Bayreuth, den 26.12.2020 Hebräer 1,1-4

Liebe Gemeinde! 

Ein ungewöhnlicher Predigttext für Weihnachten. Meinen Sie nicht auch? Und doch ein sehr passender. Der Verfasser des Hebräerbriefes redet zwar nicht vom Kind in der Krippe. Aber er spricht davon, wer dieses Kind ist. Es ist das Wort Gottes. Das letzte Wort Gottes, also das Wort, auf das er sich festlegen lässt.

Gott redet. Alle Götter der Religionen dieser Welt schweigen. Sie sind stumm. Aber der lebendige Gott redet. Und dies ist ein Wunder. Denn diese Welt will von ihm ja oft gar nichts wissen und kümmert sich überhaupt nicht darum, was Gott ihr zu sagen hat oder vergisst es so schnell wieder. Aber trotzdem redet er, klar und vernehmlich. Er ist zwar kein Dauerredner, er redet nicht immer und überall. Aber er spricht zu uns durch seine bevollmächtigten Boten, wie die Propheten des Alten Testaments und die Zeugen, die heute das Evangelium verkündigen.

All dieses Reden zielt darauf ab, dass wir nicht nur Worte aus der Bibel hören, nicht nur einen Pfarrer oder eine Pfarrerin in einem Gottesdienst, sondern ihn, Jesus. Wenn dies geschieht, dann ist das etwas ganz Besonderes. Gerade in der heutigen Zeit. Denn viele, viele Stimmen, dringen auf uns ein und werben um unsere Aufmerksamkeit. Doch auf welche Stimmen sollen wir nun hören? Wir sind versucht zu sagen: Das muss jeder selber wissen. Was für den einen wichtig ist, ist für den anderen belanglos.

Das Glaubensbekenntnis der Postmoderne lautet ja so: Es gibt keine für alle Menschen absolut gültige Wahrheit. Jeder hat seine persönliche Wahrheit. Man muss alles gelten lassen. "Anything goes." Aber kann man so wirklich leben? Ohne Fundament? Ohne feste Maßstäbe? Ohne die Gewissheit, dass es jemand gibt, der mich unter allen Umständen liebt und zu mir steht?

Unser Herz sagt: Nein, so kann man nicht leben. Wir sehnen uns nach jemanden, auf den wir uns unbedingt verlassen können. Diese Sehnsucht kann kein Mensch erfüllen. Wir selber übrigens auch nicht. Auf uns selber können wir uns auch nicht verlassen. Aber warum ist nun Jesus der, auf den wir uns verlassen können? Warum können und sollen wir gerade auf ihn hören, auf seine Stimme?

Ich möchte als Antwort auf diese Frage eine Geschichte erzählen:

Ein Jugendreferent hat einmal unter Studenten ein eindrucksvolles Experiment gemacht. Einem Studenten wurden die Augen verbunden. Die anderen sollten ihm irgendeine einfache Aufgabe zurufen. Einer hatte eine besondere Nachricht weiterzugeben, eine, wie man ihm sagte „lebenswichtige Nachricht“. Er solle den Studenten mit den verbundenen Augen zum Professor aufs Podium bringen und ihn veranlassen ihn zu umarmen.

Wie nicht anders zu erwarten, erhob sich nun ein ohrenbetäubender Lärm. Der Student mit den verbundenen Augen stand ratlos in der Mitte und wusste nicht, was er machen sollte. Dann wurde dem einen Studenten mit der „lebenswichtigen Nachricht“ erlaubt, zu dem anderen zu gehen, ihn leicht zu berühren. Zerren und Schieben war verboten. Ohne zu Zögern folgte der Student nun dessen Anweisungen. Einem anderen Studenten war auch erlaubt, sich ihm zu nähern, allerdings ohne ihn zu berühren. Wie ein Verrückter schrie er auf ihn ein. Aber er folgte nur dem, der nun sanft den Arm um ihn gelegt hatte. Kurz vor dem Ziel geschah etwas Unvorhergesehenes. Alle Studenten im Raum riefen nun gemeinsam: „Geh nicht! Geh nicht!“ Immer lauter. Doch der Arm des Boten ließ die Schulter des Freiwilligen nicht mehr los und flüsterte ihm die letzte Anweisung ins Ohr. Der Freiwillige zögerte etwas, doch dann schlang er seine Arme um den Hals des Professors.

Der Freiwillige wurde später gefragt, warum er dem einen mit der „lebenswichtigen Nachricht“ gehorcht hatte. Er antwortete: „Weil ich das Gefühl hatte, dass ich ihm wirklich wichtig war.“

Sind wir nicht alle in der gleichen Lage wie der Student mit den verbundenen Augen? Da prasseln die verschiedensten Meinungen auf uns ein, von Ideologien, Weltanschauungen, Religionen. Sie rufen uns zu: „Tu dies, lass jenes, glaub das und das nicht.“ Wem können wir Glauben schenken? Ich persönlich habe dem geglaubt, der gewissermaßen unendlich sanft seinen Arm um mich gelegt hat und dem ich abgespürt habe, dass er es gut mit mir meint. Er ist der Gott, der nicht aus der Distanz mir Anweisungen für mein Leben gibt. Sondern es ist der Gott, der an Weihnachten Mensch geworden ist. Er hat sich nicht gescheut, durch sein Leben, sein Handeln, sein Reden und vor allen Dingen durch sein Sterben uns zu zeigen, wie wichtig wir ihm sind. Dieser Gott kam den Menschen unendlich nahe, weil wir ihm wichtig sind und er kommt uns auch heute noch unendlich nahe, weil er uns liebt, dich und mich liebt.

