Bayreuth, den 04.10.2020 5. Mose 8,1-17

Liebe Gemeinde! 

Alles ist im Überfluss vorhanden: Weizen, Gerste, Weinstöcke, Granatäpfel, Ölbäume, Bäche, Seen, Bodenschätze. Es ist ein wunderbares Land, das Mose hier in unserem Predigtabschnitt schildert. Es ist das Land, in dem sprichwörtlich „Milch und Honig fließt“. Es ist das Land, das Gott dem Volk Israel versprochen hatte. Und nun ist es so weit. Die Israeliten stehen vor den Toren dieses Landes und werden es in Kürze in Besitz nehmen.

Auch ich kenne ein solches Land, in dem es sich gut leben lässt, in dem alles im Überfluss vorhanden ist, wo keiner verhungern muss und Frieden und Freiheit herrscht. Ob ich vom Himmel rede? Nein, ich spreche von einem Land, das wir alle kennen. Es ist Deutschland, das Land, in dem wir wohnen. Nur, wir sind uns oft dessen nicht bewusst, dass wir – immer noch – in einem wunderbaren Land wohnen, weil wir diese Tatsache viel zu selbstverständlich nehmen.

Wir schauen lieber auf das, was uns fehlt, als auf das, was wir haben. Natürlich ist die Welt, ist auch Deutschland nicht mehr so, wie sie noch vor einem halben Jahr war. Ein winzig kleines Virus hat alles verändert. Wir leben auf Abstand. Ein spontanes Händeschütteln ist nicht mehr möglich. Wir sitzen auf Abstand hier in diesem Gottesdienst. Wir bewegen uns in der Öffentlichkeit mit Masken, die unser halbes Gesicht verdecken. Über 9000 Menschen sind in Deutschland als Folge der Erkrankung an Covid-19 schon gestorben. Unser Land befindet sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit fast 100 Jahren. Und wir wissen nicht, wie es weitergeht.

Das ist alles wahr. Wir Deutschen waren zwar nie dafür bekannt, ein fröhliches Volk zu sein. Aber nun scheint uns der Rest von Unbeschwertheit auch noch abhandengekommen zu sein. Mal einfach so ohne große Bedenken in den Urlaub fahren, eine kulturelle Veranstaltung besuchen, oder auch einen Gottesdienst wie diesen hier, das ist vorbei. Wer weiß, wie lange.

Und doch: Ich bin froh und dankbar, in diesem Land zu leben, gerade in diesen unsicheren Zeiten. Wir haben verantwortungsbewusste Politiker, die sich dem Ernst der Lage stellen und sie nicht herunterspielen. Dank eines phantastischen Gesundheitssystems mit aufopferungsbereiten Mitarbeitern haben wir genügend Intensivbetten, um um das Leben von Covid-19 Erkrankten kämpfen zu können. Ich bin mir sicher: Viele dieser Patienten wären in anderen Ländern schon längst gestorben. Ja, mit unserer Wirtschaft geht es zurzeit bergab. Aber es konnten dank unserer sozialen Errungenschaften wie das Kurzarbeitergeld noch viele Arbeitsplätze erhalten bleiben. Wir leben in einem ungeheuer reichen Land, das sich das leisten kann. Wir besitzen immer noch ein soziales Netz, von dem andere Länder nur träumen können.

Und es gibt noch mehr Staunenswertes in unserem Land: Nie waren die Deutschen gesünder als heute, nie lag ihre Lebenserwartung höher. Wie kaum jemals in seiner Geschichte ist Deutschland von Freunden umgeben. Auf deutschen Boden fand seit unglaublichen 75 Jahren kein Krieg mehr statt. Kein Mensch wird in seiner Religionsausübung behindert. Pfarrer, Prediger und Mitarbeiter der Kirchengemeinden können ungehindert das Evangelium verkündigen. Der Staat macht ihnen deshalb keine Schwierigkeiten. Kann man nicht wirklich mit gutem Recht sagen: Deutschland, das Land, in dem Milch und Honig fließt? Viele, die woanders geboren wurden und nun in Deutschland wohnen, sehen dies zweifellos so. Ich beerdigte einmal eine Russlanddeutsche. Als sie aus Kasachstan in Deutschland angekommen war, sagte sie: „Jetzt lebe ich in einem Paradies.“

