Bayreuth, den 7.3.21 Lukas 9,57-62

Liebe Gemeinde!

„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Vermutlich alle unter uns kennen diesen Satz. Immer wenn in einem Werbespot ein Arzneimittel beworben wird, hören wir diese Worte. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, darauf hinzuweisen, dass beworbene Arzneimittel auch andere als die erhofften Folgen haben können. Ähnlich ist es, wenn ein Mitarbeiter einer Bank uns ein Finanzprodukt empfiehlt. Auch er muss auf die Risiken einer Geldanlage hinweisen. Erst recht ist es bei Zigaretten so. Auf der Schachtel wird gewarnt: Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit. Irgendwie scheint auch unser Predigttext in diese Reihe hineinzugehören. Wer Jesus nachfolgt, wer mit ihm leben will, hat nicht nur mit Vorteilen zu rechnen, sondern auch mit Nachteilen. Jesus redet hier von Risiken und Nebenwirkungen der Nachfolge. Und zwar sehr offen und deutlich. Vielleicht meinen wir: zu deutlich. Aber die Bibel ist ein ehrliches Buch. Und Jesus macht niemandem etwas vor. Wer mit ihm leben will, soll wissen, worauf er sich einlässt. Alles hat seinen Preis, auch ein Leben mit Jesus.

An drei Beispielen macht Jesus deutlich, was Nachfolge bedeutet. Drei Begegnungen. Drei Männer. Drei Überschriften: 1. Begeisterung reicht nicht. – 2. Ausreden gelten nicht. – 3. Halbheiten taugen nicht.

Also erstens: Begeisterung reicht nicht. Ein Mann kommt zu Jesus, spricht ihn an. Man meint die Begeisterung in seiner Stimme zu hören: „Ich will dir folgen, wohin du gehst.“ So spricht ein Verliebter: „Ich gehe mit dir ans Ende der Welt! Ich bleibe bei dir mein Leben lang!“ Der Mann wird wohl von den Wundern Jesu gehört oder sie gar miterlebt haben. Vielleicht hat er seinen mitreißenden Predigten gelauscht und stand ganz unter dem Eindruck der besonderen Persönlichkeit von Jesus. Diesem Mann möchte er sein ganzes Leben anvertrauen. Wunderbar, müsste man meinen. Der Mann hat es kapiert.

Aber Jesus verabreicht dem von ihm Begeisterten eine kalte Dusche. „Die Füchse haben ihre Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ Überlege, so will er ihm sagen, worauf du dich einlässt: Auf eine ungesicherte Existenz. Wenn du mit mir leben willst, hast du kein Dach mehr über dem Kopf. Du verzichtest auf ein warmes, bequemes Bett, auf ein gesichertes Einkommen.

Heute ist das genauso. Wer nur ein Idol sucht, das er bewundern und in dessen Glanz er sich sonnen kann, ist bei Jesus nicht am rechten Platz. Nachfolge Jesu hat ihren Preis. Christentum kostet etwas. Wer mit Jesus, zumindest in unserem Land, leben will, verzichtet zwar nicht auf seinen Besitz, auf sein Einkommen und seine Wohnung. Aber er verliert tatsächlich eine Heimat. Man hat in dieser Welt kein zu hause. Man ist in der Fremde. Das heißt, ich kann nicht mehr so denken, wie „man halt so denkt“, ich kann nicht mehr so handeln, wie jedermann halt handelt. Sondern ich kann nur noch denken und handeln wie Jesus Und der lebte ohne die kleinen Alltagslügen, die kleinen Alltagsbetrügereien, die kleinen Lieblosigkeiten, ohne die gottlosen Vergnügungen, die die Welt so bietet.

Auch wenn ich als Pfarrer Menschen für Jesus gewinnen möchte, will ich nicht vergessen, diesen Preis zu nennen. Wer an Jesus glaubt, wird zwar eine Freude gewinnen, die er woanders nicht findet, die Freude über Vergebung, die Freude, mit Jesus jemand gefunden zu haben, der einen nie im Stich lässt. Aber er wird auch immer wieder enttäuscht darüber sein, dass nicht alle Menschen seinen Glauben so wie er so toll finden, sondern sich darüber lustig machen und ihn ablehnen. Er wird nicht nur Achtung, sondern auch Verachtung erfahren, nicht nur Lob, sondern auch Spott. Und Jesus wird ihn nicht nur Wunder erleben lassen, sondern auch schwere Wege, die er nicht immer versteht. Er wird von ihm in Predigten oder in der Bibel nicht nur Worte hören, bzw. lesen, die ihm guttun, sondern auch wehtun. Denn im Christentum geht es auch um Veränderung und um das Ablegen von unguten Eigenschaften.

Also aufgepasst, ihr, die ihr hier sitzt oder vor einem Bildschirm diesen Gottesdienst mit verfolgt: Ich rede gerne von einem gnädigen Gott, von einem Gott, der bedingungslos und voraussetzungslos liebt, vor dem wir keine Leistungen vorweisen müssen, damit er uns annimmt. Denn das ist die Wahrheit, wunderbare Wahrheit.

