Sohnes? So sehen das auch manche modernen Theologen. Sie wollen von einem Sühneopfer Jesu nichts mehr wissen.

So einfach wollen wir es uns nicht machen: Dass das nicht mehr ernst genommen und abgeschafft wird, was uns sperrig und unverständlich vorkommt. Aber bei näherem Betrachten ist es hoch aktuell. Das gilt auch für den scheinbar veralteten Begriff „Sünde“.

Das Wort „Sünde“ ist aus unserem Sprachgebrauch nahezu verschwunden. Wir sprechen nur noch von „Verkehrssündern“ oder sündigen, wenn wir zu viel gegessen haben. Und im kirchlichen Bereich, in dem man noch von Sünde spricht, bedeutet sie Übertretung der Gebote Gottes. Aber selbst das ist immer noch viel zu harmlos von der Sünde gesprochen.

Ich denke an eine Szene aus dem Film „Schwarze Steine“, den wir oft auf Konfirmandenfreizeiten gezeigt haben. Ein Christ versucht, seinem Freund und Arbeitskollegen zu erklären, dass Jesus in diese Welt gekommen ist, um Sünden zu vergeben. Der Freund wendet abfällig ein: „Sünde? Die gab’s doch nur im Mittelalter!“ Daraufhin erwidert der Christ: „So, du meinst, Sünde gab es nur im Mittelalter? Woher kommen denn dann Krieg und Streit, Missverständnisse zwischen Menschen, Hass und Unversöhnlichkeit, Ehebruch und Scheidung? Die Ursache dafür ist die Sünde!“

Sünde ist bis auf den heutigen Tag etwas Hochaktuelles. Sie ist in erster Linie nichts Moralisches, wie bestimmte böse Dinge, die ich getan habe. Dann könnte ich mich ja herausreden und sagen: „Ich habe ja nicht viel Schlimmes getan. Ich bin doch kein Sünder.“ Sünde ist in erster Linie eine Beziehungsstörung. Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist zutiefst gestört, ja zerstört. Da herrscht Misstrauen statt Glauben, Angst vor Gott statt kindlichem Vertrauen, Gleichgültigkeit statt Liebe, Funkstille statt Gebet. Das ist der Grund, warum es oft im Verhältnis zu den Mitmenschen knirscht, warum so viel Böses in unserem Leben die Macht über uns hat. Die eigentliche Ursache ist das gestörte Gottesverhältnis, die Sünde. Wir sind so kaputt und verloren, dass selbst ein liebender Gott nicht so einfach über diese Sünde hinweggehen kann. Durch die Sünde geht so ein tiefer Riss zwischen Schöpfer und Menschheit, dass nur Gott selbst diese von Grund auf zerstörte Beziehung wieder heil machen kann.

Wir schaffen es nicht, von der Sünde loszukommen. Sie wird uns immer wieder schuldig werden lassen. Und wie kommen wir heraus aus diesem Teufelskreis? Was müssen wir da machen? Wir müssen überhaupt nichts machen. Wir können auch nichts machen. Sondern Gott muss etwas tun. Und er hat auch etwas getan. „Gott war in Christus“, schreibt hier Paulus, „und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu.“ So ernst ist die Sünde. So ernst nimmt Gott die Sünde, dass er selbst eingreift. Aus Liebe. Denn er will nicht, dass auch nur ein einziger Mensch wegen seiner Sünde ewig von ihm getrennt bleibt.

Es ist wichtig, genau hinzuhören, was Paulus hier sagt. „Versöhnung“ ist nicht so eine Art Wiedergutmachung, wie wir sie in Gerichtsverfahren kennen. Da verursacht einer einem anderen einen Schaden, wie an seinem Körper oder seinem Eigentum. Und jener muss nun diesem Schadensersatz zahlen.

Jesus ist nicht der „Schadensersatz“ für den Schaden, den wir Gott zugefügt haben. Sondern es geht um mehr. Der Schaden der Sünde ist so groß, dass nur Gott selber ihn beseitigen kann. Er selbst trägt in seinem Sohn Jesus die Strafe, die wir verdient haben. Er selbst geht am Kreuz buchstäblich durch die Hölle, damit wir nicht hineinkommen. Billiger geht es nicht.

Gott ist gnädig, unglaublich gnädig. Aber es gibt keine billige Gnade. Auch wenn wir es nicht verstehen können: Versöhnung kostet Jesus, dem Sohn Gottes, das Leben.

