Bayreuth, den 21.03.2021 Hebräer 13,12-14

Liebe Gemeinde!

„Draußen vor dem Tor“ hat Jesus gelitten. So schreibt es hier der unbekannte Verfasser des Hebräerbriefes. Vor den Toren der Stadt Jerusalem befand sich die Hinrichtungsstätte für Schwerverbrecher. Wir kennen ihren Namen: Golgatha. Gleich in der Nähe war wohl die Müllkippe Jerusalems. Was man nicht mehr brauchte, was kaputt war oder verdorben, warf man dorthin.

Jesus gehörte auch zu dem Müll Jerusalems. Er war ein Störenfried, ein Fremdkörper in den Augen der Frommen seiner Zeit. „Weg mit ihm! Ans Kreuz mit ihm!“ so schrie auch das von ihnen aufgehetzte Volk. Deshalb behandelte man ihn wie Müll. Man schleppte ihn vor die Tore Jerusalems, dorthin, wo er niemanden mehr störte. Man entsorgte ihn wie Müll auf dem Hügel Golgatha.

Die abgestumpften römischen Soldaten schlugen ihn ans Kreuz. Die Menge johlte und gaffte und ergötzte sich am Sterben eines Gotteslästerers. Die fromme Elite machte sich über den Hilflosen lustig. Es war nicht nur ein grausamer Tod, sondern auch ein entwürdigender. Jesus starb als Ausgestoßener seines Volkes, verhöhnt und verspottet.

So starb Jesus, verlassen von den Menschen, bis auf ein paar Getreue, die unter dem Kreuz standen, und auch verlassen von Gott. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ schrie er in seiner Qual. Er war von Gott getrennt, allerdings wegen unserer Sünde und Schuld. Er gehörte nicht mehr zu Gott, damit wir zu Gott gehören, damit wir durch sein Blut geheiligt werden, wie es hier in unserem Predigtabschnitt heißt.

„Heilig“ heißt nämlich „ausgesondert“. Heilig ist das, was zu Gott gehört. Unter "Heiligkeit" stellen wir uns eine hohe moralische Auszeichnung vor. Die katholische Kirche versteht unter einem "Heiligen" einen vorbildlichen Christen, der zudem noch Wunder gewirkt haben muss, wohlgemerkt nach seinem Tode, wenn Christen zu ihm gebetet haben.

Von dieser Art von Heiligkeit weiß die Bibel nichts. Folgendes Beispiel mag uns erklären, was die Bibel unter "heilig" versteht: Da wird ein Haus gebaut. Nach den Planungen erfolgt die Vorbereitung der Baustelle. Dazu ist nötig, Werkzeuge, Maschinen bereitzustellen. Bestimmte Werkzeuge werden benötigt und die werden zunächst ausgesondert. Das ist der biblische Begriff von "heilig": ausgesondert, bereitgestellt. Ein "Heiliger" ist von Gott selbst ausgesondert, von ihm für den Bau seines Reiches erwählt, das heißt bereitgestellt. Wer heilig ist, der gehört zu Gott, den will er gebrauchen.

Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hat sich einmal mit einem katholischen Priester unterhalten. Dieser sagte: "Ich möchte ein Heiliger werden." Bonhoeffer erwiderte: "Und ich möchte glauben lernen."

Ich meine: Die zweite Aussage gibt das mehr wieder, was Heiligung heißt als die erste. Wir können uns nicht vornehmen, anders zu werden, erst recht nicht ein Heiliger zu werden. Aber wir können immer neu glauben, dass Jesus uns liebhat, dass er uns verändert und uns zu Menschen macht, die in sein Reich hineinpassen.

Jesus heiligt uns durch sein Blut. Dies wird heute oft in Frage gestellt, auch in der Theologie. Muss Gott wirklich Blut sehen, um versöhnt zu sein? Auf moderne Ohren klingt das schockierend. Aber Sünde ist eben nichts Harmloses, keine Kleinigkeiten, die man mit einem „Schwamm drüber“ aus der Welt schaffen kann. Egoismus, Gottlosigkeit, Lieblosigkeit wiegen schwer vor Gott. Sie kosten das ewige Leben. Sie verdienen die Hölle. Nun ist Gott selber für uns in seinem Sohn am Kreuz freiwillig in die Hölle gegangen. So viel sind wir ihm wert. So sehr liebt er uns. Eine größere Liebe kann man sich nicht vorstellen.