Aber das andere muss auch gesagt werden. Es gibt, so hat es Dietrich Bonhoeffer gesagt, keine billige Gnade. Wenn man das in der Kirche verschweigt, macht man sich schuldig. Dann fördert man eine falsche Haltung, die es sicher häufig gibt:

Man hört gerne von der Liebe Gottes und lässt sich auch gerne die Vergebung zusprechen. Aber all dies geschieht ohne Buße. Es ist eine Haltung, die sich gerne sagen lässt: Jesus nimmt die Sünder an, aber die Sünde nicht lassen will. So wird Gnade, wie Bonhoeffer sich ausdrückte, zur billigen Gnade, zur Schleuderware, zur verschleuderten Vergebung, zum verschleuderten Trost. So wird Gnade zum Prinzip, zu einer allgemeinen Wahrheit.

Aber das Evangelium ist teure Gnade, die immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muss, so Bonhoeffer. Gnade ohne Nachfolge, ohne die Bereitschaft, sich ändern zu lassen, gibt es nicht.

Als Zweiter steht ein Mann vor Jesus, der innerlich zögert. Aber Jesus macht ihm klar: Ausreden zählen nicht. Jesus ruft ihn in die Nachfolge. Doch der Mann möchte zuerst seinen Vater beerdigen. Man kann übrigens davon ausgehen, dass dieser Vater noch lebte. Ansonsten hätte er wohl zuhause getrauert, und, wie üblich, sofort die Beerdigung durchgeführt. Dann sind die Worte des Mannes so zu verstehen: Ich will dir schon nachfolgen. Aber erst, wenn mein Vater tot ist. Jesus erkennt die Worte des Mannes als Ausrede und sagt ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben und folge mir nach!“ Das heißt: Lass dich nicht durch falsche Rücksichtnahmen davon abhalten, mit mir zu leben. Verschiebe keine Entscheidung für ein Leben mit Jesus.

So wie dieser Mann denken viele Menschen: Zuerst das Studium, zuerst der Hausbau, zuerst die Kinder, der Ehepartner, der Verein, die Hobbys, und wenn dann noch Zeit ist, dann kommt Jesus. Ja, wenn dann noch Zeit ist! Es gibt ja auch ein zu spät.

In der Geschichte mit Gott gibt es Momente, die man nicht verpassen darf. Die sind einmalig. Zum Beispiel in irgendeinem Gottesdienst siehst du dein Leben ganz klar, so wie es ist, mit seinen Sünden und bösen Gewohnheiten. Du hörst, dass es für eine Chance gibt, dass Jesus dich retten kann. Du merkst, dass er dich liebt und dich zu sich ruft. Dann erkennst du: Eigentlich wäre es wirklich Zeit, ein Leben mit Jesus zu führen, und dann tust du es doch nicht. Du denkst: Später! Es hat ja noch Zeit! Und die Gelegenheit ist vorbei.

Und dann der dritte Mann, der zu Jesus kommt. Er spricht: „Herr, ich will dir ja nachfolgen. Aber erlaube mir vorher, mich von meiner Familie zu verabschieden.“ Vielleicht noch mit einem großen Fest. Das ist, wie wenn jemand eine neue Arbeitsstelle beginnt und am ersten Tag gleich Urlaub haben möchte. Das kommt nicht gut an. Auch bei Jesus nicht. Deshalb lehnt Jesus diese Bitte schroff ab. „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Auch wenn wir, wie ich auch, noch nie einen Pflug in der Hand hatten, kann man das Bild leicht verstehen. Wer beim Pflügen mit dem Ochsen nach hinten guckt, der kriegt im Acker krumme Furchen. In der Sprache der „Volxbibel“ wird diese Aussage Jesu so ausgedrückt: „Wer beim Mopedfahren nach hinten sieht, knallt an den Baum.“ Ohne Bild, gesprochen: Wer eine Sache mit halben Herzen angeht, kann sie gleich bleiben lassen. Das wird nichts. Halbe Sachen taugen nicht. Auch die Sache mit Jesus.

Ein halbes Christsein wäre, wenn ich mir nur das Angenehme herauspicken würde. Wellness für die Seele möchte. So ein Christsein soll nicht weh tun, soll nicht zu anstrengend sein, es soll bequem sein. Mit einem Wort: Ich suche mir nur das Angenehme im Christentum heraus. Ich möchte nur etwas von der Liebe Gottes hören und sie genießen, aber mein Leben ändern möchte ich nicht. Dazu bin ich zu bequem.

Vielleicht weiß man schon, was richtig wäre und was einem guttun würde, aber man tut es nicht, weil man zu faul ist. Das Bett ist so schön warm, da fällt halt die morgendliche Bibellese und das Gebet aus. Das Wetter ist so schlecht, da trinke ich lieber gemütlich eine Tasse Tee als in den Gottesdienst zu gehen. Das Fernsehprogramm ist so spannend, da setze ich mich lieber vor den Bildschirm als andern Menschen Gutes zu tun wie etwa seiner Frau beim Abspülen helfen oder seiner kleinen Schwester die Hausaufgaben zu erklären.

