Bayreuth, den 24.05.2020 Johannes 16, 5-15

Liebe Gemeinde! 

In einer Grundschule beginnt ein Kind plötzlich zu weinen und weint in einem fort. Kein Zureden hilft. Das Mädchen zuckt hilflos mit den Schultern, als der Lehrer nach dem Grund seines Weinens fragt. Ob es Schmerzen hat, ob eine Krankheit kommt? Schließlich geht der Lehrer mit dem Kind ins Sekretariat, um die Mutter des Kindes anzurufen. Die Mutter kommt in die Klasse. Das Kind weint immer noch. Da gibt ein Mitschüler dem Lehrer den Rat: „Vielleicht muss man sie nur mal richtig lieb drücken. Vielleicht ist dann alles wieder gut!“

Es gibt tausend Traurigkeiten und tausend Einsamkeiten. Es gibt unzählige Tränen in ungezählten Gesichtern. Es gibt verborgene Ängste und offensichtliche Nöte. Es gibt unbeschreibliche Leiden und immer wieder ausgesprochene Sorgen. Nicht ein Schicksal gleicht dem anderen. Wie kann man helfen? Vielleicht muss man diese Menschen in ihren Nöten mal richtig lieb drücken. Das ändert zwar nichts an der Lage. Aber es gibt Trost.

Von Trost spricht auch Jesus in unserem Predigtabschnitt. Er weiß: Seine Jünger werden ihn bald brauchen. Ein paar Stunden später wird er verhaftet werden. Die Jünger werden wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen aus dem Garten Gethsemane fliehen. Jesus wird sterben. Er wird zwar wieder auferstehen. Aber nach seiner Himmelfahrt wird er nicht mehr sichtbar bei ihnen sein. Dann müssen sie ohne ihn zurechtkommen, ohne ihn die Aufgabe fortführen, die er begonnen hat: Das Evangelium verkündigen, Menschen Gutes tun, sie trösten und heilen. Wirklich ohne ihn? Nein, natürlich nicht. Sichtbar wird er zwar nicht mehr bei ihnen sein. Aber unsichtbar dürfen sie seine Nähe erfahren, in Form eines Beistandes, eines Trösters, so wie Luther das griechische Wort „Paraklet“ übersetzt.

Er will sie trösten, so wie es eine Mutter tut. Wie macht sie das, wenn ihr Kind zum Beispiel hingefallen ist und das Weinen anfängt, weil es sich wehgetan hat? Sie wird es an sich drücken, den Kopf streicheln und allerlei liebe Worte sagen. So richtig mal lieb drücken. So hat sich ja auch das Kind in der Grundschule ausgedrückt, von dessen Rat ich zu Beginn meiner Predigt erzählte. Das kann trösten.

Alleinstehende leiden oft darunter, dass sie niemanden haben, der sie mal so richtig lieb drückt. Jetzt in Zeiten von Corona wohl umso mehr.

Ein Mann ist einmal am Flughafen seiner Heimatstadt Sydney angekommen und hat dabei beobachtet, wie die meisten Menschen von Familienmitgliedern und Freunden empfangen und freudig umarmt wurden. Das weckte in ihm ein Gefühl der Einsamkeit. Er sehnte sich auch nach einer Umarmung.

So ging er eines Tages mit einem „Free Hugs“-Schild, also „kostenlose Umarmungen“, auf die Straße. Eine Viertelstunde verging – er wurde von den Menschen angestarrt – bis eine ältere Frau auf ihn zukam. Sie erzählte ihm, dass am Morgen ihr Hund gestorben und genau vor einem Jahr ihre Tochter tödlich verunglückt ist. Und dass sie jetzt eine Umarmung gut gebrauchen könnte.

Keine Angst. Ich will niemanden auffordern, wildfremde Menschen zu umarmen oder sich von wildfremden Menschen umarmen zu lassen. Wäre zurzeit auch überhaupt nicht angebracht. Es geht mir um etwas Anderes. Wir Menschen haben ein Grundbedürfnis nach herzlicher Nähe, nach dem spürbaren Ausdruck von Sympathie. Es tut uns gut, wenn wir mal so richtig lieb gedrückt werden, vor allen Dingen, wenn es uns so richtig dreckig geht.

