Bayreuth, den 02.04.2021 Jesaja 53, 1-12

Liebe Gemeinde! 

„Von wem redet dieser Jesaja nur?“ So hat im Neuen Testament ein suchender Mensch gefragt. Er las diese Worte aus Jesaja 53 und war ganz ratlos. Der Diakon Philippus konnte ihm die Antwort auf diese Frage geben. Jesaja redet hier von Jesus. Etwa 600 vor Christi Geburt hat der Prophet diese Worte niedergeschrieben. Er beschreibt das Leiden und Sterben eines Gottesknechtes. Es waren sicher dunkle und schwer verständliche Worte für jeden, der sie las. Jahrhundertelang. Aber nach Karfreitag und Ostern war den Christen klar: Jesaja 53 redet prophetisch von Jesus. So war sein Schicksal.

"Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg." So heißt es hier in Vers 3. Davon möchte ich zunächst reden. Das ist eine zutreffende Beschreibung der letzten Stunden von Jesus. Er wurde verhaftet, gequält, gefoltert, angespuckt und verhöhnt. Man zog ihn nackt bis auf die Haut aus und schlug ihn an ein Kreuz. Nur seine engsten Anhänger hatten Mitleid mit ihm. Die anderen verspotteten ihn. Die Zuschauer hatten nur Verachtung für ihn übrig. Dieser soll der Messias, ja der Sohn Gottes sein? Unmöglich! Dieser Mann war ein Versager, ein von Gott Verlassener, ein von ihm Verfluchter.

Und heute? Auch heute haben viele Menschen nur Hohn und Spott für Jesus übrig. Es gibt geschmacklose Witze über die Kreuzigung. Bei einem Faschingsumzug hat man das Kreuz Jesu verhöhnt und statt Jesus einen maskierten Clown ans Kreuz gehängt. In einem satirischen Magazin stellte man Jesus als Toilettenpapierhalter dar. Ein Model ließ sich einmal für Werbezwecke an einem Kreuz ablichten.

So manche Theologen können mit dem Kreuz Jesu nicht mehr Rechtes anfangen. Sie glauben nicht oder nicht mehr, dass Jesus für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist. Das seien primitive Vorstellungen von einem blutrünstigen Gott, meinen sie. Und verzichten damit auf das Herzstück des christlichen Glaubens, auf die Vergebung und Versöhnung durch das Leiden und Sterben Jesu.

Auch in der kirchlichen und frommen Welt nehmen Jesus viele nicht ernst. Sie rechnen gar nicht mit seiner Hilfe in den Nöten ihres Lebens. Ist das nicht auch Verachtung? Jesus verachten hat viele Gesichter. Es geschieht dann, wenn man ihn einfach im Alltag vergisst und am Feiertag lieber einen Ausflug macht oder ausschläft, als sein Wort zu hören. Man verachtet ihn aber auch, wenn man in der Kirche sitzt und ihn doch nicht liebhat und ihm doch nicht vertraut.

Die schlimmste Verachtung ist wohl die Gleichgültigkeit. Vielleicht kennen wir das ja auch: Wir wissen schon, dass Jesus für uns am Kreuz gestorben ist. Aber es berührt uns nicht. Wir nehmen die Glaubenswahrheit zur Kenntnis aber danken nicht dafür. - Bild einblenden! -

Mir steht zu diesem Gedanken eine Zeichnung eines tschechischen Künstlers vor Augen. Darauf sehen wir einen Mann, der ein Kreuz schleppt: Jesus. Er sieht aus wie ein Arbeiter in Arbeitshose und kariertem Hemd, die Ärmel sind hochgekrempelt, ein Arbeiter, der ganz schön schuftet: er schleppt sichtbar an seiner Last. Sie hat ihn schon in die Knie gezwungen. Der Rücken ist gebückt und er hinterlässt tiefe Fußspuren.

Der Weg ist klar, den er geht: von der dunklen Stadt, die unten liegt, auf den Hügel, der in helles Licht getaucht ist.

Zu dieser Arbeitergestalt passt das Wort aus Jesaja: „Du hast mir Arbeit gemacht mit deinen Sünden.“ Das stimmt. Jesus hat wirklich hart gearbeitet für unsere Erlösung. Es hat ihn Schweiß und Blut und das Leben gekostet.

Welche Last trägt denn der „Arbeiter“ Jesus: Zuerst einmal das wuchtige Kreuz, das allein schon schwer genug wäre. Doch dann sitzen da auch noch vier Leute auf dem Kreuz – ganz verschiedene Typen.: ein Liebespaar, ein Zeitungsleser und sogar ein Pfarrer. Sie haben eines gemeinsam: sie machen es sich auf dem Kreuz bequem. Sie haben überhaupt kein Interesse für den Lastenträger unter ihnen. Ja, sie scheinen gar nicht zu wissen, dass ihr Wohl und Wehe ganz und gar von ihm abhängt. Denn wenn er fällt, dann fallen sie mit. Sie können nur so lange bequem dasitzen, solange er die Kraft hat, sie zu tragen.