Nur wir, die wir unseren immensen Reichtum gewohnt sind, sehen oft nur das, was uns fehlt oder haben Angst vor einer ungewissen Zukunft, jammern darüber, dass es nicht mehr so gut ist wie früher. Wir beklagen den Klimawandel und das Waldsterben. Ja, unsere Welt ist nicht so wie früher. Das ist wahr. Aber durch Jammern wird sie auch nicht besser. Leider stimmen auch die Kirchen in das allgemeine Klagelied mit ein. Trotz Mitgliederschwund, trotz finanzieller Engpässe sind die Kirchen in Deutschland immer noch reich an Menschen, Mitarbeitern, Finanzen und Möglichkeiten, das Evangelium zu verkündigen. Was hindert uns daran, diese Möglichkeiten auch zu nutzen? Oftmals unsere eigene Bequemlichkeit.

Was uns fehlt, das ist klar: Wir alle brauchen mehr Dankbarkeit! Es geht uns so wie jenem Mann. Dieser besaß ein schönes Grundstück mit einem hübschen, wohnlichen Haus darauf. Aber er träumte von einem noch besseren Haus. Schließlich wurde er so unzufrieden, dass er beschloss, sein Anwesen zu verkaufen und sich nach seinem Traumhaus umzusehen. Mit dem Verkauf beauftragte er einen Makler. Nun machte er sich auf die Suche nach einem geeigneten neuen Haus. Eines Tages entdeckte er in der Zeitung ein wunderbares Angebot. Alle Angaben entsprachen seinen Vorstellungen. Als er die näheren Unterlagen anforderte, musste er mit Verwunderung feststellen, dass es sich um sein eigenes Grundstück handelte.

Wir wissen oft gar nicht mehr, was wir an unserem Alltag, an unserer Arbeit und Familie, Haus und Garten haben. Über die wenigen Kleinigkeiten, die fehlen, haben wir die großen Gaben und das viele Gute ganz vergessen. Das verstellt uns den Blick für das Leben, die Freude zieht aus, Unzufriedenheit macht sich breit. Gegen die Macht des Fehlenden, die uns beherrschen und negativ polen will, gibt es eine gute Hilfe: die Dankbarkeit. Die vergessen auch die, die Gott kennen und die darum wissen, wem sie das Gute ihres Lebens zu verdanken haben, nämlich Gott. Deshalb ruft auch der König David sich selber und uns allen im Psalm 103 zu: „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“

Der heutige Tag, das Erntedankfest, erinnert uns an die einfache Weisheit, die in dem Liedvers drinsteckt: „Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn, er hat dir viel Gutes getan.“

Wie gut, dass es das Erntedankfest gibt! Es erinnert uns daran, wem wir letztlich allen Reichtum unseres Lebens zu verdanken haben: nämlich Gott. Natürlich muss auch den Menschen gedankt werden, die Gott gebrauchen konnte, Gutes zu tun. Und so gilt unser Dank den Landwirten und ihren Familien, die für unser tägliches Brot und darüber hinaus für eine intakte Landschaft sorgen. Auch allen Berufstätigen gilt unser Dank, den Arbeitnehmern wie den Arbeitgebern, auch denen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, bevor sie in den verdienten Ruhestand gingen, auch den vielen Müttern und Vätern, die ihre Familien versorgen und ihre Kinder großziehen. Was wäre unser Land ohne all diese fleißigen Menschen! Und ich als Pfarrer bin unendlich dankbar für so viele Mitarbeiter, die gerade in diesen schwierigen Zeiten sich einsetzen, dass unser Gemeindeleben, auch wenn es nur reduziert möglich ist, so stattfinden kann, wie die Gottesdienste, die Kreise oder unser kids-Treff.

