Bayreuth, den 5.7.20 Römer 12,17-21

Liebe Gemeinde! 

Diese Worte von Paulus klingen so nüchtern und klar, aber doch irgendwie weltfremd. Wie soll das gehen: Böses nicht mit Bösem vergelten und das Böse mit Gutem überwinden? Geht man da nicht unter und kaputt? Wird man da nicht ausgenutzt?

In der Welt wird ganz anders gehandelt und geredet. "Was Recht ist, muss doch Recht bleiben. " so sagt man. Oder: "Man kann sich doch nicht alles gefallen lassen." "Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil." - "Strafe muss sein. Wer nicht hören will, muss fühlen." Diese Sätze sind tief in unser Leben eingedrungen und bestimmen unser Tun.

Natürlich meint Paulus nicht, dass dem Bösen in dieser Welt niemals Widerstand geleistet werden soll. Ein Polizist darf und soll einen Verbrecher jagen und verhaften. Und die Aufgabe eines Richters ist es, ihn zu verurteilen. So schreibt es auch Paulus ein paar Verse weiter im 13. Kapitel des Römerbriefes. Ein Lehrer kann sich nicht von seinen Schülern auf den Kopf herumtrampeln lassen. Und Eltern können ihren Kindern nicht alles durchgehen lassen.

Böses muss eingedämmt werden. Das gilt auch in der Politik. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn die europäischen Mächte einem Adolf Hitler nicht immer nachgegeben hätten, um des lieben Friedens willen, dann wäre es sicher auch zum Krieg gekommen, aber vielleicht mit nicht so schrecklichen Folgen wie der 2. Weltkrieg, mit 50 Millionen Toten, davon 6 Millionen Juden.

Das Böse von anderen Menschen braucht seine Schranken, aber auch das Böse in uns. Wie reagieren wir auf darauf, wie andere Menschen uns begegnen? Man kann Gutes mit Bösem vergelten. Das wäre teuflisch. Man kann Gutes mit Gutem und Böses mit Bösem vergelten. Das wäre menschlich. Und man kann Böses mit Gutem vergelten. Das wäre göttlich. Aber auch für uns selber gut.

Groll und Bitterkeit machen unser Leben ganz gewiss nicht glücklicher. Viel besser für unser seelisches Gleichgewicht ist es, so zu reagieren, wie es uns Paulus hier in unserem Predigtabschnitt nahelegt: "Vergeltet niemand Böses mit Bösem." Und: "Überwinde das Böse mit Gutem."

Natürlich ist das leichter gesagt als getan.

Ganz praktisch könnte dies so aussehen: Da ist z. B jemand, der einen unleidlichen Nörgler als Nachbarn hat. Bei jedem Falschparker ruft er sofort die Polizei an, auch wenn es Gäste des anderen sind. Der Ärger ist groß. Da stellt dieser Nachbar eines Tages seinen Wagen vorschriftsmäßig ab, aber er vergisst das Autolicht abzuschalten. Der Mann ruft ihn an, macht ihn auf das Licht aufmerksam. Die Batterie ginge ja sonst kaputt.

Oder ein andres Beispiel: Kehrwoche! Der Mitmieter kommt seiner Pflicht nicht nach. Um 12 Uhr ist noch immer kein Schnee geräumt. Ein anderer greift zur Kehrschaufel.

Oder denken wir an Erbstreitigkeiten in einer Familie. Der Bruder hat den andern bei der Erbteilung gewaltig übers Ohr gehauen. Er stellt ihn zur Rede. Doch der gibt nicht nach. Jedes Gericht würde dem Benachteiligten recht geben. Aber er will nicht gegen seinen eigenen Bruder prozessieren. Er überlässt das Gericht dem, der da recht richtet und bleibt der Familie des Bruders in Freundlichkeit verbunden. Sein Patenkind, der Neffe, bekommt trotzdem zur Konfirmation sein Geschenk. Der übervorteilte frisst den Ärger nicht in sich hinein. Er macht daraus ein Gebet. Er wird zum Fürbitter.

Vielleicht schütteln wir über so ein Verhalten den Kopf und denken: "Das geht zu weit!" Aber es ist doch die Ordnung des Reiches Gottes, in dem die Liebe regiert. Jesus will vollkommene, selbstlose Liebe. Und wer in seinem Herzen noch etwas gegen den anderen hat, der hat diese Liebe nicht. Und wenn jemand protestiert: "Sie sollten erst einmal meinen Nachbarn oder meine Nachbarin kennenlernen, diesen unmöglichen Kerl, diese unmögliche Person!" so muss man sagen: Gerade an solchen Menschen entscheidet sich unser Christsein!

Im Umgang mit solchen Menschen stoßen wir schnell an die Grenzen unserer eigenen Liebesfähigkeit. Da merken wir, wie wir aus eigener Kraft nie und nimmer den Unsympathischen und gar den Feind lieben können. Das widerstrebt unserer Natur.