Aus dem, was Christus für uns getan hat, sollten wir also kein Problem machen. Wir sollten es vielmehr dankbar annehmen. Er heiligt sein Volk durch sein Blut. Das heißt: Wir dürfen als Heilige leben.

Jesus schämt sich nicht, uns seine Brüder zu nennen, heißt es anderer Stelle im Hebräerbrief (Hebräer 2,11). So wollen wir uns auch nicht schämen, ihn unseren Bruder zu nennen, selbst wenn es etwas kostet. Das ist damit gemeint, wenn hier steht, dass wir zu Jesus hinausgehen sollen und seine Schmach tragen. Wo Menschen sich zu Jesus bekennen, da müssen sie ein Stückweit die Schmach Jesu mittragen. Das war bei mir als Jugendlicher so, wo ich in meiner Klasse mit meinem Glauben an Jesus mehr oder weniger alleine stand und nicht alles mitmachte, dafür manchen Spott aber auch Achtung erfuhr. Das war auch als Pfarrer mehrmals der Fall, wenn ich mich zu Jesus und dem Evangelium bekannt habe. Wo ich in Predigten von Vergebung gesprochen habe, musste ich auch von Schuld sprechen. Das kam nicht bei allen gut an.

Wer Unrecht beim Namen nennt, wird angegriffen. So habe ich es auch hautnah miterlebt. Vor einigen Jahren nahm ich in Berlin beim Marsch für das ungeborene Leben teil. Wir wurden von Gegendemonstranten angepöbelt, angeschrien und mit kleineren Gegenständen beworfen. Sitzblockaden brachten den Zug zwei Stunden lang zum Stillstand. Vor vier Jahren hielten wir für Mitarbeiter eine Informationsveranstaltung über die Gender-Ideologie ab. Auch da erlebten wir von linksextremen Kreisen, aber auch von der Presse und einigen Lokalpolitikern Widerstand. Aber das sind alles noch vergleichsweise harmlose Lüftlein gegenüber dem Sturm der Verfolgung der bekennenden Kirche im Dritten Reich. Damals musste mancher tapfere Christ ins Gefängnis oder gar ins Konzentrationslager. Auch heute ist es noch so: Wer Christus als den Herrn der Welt bekennt, zieht sich schnell die Feindschaft der anderen Herren zu. In Nordkorea oder in islamischen Ländern kann das das Leben kosten. Bei uns unter Umständen „nur“ den guten Ruf.

Auch wenn ich manchmal den Mund aufgemacht habe, um mich zu Jesus zu bekennen, frage ich mich doch: Hast du nicht doch da geschwiegen, wo du hättest reden sollen? Hast du nicht auch aus Angst oft genug den Mund gehalten?

Ich denke an Sören Kierkegaard. Das war ein Däne, der im letzten Jahrhundert lebte, ein kluger und frommer Mann. Der hielt nicht seinen Mund. Er prangerte das oberflächliche Christentum seiner Heimatstadt Kopenhagens an. Die Christen, so sagte er, wollten zwar gerne fromme Sprüche hören, aber Jesus nachfolgen, das wollten sie nicht. Als „Schundausgabe“ bezeichnete er das Christentum Kopenhagens. Aber Kierkegaard erntete nur Hohn und Spott.

Was Kierkegaard damals sagte, ist heute genauso aktuell. Eine „Lightausgabe“ des Christentums ist heute wie zu allen Zeiten gefragt. Ein Christsein, in dem man schon gerne von der Liebe und Fürsorge Gottes hört, aber ein Christsein ohne Umkehr, ohne Sündenerkenntnis, ohne Hölle, ohne konsequente Nachfolge, eben Christsein „light“, leicht zu genießen, leicht zu verdauen.