Kann Jesus uns auch so richtig lieb drücken? Sicherlich nicht wie ein Mensch, aber doch in einer anderen, viel tieferen Art und Weise. Jesus kann trösten, auch wenn er als sichtbare Person nicht mehr unter uns ist: durch seinen Heiligen Geist.

Als Jugendlicher und junger Mann ging ich oft zu meinem Seelsorger und erzählte ihm meinen Kummer. Nachher war ich oft getröstet. Warum? Nicht durch eine Umarmung, sondern durch Mut machende Worte, die dieser Mann im Namen Jesu sprach und durch ein Gebet, in dem um die Erfahrung der Hilfe, der Kraft und des Trostes Jesu gebeten wurde. Danach fiel oftmals aller Druck von mir ab. Jesus hat mich so richtig lieb gedrückt. Er war spürbar da – durch seinen Heiligen Geist.

Ich denke an eine Frau, der Mann schwer erkrankt war. Was sie aufrichtete, war nicht nur die Nähe und gute Worte von lieben Menschen, sondern vor allen Dingen christliche Lieder oder Liedfetzen und Worte der Bibel, wie die Losungen, die oft punktgenau passten. Liebevolle Umarmungen Jesu. Die Erfahrung seiner Nähe durch seinen Heiligen Geist.

So durften es auch die Jünger erfahren. Sie gingen schwierigen Zeiten entgegen. Mutig verkündigten sie die frohe Botschaft von Jesus. Viele Menschen glaubten ihren Worten und wurden Christen. Aber wohl weitaus mehr lehnten diese Botschaft ab. Ja, sie hassten und verfolgten die Jünger dafür. Doch gerade in solchen Zeiten schenkte Jesus ihnen seinen Trost. Er stand ihnen durch seinen Heiligen Geist bei. Anders ist es nicht erklärbar, dass Stephanus im Steinhagel seiner hasserfüllten Feinde buchstäblich den Himmel offen sah und getrost sterben konnte. Die Christen der ersten Jahrhunderte wurden in den Arenen der Römer Löwen zum Fraß vorgeworfen. Doch diese Christen gingen singend in den Tod. Jesus war ihnen in diesem Moment ganz nahe, durch seinen Trost.

Wir können in Deutschland unseren Glauben ohne verfolgt zu werden leben und können uns offen zu ihm bekennen. Allerdings bläst den Christen in den letzten Jahren ein schärferer Wind entgegen. Viele Menschen verstehen nicht mehr, wozu es das Christentum überhaupt braucht. Ist es überhaupt nötig? Ist es „systemrelevant“? Gottesdienste schön und gut, aber wieso braucht es die überhaupt? Wieso sollen die Christen sich in Zeiten von Corona wieder treffen dürfen, aber Kneipen müssen geschlossen bleiben? Ich habe da manche verständnislose und hasserfüllten Äußerungen zu dieser Frage gelesen.

Aber Gott sei Dank leben wir nicht in einem islamischen Land, wo Christen diskriminiert und verfolgt werden, wo sie eingesperrt werden und um ihr Leben fürchten müssen. Wir beten ja immer wieder für diese Christen und hören von ihren Schicksalen wie am „Weltgebetstag für verfolgte Christen“.

Was wir in Deutschland an Ablehnung unseres Glaubens erleben können, ist im Vergleich zum Schicksal der verfolgten Christen vergleichsweise harmlos, auch der Spott und Hohn, den wir erfahren können, wenn wir uns zu unserem Glauben an Jesus bekennen. Hoffentlich tut ihr es auch, wenn man den Glauben an Jesus angreift oder lächerlich macht. Wenn ihr das tut, dann dürft ihr glauben und auch erfahren: Ihr seid nicht alleine. Ihr seid nie alleine. Der Heilige Geist steht euch zur Seite. Er tröstet, hilft und berät. Er gibt Kraft und Liebe. Und wenn wir in solchen Situationen nicht recht wissen, was wir reden sollen, da dürfen wir bitten: „Herr, zeige mir, was ich tun kann. Gib mir die rechten Worte. Erfülle mich mit deiner Kraft und Liebe.“ Und er tut es auch.

