Bayreuth, den 31.12.2020   2. Mose 13,20-23

Liebe Gemeinde!

An der Schwelle zu einem neuen Jahr. Das ist immer eine besondere Situation. Das alte ist noch nicht ganz vorbei, das neue hat noch nicht angefangen. Wir blicken zurück auf das Jahr 2020. Niemand von uns hätte sich vor einiger Zeit vorstellen können, wie diese letzten Monate verlaufen sind. Keiner hätte es für möglich gehalten, dass ein Virus nicht nur unser Land, sondern die ganze Welt so in Atem hält und unser öffentliches und privates Leben total verändert. Wie wird es weitergehen? Wir wissen es nicht. Ein Silberstreif am Horizont sind für Viele die Impfstoffe, die Wissenschaftler entwickelt haben. Aber wir wissen ja trotzdem nicht, wie es nun mit der Bekämpfung der Pandemie im neuen Jahr weitergeht. Geschweige denn mit den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesundheitlichen Folgen der Corona-Krise.

Auch das Volk Israel befand sich in einer besonderen Schwellensituation. Und zwar in einer, die noch dramatischer war als unsere. Zurück lag der Auszug aus Ägypten. Es war der Auszug aus der Sklaverei und der Unterdrückung, aus Unrecht und Gewalt. Aber was wird die Zukunft bringen? Die Israeliten wussten es nicht. Momentan waren sie zwar nicht mehr Sklaven. Aber sie waren erst ein paar Tage unterwegs. Der Arm des Pharao war lang. Seine Elitetruppen konnten sehr schnell nachsetzen. Mit ihren Streitwägen konnten sie sie in kurzer Zeit einholen. Und so kam es ja auch. 

Das Volk Israel lagerte in Etam, am Rande der Wüste. Wenn sie nun weiterzogen, verließen sie das Kulturland, das Land Ägypten mit seinen Kanälen und Bewässerungsanlagen. Nun ging es hinein in eine lebensfeindliche Steinwüste. Wie kann man dort überhaupt leben und überleben? Das war keinem der Israeliten klar.

Aber gerade in dieser unsicheren Situation, an der Schwelle von einem alten zu einem neuen Leben machten sie ganz besondere Gotteserfahrungen. Die Israeliten erlebten Wunder über Wunder. Auf eine überaus spektakuläre Art und Weise durften sie erfahren: Gott lässt sie nicht im Stich. Je größer die Not, desto größer auch die Hilfe.

So ist es immer bis auf den heutigen Tag. Gott lässt sein Volk nicht im Stich. Diejenigen, die ihm und seiner Nähe vertrauen, werden seine Hilfe erfahren. So war es damals vor über 3000 Jahren beim Volk Israel. So wird es auch heute sein, für die, die Jesus vertrauen und sich zu denen halten, die mit ihm leben wollen. Sie werden Wunder über Wunder erleben, auch im Jahr 2021. Darauf können sie sich verlassen. Was natürlich nicht heißt, dass alles immer glatt und ohne Probleme sein wird. So war es ja auch beim Volk Israel.

Es durfte in besonderer Art und Weise die Nähe Gottes erfahren. „Der Herr zog vor ihnen her“, heißt es in unserem Predigttext, und zwar in einer speziellen Art und Weise. Tagsüber war es eine Rauchsäule, nachts eine Feuersäule. Vermutlich war es die gleiche. Dauerhaft war also Gott anwesend, sichtbar präsent, Tag und Nacht, und führte die Israeliten durch die Wüste.

Gott geht voran. Das gilt bis auf den heutigen Tag für uns als Christen. Und unsere Aufgabe ist es, dem von ihm gezeigten Weg zu folgen. Das ist wichtig. Denn viele Menschen wünschen sich, dass Gott sie zwar auf ihren Wegen begleitet. Aber die Führung möchten sie schon lieber selber übernehmen. Gott wäre dann so eine Art Bodyguard. Der ist dafür da, dass er eine wichtige Person schützt und eingreift, wenn eine Gefahr droht. Aber so ein Bodyguard gibt nicht die Richtung an. Wo es hingeht, bestimmt schon der zu schützende Promi.

Gott ist nicht so ein Bodyguard. Sondern er möchte uns auf unserem Lebensweg vorangehen. Aus gutem Grund. Er weiß, welche Wege für uns gut sind und möchte uns vor falschen Wegen bewahren. Wir sind damit überfordert, wenn wir selber immer wieder entscheiden müssten, welchen Lebensweg wir einschlagen sollen. Gott nicht. Denn er hat den Überblick. Er weiß, welcher Weg gut ist oder schlecht.