So können wir sein: Wie ein Zeitungsleser, der sich abschirmt von den anderen, beschäftigt ist mit Hobbys und seinen eigenen Interessen. Wie ein Liebespaar, beschäftigt nur mit der an und für sich guten Beziehung zum Mitmenschen, aber nicht mit der Beziehung zu Gott. Fromm wie ein Pfarrer aber blind für die eigenen Fehler. Das ist das Schlimmste. Der Pfarrer sitzt am äußersten Ende des Balkens. Wer die Hebelgesetze aus der Physik kennt, der weiß: diese Last ist die schwerste, sie drückt den Kreuzträger am meisten nieder. Dazu passt das Wort aus Jesaja 53: „Ein jeder sah auf seinen Weg.“ Jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt. Und genau das ist das Wesen der Sünde. Sünde ist nicht Stehlen, die Ehe brechen, Lügen und Gott lästern. Das sind Erscheinungsformen der Sünde. Das Wesen, der Kern, ist das Fixiert sein auf sich, und nicht auf Gott und den Nächsten. Es ist, wie Luther sich einmal ausdrückte, ein In-sich-selbst-Verkrümmt sein.

Trotzdem: Jesus trägt uns alle. Das ist das Staunenswerte. Mitsamt unseren Sünden, Fehlern, Versagen, Lasten, Krankheiten und Plagen. „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen......durch seine Wunden sind wir geheilt.“ „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten.“ - Bild weg! -

Dieses Staunen klingt auch in unserem Predigttext durch. Der Gottesknecht, von dem Jesaja spricht, ist ja gar nicht der von Gott Verlassene und Verfluchte, wie es auf den ersten Blick scheint. Oder genauer gesagt: Er ist schon von Gott verlassen, aber nicht wegen seiner Sünde, wegen seiner Schuld, sondern wegen unserer Schuld und unserer Sünde! Er trägt sie am Kreuz stellvertretend für uns.

Manchmal trügt eben der Augenschein. Es ist ganz anders, wie wir meinen. So wie in jener Geschichte, die ich Ihnen erzählen möchte: Da lebt in einem alten, halbverfallenen Haus am Rande eines Dorfes ein buckliger Mann. Jeder meidet ihn. Denn er hatte einmal vor Jahren die Mühle des Dorfes angezündet. Er hatte seine Gefängnisstrafe abgesessen und kam wieder zurück in sein Heimatdorf. Niemand kümmerte sich um ihn. Nur der Müller saß am Sonntagnachmittag bei dem Geächteten. Keiner verstand warum.

Der Bucklige starb. Hinter seinem Sarg gingen nur der Pfarrer und der Müller – sonst keiner. Auch im Tod kannten die Dorfbewohner keine Barmherzigkeit.

Nach einiger Zeit starb auch der Müller. Bei seiner Beerdigung war das ganze Dorf auf den Beinen. Der Müller war ja schließlich eine Respektsperson.

Alle staunten, als der Pfarrer Folgendes in seiner Predigt sagte: „Ihr habt euch gewundert, dass der Müller so freundlich zu dem Buckligen war. Ihr sollt den Grund erfahren. Kurz vor seinem Tod beichtete mir der Müller, dass er es war, der die Mühle angezündet hatte. Und er hat mir aufgetragen, dies euch zu sagen. Der Bucklige hatte den Müller bei seiner Tat beobachtet. Und jener kam eines Abends zu ihm und sagte: ‚Ich habe keinen Menschen auf der Welt. Ich gebe mich als Brandstifter aus und nehme alle Schuld auf mich. Damit du und deine Familie nicht ins Unglück kommen.‘ Und so kam der Bucklige ins Gefängnis und nicht der Müller. Jahrelang hat der einsame Mann die fremde Schuld getragen, als Stellvertreter des Müllers. Dem Mann hier im Sarg hat Gott seine Schuld vergeben. Bitten wir nun Gott, dass er unsere Schuld dem Buckligen gegenüber vergibt, und lasst uns sein Andenken in Ehren halten.“

Wie werden die Dorfbewohner gestaunt haben, als sie diese Worte gehört haben. Und wie werden sie sich geschämt haben.

Beide Gefühle sind für uns am Karfreitag sicher auch angebracht. Zum einen die Scham über unsere Schuld, über unser Versagen, auch über unsere Gleichgültigkeit Jesus gegenüber, dass wir seine Liebe und sein Angebot der Vergebung viel zu selbstverständlich genommen haben. Doch selbstverständlich ist dies nicht, dass er, Jesus, unsere Sünde und Schuld getragen hat und aus Liebe zu uns weiterhin trägt.