Zu allen Zeiten ist und bleibt es wichtig, den Anspruch von Jesus auf das Leben eines jeden Menschen nicht zu verschweigen. Er hat etwas zu bieten, was kein Mensch sonst geben kann. Es ist eine Wahrheit, die viele Menschen nicht mehr kennen und auch nicht verstehen und eigentlich gar nicht verstehen können, weil sie ihrer Art zu leben und zu denken total widerspricht.

Diese Wahrheit kann ein Mensch nur verstehen, wenn der Heilige Geist einem die Augen über sich und über Gott öffnet.

Es ist zunächst eine unangenehme Wahrheit. Es ist die Wahrheit, dass ein Leben ohne Jesus ein verfehltes Leben ist. So zu leben, bedeutet im tiefsten Sinne „Sünde“. Sünden sind nicht in erster Linie moralische Verfehlungen und Übertretungen der Gebote Gottes. Dies sind die Folgen der Sünde. Sünde im eigentlichen Sinne, so sagt Jesus in unserem Predigtabschnitt, ist nicht an ihn glauben, ohne ihn sein Leben führen wollen. Auf diese Weise verfehlen wir das Ziel des Lebens. Wir sind in der falschen Richtung unterwegs.

Das kann eine erschreckende Erkenntnis sein. Da sitzt ein Mann zusammen mit anderen Reisenden in einem Zugabteil. Jedes Mal, wenn der Zug in einem Bahnhof einfährt, stöhnt er auf und jammert vor sich hin. Schließlich gerät er fast in Panik. Die anderen fragen ihn: „Was ist denn los? Warum jammern und stöhnen Sie dauernd?“ Der Mann antwortet: „Ich muss doch jammern, wenn ich bei jedem Bahnhof merke, dass ich in die falsche Richtung fahre!“

Das ist natürlich schlimm, wenn einer merkt, dass er im falschen Zug sitzt. Noch schlimmer ist, zu entdecken, dass das Leben in eine falsche Richtung geht. Da kann man Jammern. Aber das nützt ja nichts. Besser wäre es, umzusteigen und den Zug in die richtige Richtung zu nehmen. Besser wäre es, sein Leben mit Jesus zu führen. Das ist befreiend, an ihn zu glauben.

Diese Wahrheit drückt Jesus mit zunächst schwer verständlichen Worten aus. Der Heilige Geist, so sagt er, öffnet der Welt die Augen über die Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit besteht darin, dass Jesus zum Vater geht und die Jünger ihn von nun an nicht mehr sehen. Wie ist das zu verstehen? Jesus ist beim Vater und tritt dort für uns ein.

Wie das aussieht, hat Martin Luther mit den sicher Vielen von uns bekannten aber immer wieder tröstlichen Worten ausgedrückt:

„Mir ist es bisher wegen angeborener Bosheit und Schwachheit unmöglich gewesen, den Forderungen Gottes zu genügen. Wenn ich nicht glauben darf, dass Gott mir um Christi willen dies täglich beweinte Zurückbleiben vergebe, so ist's aus mit mir. Ich muss verzweifeln. Aber das lass ich bleiben. Wie Judas an den Baum hängen, das tu ich nicht. Ich hänge mich an den Hals oder Fuß Christi wie die Sünderin. Ob ich auch schlechter bin als diese, ich halte meinen Herrn fest. Dann spricht er zum Vater: ‚Dieses Anhängsel muss auch durch. Es hat zwar nichts gehalten und alle deine Gebote übertreten, Vater, aber er hängt sich an mich. Was will's! Ich starb auch für ihn. Lass ihn durchschlupfen.’ Das soll mein Glaube sein.“

Wie gut, dass Jesus zum Vater gegangen ist. Dort tritt er für uns ein. Immer wieder. Der Jünger Johannes hat es in seinem 1. Brief so ausgedrückt: „Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.“ (1. Johannes 2,1b) So weist uns der Heilige Geist auf Jesus hin. Bei ihm können wir uns festklammern. Er stößt uns nicht weg, sondern zieht uns noch enger zu sich.