Und doch: Letztlich gehört Gott aller Dank. Wenn er seine helfende und schützende Hand von unserem Volk abziehen würde, dann wäre es aus mit ihm. Das Gleiche würde mit unserer Kirchengemeinde geschehen. An Gottes Segen ist wirklich alles gelegen. Wir können uns nichts auf uns selbst einbilden, auf unsere Kraft und Tüchtigkeit. Was wir tun und leisten können, ist Gottes Gabe.

Wir leben also in einem reichen Land. Und doch sind deren Bewohner oft so arm an den eigentlichen Gütern des Lebens. Viele vergessen, was ihr Leben reich machen würde. Sind es Güter und Besitztümer? Ist es Ansehen und Erfolg? Oder sind es die zwischenmenschlichen Beziehungen, die ihn erfüllen? Ist das Leben eines Menschen dann reich, wenn er eine Familie hat, Kinder großzieht, oder viele Freunde hat, mit denen er in Liebe und Freundschaft verbunden ist?

All das Genannte sind wichtige Bedürfnisse, Aufgaben, Lebensbereiche, in die Gott uns hineingestellt hat, wodurch er uns reich beschenkt, und wo wir auch unseren Teil dazu tun können, dass das Leben anderer Menschen reicher und erfüllter wird.

Aber stellen wir uns mal einen Menschen vor, der wirklich alles erreicht hat, was man sich nur vorstellen kann: er hat genug und übergenug materielle Güter, er lebt in einer intakten Familie, Ehe und hat viele gute Freunde. Er ist beruflich erfolgreich, hat Anerkennung und Ansehen. Dafür kann er sehr dankbar und glücklich sein.

Aber wenn er in dem allen aufgeht und meint, das sei das ganze Leben, dann ist das zu kurz gedacht, dann fehlt doch noch etwas, dann fehlt das Entscheidende: das ist die Verbindung mit Gott.

Wie lange dauert das Glück? Spätestens wenn der Mensch stirbt, muss er alles loslassen, sich von allem trennen, alles hinter sich zurücklassen. Und dann? Ja, dann kommt die Ewigkeit.

In unserem Predigtabschnitt steht ein wichtiger Satz: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des HERRN geht.“ In diesem Satz steckt eine ungeheure Zumutung. Der Mensch lebt vom Wort Gottes. Haben wir alle das schon gemerkt? Der verpasst das Leben, der am Wort Gottes vorbeilebt. Der schätzt auch die Güter des Lebens falsch ein. Entweder überschätzt er sie und erhebt sie zu seinem Abgott. Er geht auf im Materialismus. Oder aber er unterschätzt sie, und sieht sie gar nicht als persönliche Liebeszeichen Gottes. Er wird ein missmutiger und unzufriedener Mensch, der an allem etwas herumzumeckern hat. Unsere Stellung zum Wort Gottes entscheidet letztlich über Tod und Leben, Himmel und Hölle.

Für viele Menschen gibt es nichts Öderes als das Wort Gottes. Es interessiert sie nicht. Sie lesen es nicht. Sie hören es nicht im Gottesdienst. Oder sie mäkeln und kritisieren daran herum, anstatt sich selber zu kritisieren und in Frage zu stellen.