Das ist das Staunenswerte: Er trägt. Und wir können bei ihm alles abladen, was uns bedrückt und es von ihm tragen lassen: Schmerzen, Krankheiten, Leid, Kummer, Sorgen, Lasten, alles, was uns zu schwer ist, was wir nicht länger aushalten und ertragen können. Wir dürfen es jetzt loslassen, ihm übergeben und sagen: Da, übernimm du das jetzt bitte! Und wir dürfen ihm auch alle Sünden bringen, alle Blindheit für eigene Schuld, allen Stolz, alle Unbußfertigkeit, allen Unglauben – dafür ist er ja am Kreuz gestorben, damit wir befreit aufatmen können!

Jesus trägt, wo wir selber keinen Weg mehr sehen. Jesus trägt, wo wir selbst nicht in der Lage sind, unseren Lebensweg zu gehen.

Er trägt uns auch, wo wir uns selbst nicht mehr ertragen können, weil wir versagt und Schuld auf uns geladen haben.

Und dafür dürfen wir ihm danken, danken für seine Geduld, danken für seine Hilfen, danken für sein Kreuz, das er getragen hat, danken für die Vergebung und danken für Heilung, Heil machen und Neu machen!

Dort am Kreuz hat Jesus Frieden mit Gott geschaffen. Etwas Großartiges und ganz und gar nicht Verdientes, sondern überaus Staunenswertes.

Denn Frieden mit Gott heißt: Es ist alles ausgeräumt, was das Verhältnis mit ihm belastet hat, alle Schuld, alle Versäumnisse, alle unguten Gedanken und bösen Worte. Genau das geschah am Kreuz. Dort hat Jesus alles ausgeräumt, was zwischen uns und Gott steht. Er hat alles durch-kreuzt. In Jesaja 53 lesen wir: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt.“

Es ist nicht das Entscheidende, ob unser Verstand das begreifen kann, was am Kreuz geschah, und wie es möglich ist, dass dort Frieden zwischen Mensch und Gott geschaffen worden ist. Das Entscheidende ist, ob wir es selber erfahren. Ganz persönlich. So wie jener Kapitän, der auf hoher See schwer krank wurde. Er spürte, dass er den Hafen nicht mehr lebendig erreichen würde. Aber er wollte in den Hafen bei Gott ankommen, er wollte Frieden mit ihm. Keiner der Besatzung konnte ihm helfen, - bis auf den Schiffsjungen Karl Müller. Der las dem Sterbenden aus Jesaja 53 vor. Beim 5. Vers stockte er und fragte den Kapitän: "Herr Kapitän, darf ich den Vers so lesen, wie ihn meine Mutter mich lesen lehrte?" - "Ja, lies!" Da las der Junge: "Wegen Karl Müllers Sünden wurde er durchbohrt. Er wurde für Karl Müller bestraft. Und Karl Müller hat nun Frieden mit Gott" "Halt!" rief der Kapitän und richtete sich mühsam auf. "Das ist genau das, was ich brauche. Lies den Vers noch einmal und setze meinen Namen ein!" So las der Schiffsjunge: "Wegen Peter Jensens Sünden wurde er durchbohrt. Er wurde für Peter Jensen bestraft. Und Peter Jensen hat nun Frieden mit Gott" Der Kapitän glaubte diesen Sätzen aus der Bibel und fand zum Frieden mit Gott.

Genau so kann es doch jeder von uns auch machen. Setze deinen Namen ein und glaube, dass du Frieden mit Gott hast! Durch das Wort der Vergebung, das wir in der Bibel lesen oder das uns Menschen im Auftrag Gottes zusprechen, beginnt wirklich eine neue Welt des Friedens. Wir erfahren Vergebung, werden froh und frei, und können glauben, dass uns nichts mehr von der Liebe Gottes. trennen kann.

Wir haben Frieden mit Gott. Und durch Jesu Wunden sind wir geheilt. Das heißt, unser Leben wird heil, wenn wir an den Gekreuzigten glauben. Es kann einer einen großen Kummer haben, es mag einer in tiefe Schuld gefallen sein, es mag einer von seinen Süchten abhängig sein und nicht von ihnen loskommen, - wenn er an Jesus glaubt, ist er davon frei. Jesus hat ja all das getragen, was ihn belastet, er braucht es also nur noch zu glauben, dass diese Lasten ihn nicht mehr niederdrücken müssen.

Frieden mit Gott dürfen wir auch heute neu im Abendmahl erfahren. In Brot und Wein kommt Jesus uns spürbar nahe. Und mit ihm bekommen wir Vergebung, neuen Mut zum Glauben, neue Liebe zu ihm und unseren Nächsten und neue Hoffnung, dass uns das Ziel unseres Lebens, die Ewigkeit Gottes, wieder gewiss wird.

Amen