Der ehemalige württembergische Landesbischof Theo Sorg schrieb einmal: „Wir sind in unserer westlichen Welt heute eine satte, leidensscheue und wenig flexible Christenheit geworden, in der man nicht mehr viel merkt von einem Geist des Aufbruchs. Etabliert sind wir, sesshaft, angepasst an die Welt, die uns umgibt, verschanzt hinter den Mauern unserer Kirchen und Gemeindehäuser – und deshalb fallen wir kaum noch auf unter den gesellschaftlichen Gruppen unserer Zeit, deshalb fehlt uns weithin die missionarische Ausstrahlung. Darum gilt uns heute in besonderer Dringlichkeit: ‚Lasst uns nun mit ihm hinausgehen aus dem Lager.‘“

Wir leiden nicht gerne. Wir leiden auch nicht gerne um Christi willen. Aber manchmal muss es sein, dass wir uns zu Jesus bekennen, auch wenn es für uns unbequem werden kann. Er, der Herr der Welt, lässt uns dann nicht im Stich. Er hat einmal seinen Jüngern gesagt: „Wer sich zu mir bekennt, zu dem werde ich mich auch bekennen.“

Unsere Konfirmanden und Konfirmandinnen werden sich bei ihrer Konfirmation zu Jesus bekennen. Sie werden dann gefragt: „Wollt ihr unter Jesus Christus, eurem Herrn leben, im Glauben an ihn wachsen und als evangelisch-lutherische Christen in seiner Gemeinde bleiben, so sprecht: Ja, mit Gottes Hilfe." Bei der Konfirmation ist es relativ einfach, „Ja, mit Gottes Hilfe“ auf diese Frage zu antworten. Aber wie sieht es dann im Alltag aus? Wollen sie dann wirklich so leben, wie Gott es haben will? Und wie sieht es an den Sonntagen darauf aus? Sagen sie dann zu ihren Eltern oder Geschwistern: Ich möchte in den Gottesdienst gehen, nicht, weil ich muss, sondern weil ich will?

Das ist dann deren Entscheidung. Ich denke, sie fällt leichter, wenn man sich wieder bewusstmacht, was ein Leben mit Jesus bringt: Hilfe und Schutz in schweren Zeiten, wunderbare Führungen im Alltag, Trost in schweren Zeiten und vor allen Dingen die Vergebung der Schuld.

Lohnt es sich, die Schmach Christi zu tragen? Antwort auf diese Frage gibt uns der letzte Vers unseres Predigtabschnittes: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Wir können unsere Häuser noch so gut in Schuss halten: Der Zahn der Zeit nagt daran. Wir können uns noch so gesund ernähren, wir können uns noch so fit halten mit ausreichender Bewegung und Sport. Irgendwann machen die Gelenke nicht mehr mit. Irgendwann werden unsere Organe versagen. Und dann werden wir sterben. Wir denken nicht gerne an diese Tatsache. Wir verdrängen sie lieber. Und wer seinem Pfarrer nicht glauben will, der frage seinen Hausarzt oder einen Biologen. Die werden auch das Gleiche sagen: Wir leben hier nicht für immer. Wir haben hier keine bleibende Stadt. Manchmal wünschten wir uns, dass alles so bleibt, wie es ist. Vor allen Dingen dann, wenn wir uns so richtig wohl in unserer Situation fühlen. Aber das geht nicht. Und es ist auch gut so. Wir sind auf unserer Lebensreise zum Weiterwandern bestimmt. Sonst erreichen wir unser Ziel nicht.

Ein Tourist darf in einem Kloster bei Kartäusermönchen übernachten. Er ist sehr erstaunt über die spartanische Einrichtung ihrer Zellen und fragt einen Bruder: "Wo habt ihr eure Möbel?" Schlagfertig fragt der Mönch zurück: "Ja, wo haben Sie denn Ihre?" "Meine?" erwidert darauf der Tourist verblüfft. "Ich bin ja nur auf der Durchreise hier!" "Eben", antwortet der Mönch, „das sind wir auch."

Das Volk Gottes ist auf der Durchreise. "Wir haben hier keine bleibende Stadt." (Hebräer 13,14).