Als Verdeutlichung möchte ich eine Bergsteigergeschichte erzählen. Ein Mann bestieg mit seiner Familie die Mittagsspitze bei Tschagguns in Österreich. Sie kamen gut voran. Die Wege waren gut ausgebaut und gut bezeichnet. Bis sie in den felsigen Bereich auf der Spitze des Berges kamen. Dort waren auf einmal keine Wegzeichen mehr zu sehen. Eine Zeitlang konnte der Mann seine Familie führen. Doch dann hingen sie im Fels fest und wussten nicht mehr vor und nicht zurück. Da kam Hilfe von oben. Der Leiter einer anderen Gruppe vor ihnen griff ein. Er hatte den Überblick von oben und gab sachkundige Anweisungen für Hände und Füße. Er nahm die Familienmitglieder bei der Hand und zog sie auf den Weg zum Gipfel.

So kann uns auch Gott in unwegsamem Gelände unseres Lebens führen. Er hat den Überblick. Er kann uns die Schritte zeigen, die zum Ziel unseres Lebens, in den Himmel, führen.

Nur: Wie geht das? Gott ist für uns nicht sichtbar als Rauch- oder Feuersäule da. Wir hören ihn in der Regel auch nicht als Stimme eines Bergführers, der uns zuruft: „Jetzt den Fuß nach links und mit der Hand nach oben rechts greifen!“

Manche Menschen sind deshalb oft ratlos, weil sie nicht wissen, was sie in einer bestimmten Situation tun sollen. Was ist der Wille Gottes? Und was ist nur der eigene Wille? Wie soll man das wissen? Das sind Fragen, die man mir manchmal in der Seelsorge stellt.

Als grundsätzliche Antwort auf diese Frage kann man antworten: Zweifle nicht daran, sondern vertraue, dass Gott dich führt. Wer geführt werden will, der wird geführt. Als Orientierungsrahmen für unsere Entscheidungen hat uns Gott die 10 Gebote gegeben. Wenn ich meinen Lebensweg mit einer Autobahn vergleiche, dann sind die 10 Gebote wie Leitplanken. Sie wollen mich davor bewahren, von dem rechten Weg abzukommen. Gottes Gebote können uns in vielen Situationen Klarheit darüber geben, was der Wille Gottes ist und was nicht. So will Gott eben nicht, dass wir zum Beispiel stehlen, die Ehe brechen oder lügen.

Eine enge persönliche Beziehung zu Jesus kann uns auch helfen, rechte Entscheidungen zu treffen. Diese Beziehung wird durch das Gespräch mit ihm, durch das Gebet zu ihm, gepflegt. Wenn wir uns immer wieder mit ihm in Verbindung setzen, ihn bitten uns seine Wege zu weisen, nur dann kommen wir Richtung Ziel vorwärts. Nur dann kann er uns führen, wie etwa durch einen Menschen, den er uns in den Weg stellt und der uns weiterhilft. Durch einen Seelsorger, der uns als erfahrener Christ gute Ratschläge geben kann und mit uns betet. Oder durch bestimmte Fügungen, also bestimmte Situationen, die Gott eintreten lässt, so dass wir wissen, wie unser Lebensweg weitergeht. Oder durch ein bestimmtes Bibelwort, das uns einfällt oder das uns während einer Predigt, bei der Bibellese oder bei einer Abendmahlsfeier wichtig wird. Sicher müssen wir darauf achten, ein Bibelwort nicht wie ein Orakel zu benutzen. Aber es ist Erfahrung von vielen Christen, dass das Wort Gottes einen oft klar führt.

Bei meiner Berufsentscheidung, bei meinen Stellenwechseln, bei vielen persönlichen Entscheidungen haben solche Bibelworte eine wichtige Rolle gespielt. Manchmal war Gott so gnädig, dass ich solche Worte zwei oder dreimal hintereinander hörte oder las und mir wichtig wurden. Das war für mich dann wie ein liebevoller Stupser von Gott: "Jetzt glaube doch endlich dieses Wort und handle entsprechend!"

Gott führt. Manchmal auf eine menschlich gesehene „normale“ Art und Weise und manchmal ganz wundersam. Das ist ganz verschieden. Und manchmal sind es auch Wege, die wir ganz und gar nicht verstehen, die uns als Umwege oder Irrwege erscheinen.

Denken wir an das Volk Israel. Gott führte sie durch die Wüste. Aber es war nicht der kürzeste Weg. Dieser wäre eine alte Handelsstraße entlang der Mittelmeerküste gewesen. Aber Gott hat andere Pläne. Ganz bewusst führte er das Volk Israel einen viel längeren Weg. Denn der kurze Weg hätte es durch dicht besiedelte Gebiete geführt. Es wäre zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den dort wohnenden Völkern gekommen. Dies wollte Gott den Israeliten ersparen, zumindest zunächst, damit sie nicht gleich wieder entmutigt zurück nach Ägypten wollten.