Jesus ist das Wort Gottes. Das heißt Gott hat sich ein für allemal in Jesus festgelegt. Ein Mensch kann sich auch aussprechen, oft in vielen Worten, sei es einem anderen gegenüber oder in seinen eigenen Gedanken oder Tagebüchern. Aber trotzdem bleibt es oft unklar, wer dieser Mensch denn eigentlich ist, trotzdem findet er oft nicht „das rechte Wort“. Bei Gott ist das anders, ganz anders. Es reicht für ihn ein Wort, um sich auszusprechen, und das heißt Jesus. Wer wissen will, wie und wer Gott ist, soll sich mit Jesus beschäftigen, was er geredet, und wie er gehandelt hat. „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ also Gott, sagte einmal Jesus zu seinen Jüngern. Wenn er sich dann diesem Jesus öffnet und an ihn glaubt, dann wird er Gott in seiner ganzen Fülle begegnen.

Dieser unbegreifliche ewige Gott wird nun Mensch in Jesus Christus. In einem Weihnachtslied wird dieses Wunder so ausgedrückt: „Den aller Weltkreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoss.“ Der Sohn Gottes verkleidete sich nicht als Mensch, sondern er wurde ganz und gar Mensch. Er verspürte wie wir Hunger und Kälte, Leid und Schmerz, er kannte Tränen und Enttäuschung, wie wir. Er wurde einer von uns. Und doch war er anders wie wir. Seine göttliche Liebe unterschied ihn radikal von uns. Immer wieder blitzte auch seine göttliche Macht durch ihn hindurch. Er konnte Wunder tun wie kein anderer vor oder nach ihm. Viele bestaunten ihn wegen dieser Taten. Aber er wollte keine Bewunderung. Er wollte Glauben, Hingabe an ihn, die Aufnahme seines göttlichen Wesens in unser Leben. Mit nicht weniger gab sich Jesus zufrieden.

Dieser Gott redet mit uns, heute noch. Jeder kann diese Stimme hören, wenn er in der Bibel liest, Er kann auch heute in diesem Gottesdienst seine Stimme hören. Es ist die Stimme eines uns liebenden Gottes, eines auch Sie liebenden Gottes. Und er sucht unseren Glauben.

Bald sind die Weihnachtsfeiertage wieder vorbei. Wir sind mit unseren Lieben zusammengekommen oder es wird noch geschehen, haben miteinander geredet, vielleicht auch diskutiert, haben in den Medien von denen gehört, die in Unterdrückung leben, in Kriegsgebieten oder auf der Flucht sind. Viele Stimmen werden wir gehört haben oder noch hören.

Doch die entscheidende Frage lautet: Haben wir in diesen Weihnachtsfeiertagen auch das deutliche Reden Gottes in unser Leben hinein vernommen? Haben wir es gehört, dass er durch das Kind in der Krippe zu uns reden wollte, dass er uns ganz neu sagen wollte: Dort liegt dein Heiland, dein Retter, der auch für dich in diese Welt gekommen ist.“?

Der Liederdichter Paul Gerhardt stellt sich in seinem Weihnachtslied vor, wie er gewissermaßen vor der Krippe steht. Er legt in diesem Lied „Ich steh an deiner Krippen hier“ dem Jesuskind diese Worte in den Mund: „Ich bin dein Freund, ein Tilger deiner Sünden. Was trauerst du, o Bruder mein? Du sollst ja guter Dinge sein, ich zahle deine Schulden.“

Hören wir diese Worte als ein Reden Gottes für uns? Ich möchte es tun, und ich hoffe, Sie alle hier auch. Jesus ist auch für Sie in diese Welt gekommen, um auch Ihre Sünden zu vergeben. Sie sind ihm unendlich wichtig, unendlich wertvoll und möchte, dass auch Sie in den Himmel kommen.

Wie kann Jesus und wie kann ein Verkündiger wie ich, der in seinem Namen spricht, so etwas sagen? Weil Jesus eben mehr ist als ein Mensch, auch mehr als ein Engel, wie es hier im Hebräerbrief heißt. Er ist der „Abglanz“ der Herrlichkeit Gottes und das „Ebenbild seines Wesens“. In ihm spiegelt sich Gott selber wider. In dem uralten Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel heißt es: Jesus ist „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen.“

Gott hat, wie es in unserem Predigttext heißt, von Gott einen Namen bekommen, der höher ist als der Name von jedem Engel. Dieser Name ist „Jesus“, das heißt auf Deutsch „Der Herr hilft“.