Und noch etwas bewirkt der Geist Gottes. Es ist auch eine Wahrheit, auf die wir Menschen nie kommen würden. Wir denken ja, auch als Christen oft noch: Wir müssen uns nun selber ändern. Wir müssen uns bemühen nicht mehr zu sündigen und ein Leben zu führen, das Gott gefällt.

Aber das wäre ein Christsein ohne Jesus und ohne den Heiligen Geist. Es wäre ein Christsein aus eigener Kraft und damit ein elendes Leben. So erging es einer Frau. Sie erzählt von ihren persönlichen Erfahrungen:

"Über viele Jahre habe ich versucht, Gott zu lieben, ihm zu gehorchen und zu meinen Mitmenschen gut zu sein. Allerdings hatte ich dabei häufig ein schlechtes Gewissen. Es war viel Kampf und Krampf. Ich war fromm aber nicht froh.

Mein Glaube sah etwa so aus: Jesus hat die Leiter an den Himmel gestellt und den Weg frei gemacht. Aber raufkraxeln muss man schon selbst. Sich anstrengen, sich Mühe geben, vollen Einsatz zeigen... All das habe ich über viele Jahre getan. Immer noch etwas mehr Einsatz gebracht, weil ich mir nicht sicher war, ob es reicht. Bis zu dem Punkt, an dem nichts mehr ging und ich zusammengebrochen bin. Aber an diesem Tiefpunkt ist mir Jesus persönlich begegnet. E§r war da und hat mir zugesprochen: "Alles ist gut -auch wenn es für dich nicht so aussieht!"

Erst da habe ich begriffen, dass er wirklich schon alles für mich getan hat. Er ist nicht nur die Leiter in den Himmel, mit ihm ist der Himmel auf die Erde gekommen! Dieses Erleben hat meinen Glauben verändert, regelrecht auf den Kopf gestellt."

Der Himmel ist auf die Erde gekommen. So ging es dieser Frau auf. Man kann es auch so ausdrücken: Der Geist Gottes ist da und erfahrbar, der in mein Leben hineinkommt und es verändert.

Jesus sagt hier seinen Jüngern: Der Geist Gottes führt einen zu einer weiteren Erkenntnis: Der Fürst dieser Welt ist gerichtet. D.h. der Teufel ist besiegt, er hat ausgespielt. Er ist die Ursache allen Übels, aller Gemeinheit, aller Trostlosigkeit. Doch er kann einem Glaubenden nichts mehr anhaben. Sicherlich hat der Teufel jetzt noch viel Macht. Man muss sich nur das Weltgeschehen mit aufmerksamen Augen ansehen. "Groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist..." dichtet ein Martin Luther. Er kann auch einem Glaubenden furchtbare Gedanken ins Herz geben, er kann einen zu Taten veranlassen, derer man sich nachher schämt. Aber das sind gewissermaßen Rückzugsgefechte eines geschlagenen Feindes. Die entscheidende Schlacht hat er schon verloren: am Kreuz auf Golgatha.

Auch wenn dein Leben noch so verworren aussieht, auch wenn du noch so oft versagst: Der Teufel hat ausgespielt. Jesus ist Sieger, auch in deinem Leben, auch wenn es ganz anders aussieht. Es ist schon alles gut. Das darfst du glauben. Lass dich von Jesus immer wieder richtig lieb drücken. Wie ich das meine, habe ich ja zu Beginn meiner Predigt gesagt. Er, Jesus, tut es gerne. Gerade wenn du versagt hast, gerade dann drückt er dich an sich. Dann darfst umso mehr das Wort aus dem Römerbrief glauben: „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden.“

Amen