Gott hat wie gesagt den Überblick. Er weiß besser als wir, welcher Weg der beste ist. Auch zu diesem Gedanken als Verdeutlichung eine Geschichte:

Eine Familie machte einen Sonntagsspaziergang. Drei muntere Kinder liefen ihren Eltern auf einem Schotterweg voraus. Das älteste der Kinder sprang vorneweg und schaute sich immer wieder um nach den beiden Geschwistern. Die Kinder liefen auf einen unbeschrankten Bahnübergang zu. In ihrer Freude am Spiel hatten sie alles um sich vergessen, hatten nur noch Augen und Ohren für ihr Fangen. So hörten sie nicht den herannahenden Zug. Direkt vor dem Bahnübergang stolperte das Mädchen und schlug der Länge nach hin. Im selben Moment brauste der Zug vorüber. Das Mädchen weinte über das schmutzige Kleid und die blutigen Knie. Der ganze Sonntag, alle Freude und Lust am Spiel schien ihr verdorben, sie fühlte nur den brennenden Schmerz und wollte sich kaum trösten lassen. Die Eltern aber sahen hinter dem kleinen Unglück die große Bewahrung vor der viel größeren Gefahr.

Die Wege, die Gott einen führt, können unendlich weh tun. Er kann seinen Kindern große Schmerzen zufügen, so dass sie nur noch laut schreien und weinen können. Sie verstehen es nicht, warum er dieses schwere Leid zugelassen hat. Vielleicht erst lange Zeit später werden sie es begreifen, vielleicht auch erst in der Ewigkeit. Aber sie dürfen glauben: In schwerer Krankheit können sie heil werden, angesichts des Todes können sie zum Leben kommen, durch schwere Verluste können sie einen tieferen Reichtum erlangen, in Erschütterungen können sie wieder zu Gott finden. Manchmal mutet Gott ihnen ein unbegreifliches Schicksal zu, um sie letztlich zu schonen.

Gott lässt manches in ihrem Leben zu, aber es muss vorher erst an Jesus vorbei, ja durch ihn hindurch. Was sie trifft, das trifft zuerst ihn. Was ihnen weh tut, das tut zuerst ihm weh. Was sie bedrückt, das belastet zuerst ihn. Was sie auch erdulden, das legt sich zuerst auf ihn. Was ihnen auch an Leiden begegnet, Jesus wird in seiner Liebe zuerst darunter leiden. Er wird nie zulassen, dass dieses Leid uns zu schwer wird, dass es uns kaputt macht. Denn er trägt es mit.

Dann kann auch an Kinder Gottes Vieles herankommen, was ihnen schaden will und soll, durch teuflische Versuchungen oder böswillige Menschen. Sie leben wie alle anderen Menschen noch nicht im Paradies, noch nicht im Reich Gottes, sondern in einer Welt, in der das Böse und der Böse, der Teufel, viel Macht hat. Und der kann auch den Christen stark zusetzen. Aber wahren Schaden kann er ihnen nicht zufügen.

Vielmehr ist es so: Jesus weicht nicht von unserer Seite. Manchmal spüren wir nichts davon. Aber er schenkt uns immer wieder sichtbare Zeichen seiner Nähe. Das brauchen wir. Sonst würden wir zusammenklappen.

Wir können nicht ein Leben lang immer nur gewissermaßen blind glauben, ohne Erfahrungen mit der Nähe Gottes zu machen. Das würden wir nicht aushalten. Das will uns Gott auch nicht zumuten. So schenkt er uns immer wieder sichtbare Zeichen seiner Nähe, Hilfe, Kraft, neuen Mut und Freude.

Die Israeliten sahen Tag und Nacht die Wolken-Feuer-Säule. Diese Säule war nicht Gott selber. Wenn er direkt in seiner Herrlichkeit und Heiligkeit anwesend gewesen wäre, hätten es die Israeliten nicht ausgehalten. Aber er war in dieser Säule auf geheimnisvolle Art und Weise anwesend. So ist es manchmal: Gott ist in irdischen Elementen anwesend, auch wenn er nicht in ihnen aufgeht.

Damals war Gott in der Wolken-Feuer-Säule anwesend. Für uns ist er „in, mit und unter“ Brot und Wein da. Auch heute Abend. An der Schwelle vom alten zum neuen Jahr feiern wir das Abendmahl. Das Abendmahl ist ein sichtbares Zeichen dafür: Jesus geht mit, auch ins neue Jahr. Wir sind nicht allein. Er verlässt uns nicht.

Er geht mit als der Gekreuzigte. In den tiefsten Tiefen des Leides und unserer Schuld lässt er uns nicht allein. Er hat alles Leid selber durchgemacht. Er hat die schlimmsten Sünden getragen, damit sie uns vergeben werden kann.

Und er geht auch mit als der Auferstandene, der uns immer wieder die nötigen Kräfte zukommen lässt, Hilfen und Schutz erleben lässt und Wunder über Wunder erfahren lässt. Wir dürfen gespannt darauf sein, wie er eingreift, wie er so manches Problem löst, das uns jetzt noch belasten will.

Wie gut zu wissen: Auch für das Jahr 2021 gilt für jeden und jede von uns: Gott geht voran und Gott geht mit.

Amen