Von diesem Namen geht eine besondere Macht aus. Dieser Name „Jesus“ kann Herzen bewegen, Menschen verändern, Situationen klären. So habe ich es in meinem Leben das eine oder andere Mal erlebt.

Ich denke auch an ein Erlebnis des bekannten Pfarrers Wilhelm Busch. Der bekannte Pfarrer Busch durfte einmal folgendes erleben: Er beerdigte einmal eine Indianerin vom Zirkus Sarrasani. Die Beerdigungsansprache fiel ihm schwer. Denn kaum einer der zuhörenden Zirkusleute verstand Deutsch. Sie kamen ja aus aller Herren Länder. Dementsprechend schlecht war es mit der Aufmerksamkeit der Versammlung bestellt. Dies änderte sich schlagartig, als er das erste Mal den Namen „Jesus“ aussprach. Es geht wie eine Bewegung durch die Versammlung. Beim Klang des Wortes „Jesus“ horchen sie auf; nicht nur deshalb, weil der Name allen bekannt ist, sondern weil von ihm eine ganz besondere Macht ausgeht.

Die Indianer neigen sich. Die unruhigen Asiaten werden ganz still. Die Russen schauen ihn mit großen Augen an. — Da hat Busch nun auf einmal das Thema seiner Beerdigungsansprache gefunden. Sie kann von nun an nur noch ein Wort sein: dieser große Name Jesus!

So sagt er einen Satz nach dem anderen. Es kommt ihm nur noch auf den Namen Jesus an. Immer wieder verneigen sich die Indianer. Ganz still ist's mit einmal in der Versammlung. Vorher hatten sich Mädchen geschminkt. Verschwunden sind nun Lippenstift und Spiegel. Der einen laufen die hellen Tränen übers Gesicht. Eine andre stützt den Kopf in die Hände.

Und während Busch weiter den Namen Jesus verkündigt und all diese Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt vor ihm stille werden, kommt es dem Prediger vor, als erlebte er schon ein Stück von dem, was am Ende einmal sein wird: dass in dem Namen sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. So lesen wir es im Philipperbrief.

Und wie ist das mit unseren Knien? Haben sie sich schon gebeugt und beugen sie sich immer wieder vor ihm? Vielleicht haben wir es gehört, dass wir es tun sollen. Aber haben wir es auch getan?

Es gibt ein gewohnheitsmäßiges, pflichtgemäßes Christentum. Man denkt vielleicht: „Ich weiß alles, glaube alles, der Pfarrer kann mir nichts Neues sagen. Ich habe ja alles schon oft gehört.“ Man besucht den Gottesdienst, aber Gott kann trotzdem nicht mit ihnen reden, weil man sich nichts erwartet.

Da muss ein Wunder geschehen, dass Gott durch sein Wort ein Herz bewegt. Durch seinen Geist kann dieses Wunder passieren.

Bei einer kranken, alten Frau geschah dieses Wunder noch am Ende ihres Lebens. Sie war ein treues Gemeindeglied. Solange sie konnte, hatte sie die Gottesdienste besucht und Gottes Wort gehört. Sie kennt ihre Bibel. Sie weiß, dass ihre Lebenszeit zu Ende geht. Sie spricht mit ihrem Pfarrer darüber, dass sie starke Zweifel hat, ob Gott ihr eine bestimmte Schuld vergibt. Sie fühlt sich schuldig daran, dass die Ehe ihres Sohnes in die Brüche gegangen ist. Wohl weil sie ihren Sohn ihr Leben lang nie ganz loslassen konnte. Immer wieder hatte sie sich in die Ehe eingemischt und diese gestört, so dass sie auseinanderging. Bei einigen Besuchen sprach sich immer wieder das belastete Gewissen aus. Sie sagte. "Ich weiß, dass Jesus für meine Schuld gestorben ist. Aber ich kann's nicht glauben, dass er mir auch diese Schuld an meinem Sohn vergeben hat." Ihr Gewissen ließ sich nicht beruhigen. Da war kein Frieden, keine Geborgenheit, keine Glaubensgewissheit da, sondern nur Angst, verloren zu gehen wegen einer Schuld, die nicht vergeben war.

Sie hat ein Leben lang das Wort von der Vergebung gehört und doch nicht so gehört, dass sie geglaubt hat. Am Ende konnte diese Frau das befreiende Wort, dass Jesus ihr auch diese Schuld an ihrem Sohn vergeben hat, glauben. Sie konnte getrost zu ihrem Herrn gehen, als sie starb.

Sie durfte dieses Wunder erleben, dass sie glauben konnte: Meine Sünde darf mich nicht von Gott trennen. Jesus hat sie mir vergeben. Dieses Wunder dürfen wir alle erleben, nicht nur einmal, übrigens, sondern immer wieder, auch heute in diesem Gottesdienst, auch im Abendmahl. Sie dürfen es glauben, was Jesus einmal dem Gelähmten zusprach: „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben!“

Amen