Zu Pfarrer Axel Kühner kam eine Frau zu ihm und sagte schnippisch: „An einen barmherzigen Gott im Himmel glaube ich auch, aber einen gekreuzigten Jesus brauche ich nicht. Ein leidender, blutiger Christus am Kreuz ist mir zu unappetitlich und zuwider! Er versucht ihr zu erklären, warum der barmherzige Gott im Himmel und der gekreuzigte Jesus eins sind.

Er erzählte der Frau von einem schweren Grubenunglück Es ereignete sich im Sommer 1988 in Borken. Eine furchtbare Explosion zerstörte einen Stollen. Eine fieberhafte Rettungsaktion begann. Grubenwehren aus ganz Deutschland suchten nach Überlebenden und bargen Tote. Fünfzig Bergleute kamen ums Leben. Als kaum noch Hoffnung auf Überlebende bestand, entdeckte man sechs Männer, die sich in ein Stollenende hatten retten können. Man begann zu rechnen und zu planen. Dann wurde eine Bohrung niedergebracht. Und schließlich, nach langen Stunden von Bangen und Hoffen, drangen die Retter zu den Verschütteten vor. Die Retter kamen dreckig, verschwitzt in der gleichen Kleidung und unter Einsatz ihres Lebens zu den Eingeschlossenen und brachten sie vorsichtig und mit viel Mühe ans Tageslicht.

Was hätte den Bergleuten in ihrer Angst und Todesnot, in ihrer Dunkelheit und Bedrohung ein schön angezogener Bergwerksdirektor über Tage genützt? Die Retter kamen zu den Gefangenen herab, sie kamen in die gleiche Not und Dunkelheit hinunter. Sie trugen die gleiche Kleidung und wurden mit den Bergleuten eins. Nur so konnten sie sie retten. Ob die Befreiten sich am Dreck und Schweiß ihrer Retter gestört haben?

Gott will uns aus unserer tiefen Todesnot retten. Tief steigt er darum herab, bis zum Kreuz auf Golgatha erniedrigt sich Gott. Das Blut seines Sohnes ist ihm nicht zu teuer. Wer sich daran stört, hat noch nicht begriffen, wie tief verloren er ist. Der blutende Christus am Kreuz ist nicht schön. Aber er ist unsere einzige Rettung. Gerade im Leiden von Jesus kommt die Barmherzigkeit Gottes zum Ausdruck. Es geht hier nicht um Ästhetik, sondern um unser Überleben. Und dazu brauchen wir den Gekreuzigten.

Brauchen wir ihn auch? Brauchen wir seine Liebe, seine Vergebung? Es ist unsere Entscheidung, zu dem Angebot der Versöhnung „Ja“ zu sagen oder sie abzulehnen. Es ist die wichtigste Entscheidung eines Lebens. Es gibt ein ewiges Verlorensein. Aber niemand geht wegen seiner Sünde verloren, sondern nur deshalb, wenn er von dem Angebot der Versöhnung nichts wissen will.

Ganz dringlich ruft Paulus auch in unserem Predigtabschnitt zur Entscheidung. „Lasst euch versöhnen“, sagt Paulus hier in Vers 20. Und im darauffolgenden Vers schreibt er sinngemäß: Willigt doch ein in diesen wunderbaren Tausch: Jesus gibt euch seine Gerechtigkeit. Und ihr könnt ihm eure Sünde geben.

Luther sprach mit ähnlichen Worten vom „fröhlichen Wechsel“:

"Das, was Christus hat, das ist Eigentum der gläubigen Seele; das, was die Seele hat, wird Christi Eigentum. Hat Christus alle Güter und alle Seligkeit, so sind sie der Seele eigen; hat die Seele alle Untugenden und Sünden auf sich, so werden sie Christi Eigentum. Hier hebt nun der fröhliche Tausch und Wechsel an." Fast herausfordernd fährt Luther fort: "Ist nun das nicht ein fröhlicher Hausstand, wenn der reiche edle Bräutigam Christus das arme, verachtete, böse Hürlein zur Ehe nimmt und sie von allem Übel losmacht und mit allen Gütern ausstattet?"