Gott macht uns zu Wanderern zwischen zwei Welten. Es stimmt, was in dem Abendlied steht: "Ein Tag, der sagt's dem andern, mein Leben sei ein Wandern zu großen Ewigkeit..."

"Wir haben hier keine bleibende Stadt" Dieses Wort bestätigt erst einmal diese Wahrnehmung: nichts bleibt, alles verändert sich, wandelt sich, bis es schließlich einmal vergeht. Menschen, Städte, ja die ganze Welt - irgendwann einmal ist alles nur Vergangenheit.

Ich habe es schon mal hier auf dieser Kanzel erzählt: Lehrreich für mich war unser letzter Umzug von Hartmannshof nach Bayreuth. Bis dahin hatte ich immer von "meiner" Kirche, "meinem Gemeindehaus", "unserem Haus" und "unserem Garten" gesprochen. Aber spätestens als ich für all die Häuser die Schlüssel abgeben musste, wurde mir klar: Das hat ja gar nicht gestimmt! Du hast alles nur verwaltet, es gehört dir gar nichts. Das gilt auch für all unseren Besitz, auch wenn uns wirklich ein Haus gehört. Das gilt auch für unsere Familie und für uns selbst, unsere Gesundheit und unser Leben. Es gehört nicht uns. Es ist alles nur von Gott geliehen.

Es vergeht alles. Wir sollen deshalb nicht depressiv und schwermütig werden. Es geht eben nicht um einen wehmütigen Blick in die Vergangenheit, die "guten alten Zeiten", sondern ich möchte unseren Blick in die Zukunft richten: "die zukünftige (Stadt) suchen wir".

Wer weiß heute noch etwas davon? Es ist ein ungeheures Privileg, dass wir davon wissen und es glauben dürfen.

Bei Max Lucado habe ich gelesen: "In Gottes Geschichte ist das Leben auf der Erde nur der Anfang: der erste Buchstabe im ersten Satz des ersten Kapitels der großen Geschichte, die Gott mit unserem Leben schreibt."

Wer von uns ein gewisses Alter erreicht hat, ist versucht zu denken, die besten Jahre sind nun vorbei. Unsinn. Das Beste liegt noch vor uns: die Ewigkeit im Himmel.

"Die zukünftige (Stadt) suchen wir."

Sehen wir auf die immer knapper werdende Zeit, denken wir: „Jetzt muss ich aber aus meinem Leben noch rausholen, was nur rauszuholen geht“, dann geraten wir in Unruhe und Hektik.

Wenn wir aber auf die zukünftige Stadt sehen, das heißt, wenn wir daran denken, dass wir auch nach dem Tod noch eine Zukunft haben, dann können wir ganz gelassen werden. Uns reicht dann die Zeit, denn wir haben ja noch eine ganze Ewigkeit in Reserve.

Diese Welt kann schön sein. Aber sie ist vergänglich. Irgendwann heißt es Abschied nehmen. Auch von unserem liebsten Menschen. Arbeit, Hobby, Menschen, alles vergeht.

Da ahnt auch unser Herz. Deshalb sehnt es sich im tiefsten Grunde nach etwas, was nicht vergeht: Nach etwas Unvergänglichem, nach etwas Ewigem. Diese Sehnsucht hat uns Gott selbst ins Herz gelegt. Und er selber will sie auch stillen. Wir alle sind für eine bessere und viel schönere Welt bestimmt als unsere Erde. Es ist der Wunsch Gottes, dass wir alle einmal bei ihm die Ewigkeit verbringen.

Er hat es so einfach gemacht, damit dies geschehen kann. Lebe in diesem Leben mit Jesus. Stelle dich auf seine Seite. Er wird dir ewiges Leben schenken. Wer Jesus in diesem Leben als seinen persönlichen Freund kennengelernt hat, darf sich auf darauf freuen, dass er ihm nach seinem Tod begegnen wird. Er darf sich auch auf ein Wiedersehen mit den Freunden und Verwandten freuen, die wie wir diesen Weg des Glaubens mitgegangen sind. Wir dürfen leben, in Ewigkeit leben, wenn wir nur Jesus Christus vertrauen. Sind das nicht wunderbare Aussichten?

Amen