Oder man ist zu leichtsinnig. Man flirtet mit Dingen, die eindeutig schlecht sind. Man weiß schon, wenn ich mich mit den Leuten treffe, dann wird nur hohles Zeug geredet oder da wird sicher wieder zu viel Alkohol getrunken, aber man macht es trotzdem, weil man denkt, ich kann doch wieder gehen, wenn es mir nicht mehr gefällt. Oder man denkt beim Umgang mit Medien: Ich weiß schon selber, was ich anschauen oder anhören kann, und hat sich dann doch nicht mehr im Griff und sieht und hört Dinge an, von denen man weiß, sie sind nicht in Ordnung. Oder man ist zu leichtsinnig im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Man denkt: "Ich weiß doch, wie weit ich gehen kann," und geht dann doch zu weit.

Aber dann auf der anderen Seite, wenn du Jesus brauchst, wendest du dich schon wieder an ihn. Ist so ein Christsein nicht eine halbe Sache?

Jesus will sich nicht als Notnagel gebrauchen lassen. Du kannst nicht sagen: Hilf mir Jesus! Und wenn er geholfen hat: Tschüss, Jesus! Nein, er will mit dir eine feste, unauflösliche Beziehung eingehen, eine absolut verbindliche. Er gab alles für dich, sein ganzes Leben. Das gleiche erwartet er auch von dir: Jesus will dein ganzes Leben, nicht bloß ein halbes. Bei Jesus gibt es keine halben Sachen. Das hat nichts mit Fanatismus zu tun, sondern mit Liebe. Er liebt dich. Und er möchte, dass du ihn auch liebhast. Dass du ihm nachfolgst. Dass du in seiner Nähe bleibst. Mit ihm lebst und ganz abhängig wirst von ihm, von seiner Hilfe, seinem Eingreifen, seiner Vergebung und der Erfahrung seiner Liebe. Das ist so wichtig und tut gut, ihm Jesus immer wieder zu sagen: Ich brauch dich.

Mach das doch! Sag ihm alles, wirklich alles, was dich bewegt. Schütte ihm dein Herz aus!

Sag ihm deine Ängste und Nöte. Er hat die Macht, dir in schwierigen Lagen deines Lebens zu helfen. Er hat die Macht, wie es in einem Lied heißt, „es zum Guten zu wenden.“ Er kann eingreifen, er kann Wunder tun. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen, wie dein Problem, das du mit dir herumschleppst, gelöst wird. Er weiß schon um die Lösung. Bitte ihn doch darum, dass er dir hilft!

Sag ihm auch alle deine enttäuschten Sehnsüchte nach Liebe, Zuneigung und Geborgenheit, deine Sehnsucht nach einem Leben, das diesen Namen verdient. Und sag ihm auch alle Abgründe deiner Seele, das worüber du dich zutiefst schämst, was du vielleicht noch keinem Menschen gesagt hast. Ihm kannst du alles sagen, auch deine schlimmste Sünde und Schuld. Mit einem Wort: Sag ihm: Ich brauch dich! Er verachtet dich nicht. Ganz im Gegenteil. Er wartet nur auf solche Worte. Er sehnt sich nach so einem Bekenntnis. Denn dann kann er dir ja seine Liebe zeigen, die er schon immer für dich hatte. Dann kann er dir auch alle deine Schuld vergeben. Und dich verändern, dass du das tun kannst, ja gerne tust, was er von dir will. Er macht keine halben Sachen.

Durch den Glauben an Jesus beginnt etwas Neues in uns. Es ist noch nicht perfekt. So wie ein neugeborenes Baby noch kein erwachsener Mensch ist. Noch lange nicht. Es muss noch viel lernen. Es kann noch nicht laufen, noch nicht selber essen und vieles andere mehr. So muss auch ein wiedergeborener Christ auch noch viel lernen. Er macht noch viele Fehler und lädt neue Schuld auf sich. Aber es ist trotzdem etwas anders geworden. Er ist ja nun ein Kind Gottes, das Jesus Christus immer auf seiner Seite weiß. Zu ihm darf er jeden Tag mit seiner Schuld kommen. Er vergibt sie ihm. Und er verändert ihn im Laufe seines Lebens. Jeder, bei dem durch den Glauben etwas Neues im Leben angefangen hat, darf nun auch glauben, dass Jesus bei ihm keine halben Sachen macht. Paulus schrieb einmal an Menschen, die angefangen haben zu glauben: „Der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag Jesu Christi.“

Wenn du an deinem Christsein verzweifeln willst, lass dich trösten: Jesus hat mit dir Geduld. Deshalb darfst du auch mit dir Geduld haben. Er wird auch in deinem Leben alles neu machen.

Amen