Niemand von uns braucht nun schüchtern zu fragen: Gilt das auch mir? Gibt Jesus auch mir seine Liebe, seine Vergebung, seine Kraft, seinen Frieden, ja sich selbst? Wir dürfen es nehmen. Gott bietet es uns an, auch heute – mit meinem Worten. Auch ich darf nun im Auftrag Christi so wie Paulus als sein Botschafter euch bitten: „Lasst euch doch versöhnen mit Gott!“

Er ist auch für deine Sünde an das Kreuz gegangen, für jede Sünde. Und er hat sie getragen, auf sich genommen. All deine Lasten liegen nicht mehr auf dir. Du bist frei von ihnen, total frei. Das glaube.

Ich bitte dich, nein, Gott bittet dich: „Lass dich doch versöhnen mit mir!“ Eine merkwürdige Bitte, die hier Paulus im Namen Gottes weitergibt. Eigentlich müssten wir doch bitten: „Vergib mir meine Schuld!“ Aber hier ist umgedreht. Gott bittet: „Lass dir doch deine Schuld vergeben! Lass dir doch meine Liebe gefallen!“

Diese Einladung, diese dringliche Bitte, ergeht nun seit Karfreitag an jeden Menschen, auch an dich und mich. Die Querbalken des Kreuzes stehen für die offenen Arme von Jesus Christus. Er ruft Sie, dich und mich zu sich hin: „Komm doch zu mir! Hier, beim Kreuz findest du Frieden. Hier bei mir findest du Vergebung, Gnade. Lass dich versöhnen mit Gott. Dann bist du endlich da, wo du hingehörst: Bei mir. Bei dem, der es unendlich gut mit dir meint. Bei dem, der dir das ewige Leben schenkt.“

So groß ist die Liebe Gottes zu dir und mir, dass er nicht wartet, bis wir zu ihm kommen, sondern dass er den ersten Schritt auf uns zu macht. In dem Lied „Vergiss nicht zu danken“ kommt der Vers vor: „Er hält seine Arme am Kreuz ausgespannt und bittet dich: ‚Komm doch zu mir! ’“ So ist Gott. So ist Jesus. Er hat eine ungeheure Sehnsucht nach dir und mir. Nicht, weil er auf uns angewiesen wäre, sondern weil er weiß, wie sehr wir ihn brauchen, wie sehr es uns guttut, wenn wir seine Versöhnung annehmen.

Nimm doch dieses Angebot der Versöhnung an, zum ersten Mal oder wieder ganz neu. Jesus ist auch für deine Sünde an das Kreuz gegangen, für jede Sünde. Und er hat sie getragen, auf sich genommen. All deine Lasten liegen nicht mehr auf dir. Du bist frei von ihnen, total frei. Das glaube.

Unzählige Menschen haben diese Freiheit schon angenommen und erfahren. Ich denke an so manchen Menschen, der zu mir in die Seelsorge kam, seine Sünden bekannte und denen ich die Vergebung zusprach. Da war es auf einmal, als ob von ihnen eine Last abgefallen wäre. Und man sah es ihrem strahlenden Gesicht an, dass da etwas an ihnen passiert war. Sie hatten das Angebot der Versöhnung angenommen. „O happy day!“ Was für ein glücklicher Tag! Da hat sich in diesem Moment das in ihrem Leben verwirklicht, was schon seit dem ersten Karfreitag galt. Jesus hat ihre Sünden abgewaschen.

Damit man nicht missversteht: Die Versöhnung hängt nicht an persönlichen Gefühlen der Freiheit und der Freude über die Vergebung. Die Versöhnung hängt am Kreuz. Er, der Gekreuzigte, ist die Garantie dafür, dass er dich liebhat, unendlich und unbeirrbar liebhat, ob du etwas fühlst oder nicht.

Dieses Kreuz Jesu möchte ich uns allen heute neu vor Augen stellen. Es ist das unwiderlegbare Zeichen der Liebe Gottes zu uns. Die Liebe, die uns im Kreuz entgegenkommt, gilt uns, sie verändert uns, bringt uns Gott nahe und tröstet uns in allen schweren Lagen. Diese Liebe bleibt unser Leben lang. Sie bringt uns auch in das Reich Gottes, die Ewigkeit Gottes. Und dort können wir ihr persönlich gegenübertreten und sie sehen: Im Angesicht Jesu.

So nehme doch ein jeder von uns heute, gerade heute am Karfreitag, diese Liebe Jesu in Empfang. Du kannst für dich nichts Besseres tun. Lass dich beschenken durch das Wort seiner Vergebung und durch sein Abendmahl. Das Geschenk deiner Versöhnung liegt bereit. Du brauchst es nur noch abzuholen.

Amen