Auch Paulus, der hier zur Feindesliebe aufruft, weiß das. Bevor er solche Sätze wie in unserem Predigttext im 12. Kapitel des Römerbriefes schreibt, hat er 11 Kapitel lang das Evangelium von Jesus Christus entfaltet. Ohne dieses Evangelium fehlt dem Aufruf zur guten Tat der Boden. Dann wäre Paulus nur ein Moralprediger wie viele andere auch. Dann würde er das tun, was alle Religionen tun: dem Menschen sagen, was er zu tun hat.

Bei einer Reise durch Syrien fragt ein Journalist in der Omaijidenmoschee in Damaskus den Gruppenführer: Worüber predigt der Imam da? Er bekommt zur Antwort: „Er sagt, was die Leute zu tun haben.“ Das ist Religion. Dir wird gesagt, was du zu tun hast. Der Dalai Lama sagt, was du zu tun hast. Viele Kirchenführer sagen, – leider nur - was die Leute zu tun haben. Aber das Evangelium sagt dir nicht, was du zu tun hast, sondern was Gott für dich getan hat. Das war Paulus so wichtig, dass er 11 Kapitel in seinem Römerbrief erst darüber geschrieben hat, bevor er solche Sätze wie die aus unserem Predigttext sagt. Er will, dass seine Leser das, wozu er sie auffordert, nicht nur gezwungen tun, sondern von Herzen.

Um so lieben zu können, wie Paulus es hier von den Lesern des Römerbriefes verlangt, brauchen wir eben ein anderes Herz, eine ganz andere Gesinnung. Die bekommen wir, wenn wir zunächst unser eigenes, böses, liebloses Herz erkennen. Wir müssen aufhören, dass wir uns für besser als irgendein anderer Mensch vorkommen. Es muss Schluss sein mit dem Denken: Ich habe zwar Fehler, aber der andere ist schlimmer." Nein, das stimmt nicht, denn das Böse des anderen steckt auch in uns.

Mit dieser schmerzhaften Erkenntnis beginnt etwas Neues in uns. Dann dürfen wir Gott um Vergebung bitten. Und wir werden die Erfahrung machen, dass er unsere Schuld vergibt. Er nimmt sie uns ab. Etwas Neues wird in uns geboren, ein neues Herz, eine neue Gesinnung.

Das ist das Großartige, dass ein Leben neu wird, durch die Vergebung Gottes. Das ist das Evangelium. Und noch großartiger ist es, dass wir immer wieder mit der gleichen Schuld zu Gott gehen dürfen, vielleicht Jahre- oder jahrzehntelang. Er wird sie uns immer wieder vergeben. Gott vergilt uns nicht Böses mit Bösem, - nie!

Warum sollten wir es tun? Warum sollten wir so handeln wie jener Minister, von dem Jesus erzählt? Er bekommt von seinem König eine Riesenschuld, umgerechnet 20 Millionen Euro, erlassen. Aber er ist fähig, einem Ministerkollegen eine Schuld von 50 Euro nicht zu vergessen. Als der König davon erfährt, macht er seine Vergebung wieder rückgängig.

Mit der gleichen Liebe, mit der Gott uns liebt und vergibt, sollen und können wir nun auch den anderen, der uns das Leben schwermacht, lieben. Jesu Leben war ein Kampf gegen Lieblosigkeit und Unrecht. Wir dürfen es ihm gleichtun.

Der Apostel Petrus hatte bekanntlich Jesus dreimal verleugnet. Gleich danach trifft ihn im Hof des Hohenpriester Kaiphas der Blick Jesu. Es war kein verdammender und richtender Blick, sondern ein trotz allem liebender. Dieser Blick traf Petrus umso tiefer. Er weinte bitterlich, heißt es in der Bibel. Dieser Blick veränderte Petrus, dass er nun ein Mensch wurde, der nicht mehr von oben herab auf andere Menschen herabschaute, sondern ein barmherziger Mensch wurde, der die Liebe Jesu, die er selber erfahren hatte, weitergab.

Gott sieht auch uns immer mit dem Blick der Liebe an, wenn wir mit dem Bekenntnis unserer Schuld zu ihm kommen. Er vergilt nicht Böses mit Bösem. Sollten wir diesen Blick nicht auch für unseren Nächsten haben? Auf diesen Blick wartet doch eigentlich jeder, auch der, der uns das Leben schwermacht. Es ist der Blick, der nicht verachtet und verdammt, sondern liebhat.

Und dieser Blick hat auch eine ungeheure Macht, mehr als wir vielleicht denken. Er kann andere Menschen auch verändern. Wer daran mitwirken will, dass das Böse auf der Welt kleiner wird, kann dies nicht auf dem Weg der Vergeltung tun. Dann verbreite ich ja genau den gleichen Geist, die gleiche Lebensauffassung, die ich bekämpfe. Das Böse kann letzten Endes nur durch das Gute, die Liebe, überwunden werden.