Aber wer dem Geheimnis vom Wort Gottes auf die Spur gekommen ist, der redet anders. Er hat gemerkt, dass sein Hunger nach Freude nicht durch ein bisschen billigem Vergnügen gestillt wird, sondern allein dadurch, dass der lebendige Gott mit ihm redet. Das Wort Gottes bietet dir etwas an, das du nirgendwo anders findest. Das ist zum einen Vergebung. Viele Menschen ahnen gar nicht, welche Lasten an Schuld sie mit sich herumschleppen, wie viel die Sünde ihnen ihre Lebensfreude raubt. Gehörst du auch zu ihnen? Dann möchte ich dir einen Rat geben: Sei so ehrlich und prüfe dein Leben anhand der 10 Gebote. Lass dir von Gott deine Schuld zeigen, und dann pack aus mit all deiner Sünde! Bekenne sie Gott oder einem Seelsorger und dann lass dir dieses wunderbare Wort zusprechen: „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben!“ Glaube diesem Wort Gottes, und du wirst erfahren, wie es dir leichter ums Herz wird. Viele Menschen, auch ich gehöre zu ihnen, haben erst durch die zugesprochene Vergebung Gottes erfahren, was wahre, tiefe Freude ist, Freude ohne bitteren Nachgeschmack, ohne Kater und böses Erwachen. Gott gönnt jedem Menschen diese Freude, auch dir! Mir macht keiner weis, dass er auf Dauer ohne Gottes Wort froh und glücklich bleibt. Irgendwann bricht der dünne Lack eines solchen Glückes ab und dahinter schaut Angst und Verzweiflung hervor.

Das Wort Gottes kann dich auch in deiner Angst und Trauer trösten. Dies habe ich schon oft erlebt. Einmal musste ich ins Krankenhaus, weil ich auf einem Ohr kaum noch etwas hörte. Der Hörnerv war geschädigt, und ich wusste nicht, ob er sich wieder erholen würde. Da tröstete mich ein Wort Gottes, das ich las. Ich schlug mein Losungsbuch auf und mein Auge fiel auf die Losung des Tages: „Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.“ Auf dieses Wort vertraute ich und so erfuhr ich es auch. Gott „weckte“ mir das Ohr, das heißt, er machte es wieder gesund.

Nur das Wort Gottes gibt dir auch Hoffnung in verfahrenen Situationen, wo du keinen Ausweg mehr siehst. In dem Dunkel deiner Verzweiflung kann ein Wort aus der Bibel, aus einem Glaubenslied oder in einer Predigt dir ein Licht sein. So hat es einmal ein Mann erlebt. Er wollte sich verzweifelt das Leben nehmen. Und wie er so in seiner Verzweiflung durch die Straßen der Stadt läuft, sieht ihn eine Christin. Der fällt dieses verzweifelte Gesicht auf und spricht ihn an. Sie ruft ihm zu: „Der Wolken Luft und Winden, gibt Wege Lauf und Bahn, der wird doch auch Wege finden, da Ihr Fuß gehen kann.“ Dieses Wort gab ihm neuen Lebensmut. Es hat ihn gerettet, dass er sich nicht das Leben genommen hat.

Wer dem Wort Gottes gehorsam ist, dessen Leben ist letztlich viel glücklicher und erfüllter als das eines Menschen, der nur so lebt, wie er es selbst für richtig hält oder nur nach Erfolg und Beifall der anderen giert. Er bleibt vor manchen Dummheiten bewahrt. Gottes Wort formt ihn zu einer Persönlichkeit, die es sicher nicht allen recht macht, weil sie einen klaren Standpunkt vertritt aber gerade deshalb auch Achtung erfährt.

Wer Macht und Geld anbetet, ist letztlich ein armer Mensch. Wenn er stirbt, kann er nichts von seinem Reichtum in die Ewigkeit mitnehmen. Und auch schon in dieser Welt macht einem die Jagd nach den Gütern dieser Welt nicht zufrieden. Im Gegenteil, je mehr einer besitzt, desto mehr muss er auch haben. Er bleibt gehetzt und gejagt ein Leben lang.

Gott allein meint es gut mit uns, besser als jeder beste Freund. Aus Liebe zu uns, zu dir, hat er seinen Sohn in diese Welt geschickt, hat ihn ans Kreuz nageln lassen, damit wir von den Klauen des Teufels befreit werden, damit uns unsere Schuld vergeben werden kann und wir einmal freien Zugang zum Himmel haben. Wo finden wir solch einen Gott? Nirgendwo!

Amen