Die Finsternis bekämpft man nicht mit Fußtritten, - man zündet eine Kerze an. Die Fabel von der Sonne und dem Wind illustriert dies. Die beiden zanken sich, wer von ihnen der Stärkere wäre. Der Wind sagte: "Ich werde dir beweisen, dass ich der Stärkere bin. Siehst du dort den alten Mann in seinem Mantel? Ich wette, dass ich ihn eher als du bewegen kann, seinen Mantel auszuziehen."

Die Sonne verbarg sich hinter einer Wolke, und der Wind blies, bis er zu einem Sturm anwuchs; aber je stärker der Sturm wütete, desto fester wickelte sich der Mann in seinen Mantel. Schließlich ließ der Wind nach und gab das Rennen auf.

Und dann kam die Sonne hinter der Wolke hervor und lächelte dem alten Mann freundlich zu. Es dauerte nicht lange, da wischte sich der Mann die Stirn und zog seinen Mantel aus. Da sagte die Sonne zum Wind: "Milde und Freundlichkeit sind stärker als Wut und Gewalt!" Daran sollten wir auch immer denken: Die Liebe hat eine oft stärkere Kraft als die Vergeltung.

Diese Erfahrung machte auch der Evangelist Erino Dapozzo. Er war längere Zeit im KZ und litt furchtbar unter Hunger und Krankheit. An Weihnachten 1943 ließ ihn der Kommandant des KZs zu sich rufen. Dapozzo stand mit knurrendem Magen vor ihm. Der KZ-Leiter speiste üppig. Zum Schluss aß er auch noch kleine Kuchen. Der Kommandant erklärte Dapozzo: „Die hat Ihnen Ihre Frau geschickt. Schon seit Jahren übrigens. Ich habe sie alle gegessen.“ Hass war die naheliegende Antwort. Dapozzo betete gegen den Hass an. Er bat um Liebe und konnte so den Hass überwinden.

Nach dem Krieg fand er den Kommandanten nach langem Suchen. Dapozzo berichtet: Ich sagte zu ihm: „‚Ich bin Nummer 17531. Erinnern Sie sich an Weihnachten 1943?' Da bekam er plötzlich Angst. ‚Sie sind gekommen, um sich an mir zu rächen?' Ja, bestätigte ich und öffnete ein großes Paket. Ein herrlicher Kuchen kam zum Vorschein. Ich bat seine Frau, Kaffee zu kochen. Dann aßen wir schweigend den Kuchen und tranken Kaffee. Der Kommandant begann zu weinen und mich um Verzeihung zu bitten. Ich erzählte ihm, dass ich ihm um Christi willen vergeben hätte.“

Ein Jahr später bekehrte sich dieser Mann und seine Frau zu Christus.

Es wird sicher nicht immer so gehen. Paulus schreibt hier ganz nüchtern: "Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden." Es wird vorkommen, dass das Angebot der Liebe und der Vergebung ausgeschlagen wird und mit Gleichgültigkeit oder gar Hass beantwortet wird. Das ist dann nicht unsere Schuld, sondern die des anderen.

Allerdings sollten wir dann einer Gefahr nicht erliegen: Müde zu werden in der Liebe. Dies kann sehr schnell geschehen. Gott gibt uns auch immer wieder eine Chance, wenn wir zu ihm mit unserer Schuld kommen. Er wird unser auch nicht überdrüssig.

Deshalb verdient auch keiner, mit dem wir zu tun haben, dass wir ihn aufgeben und denken: "Ach, bei dem ist Hopfen und Malz verloren. Der wird sich nie ändern!" Jeder Mensch verdient es, dass man ihm immer wieder eine Chance gibt, neu anzufangen. Gott gibt mit seiner Liebe keinen auf. Warum sollten wir einen aufgeben?

Wir brauchen uns übrigens, das sei zum Schluss auch noch gesagt, auch uns selbst nicht aufgeben. Vielleicht ist jetzt einer unter ganz verzagt, dass er denkt: "Ach, es ist ja noch viel, was mir fehlt! Ich habe ja schon Schwierigkeiten, den zu lieben, der mich mag. Auf diesem Gebiet versage ich auch immer wieder. Und erst recht hapert es an der Vergebungsbereitschaft, an der Liebe zu dem, der mir unsympathisch ist oder der mich verletzt hat."

Wir haben immer zu wenig Liebe. Aber Jesus hat mehr als genug für uns, so viel, dass wir sie auch an andere weitergeben können. Diese Liebe gibt auch uns nicht auf. Sie wird uns noch verändern. Und Jesus, der in uns angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollenden. Das dürfen wir ihm zutrauen, auch wenn wir es uns nicht vorstellen können, wie er es tun wird. Glauben wir es doch: Wir werden uns noch einmal wundern, was seine Liebe in uns alles verändert hat.

Amen