Predigt: Der lange Weg vom Verstand zum Herzen

Predigtreihe III – 11.04.2021
1. Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti
Wochenspruch: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (1. Petrus 1,3)
Predigtwort: Johannes 21,1-14

Predigt

Liebe Gemeinde,

unser Predigttext zeigt uns den Alltag der Jünger nach der Auferstehung Jesu. Dieser Alltag ist nicht durch Hoffnung und Freude geprägt. Die Worte stehen im Johannesevangelium im 21. Kapitel.

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so:

Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.

Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.

Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch die Fische.

Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Der Abstand von meinem Herzen zu meinem Gehirn beträgt ca. 40 cm. Das Blut braucht wenige Sekunden um diese Strecke zu überwinden. In den Arterien fließt das Blut mit einer Geschwindigkeit von ca. 0,5 bis 1 Meter in der Sekunde. In den Kapillaren wird es ziemlich abgebremst. Aber wie gesagt, nach zwei bis drei Sekunden fließt das Blut vom Herzen ins Gehirn und danach wieder zurück ins Herz.

Die elektrischen Impulse, welche über unsere Nervenbahnen strömen, sind natürlich viel schneller. Die bewegen sich zwischen dem Gehirn und dem Herzen im Millisekunden-Bereich

Ganz anders schaut es mit Informationen aus, die wir in unserem Gehirn, in unserem Kopf gespeichert haben. Informationen, die zwar bei unserem Verstand angekommen sind, die aber noch den Weg in unser Herz finden müssten. Das kann Tage, Wochen oder Jahre dauern. Ja, manchmal kann es sein, dass ein Geschehnis, welches wir mit dem Verstand begriffen haben, doch nie in unserem Herzen ankommt.

In unserem Predigttext wird erzählt, dass die Jünger zwar mit dem Verstand ein Ereignis begriffen hatten. Es hatte aber einige Wochen gebraucht, bis es auch in ihren Herzen angekommen ist.

Wenn man jetzt nur mal dem Johannesevangelium folgt, so war es in unserer Geschichte das dritte Mal, dass Jesus sich seinen Jüngern offenbarte. Das erste Mal war es gleich am ersten Tag der neuen Woche nach der Kreuzigung, nach Karfreitag. Das zweite Mal war eine Woche später. Da erschien er wieder den Jüngern und Thomas. Der hatte die ganze Sache mit der Auferstehung nicht geglaubt. Dass Jesus nicht mehr tot war, sondern auch körperlich lebte, haben die Jünger gesehen, gespürt. Aber was hatte es bewirkt? Die Jünger gingen zurück in ihre Heimat und wollten wieder ihrem Beruf nachgehen. Die Jünger hatten zwar mit ihrem Verstand begriffen, dass etwas fundamental Neues passiert war - aber diese Botschaft ist nicht in ihren Herzen angekommen. Sie hat nichts Neues bewirkt. In unserem Predigtabschnitt heißt es:

Simon Petrus spricht zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen.

Sie waren Fischer und sie wollten jetzt wieder Fischer sein.

Ostern ist eine Woche her. Am letzten Sonntag gab es hier ein Osterlachen. Drei Witze wurden erzählt, zugegeben von unterschiedlicher Qualität, aber man konnte lachen. Und heute? Wir habe wieder eine Woche Lockdown oder wie man das auch immer bezeichnen will, hinter uns. Und ich muss gestehen, ich bin genervt. Es ist sicher so, dass in diesen besonderen Zeiten jeder von uns vor ganz eigenen Herausforderungen steht. Familien mit kleinen oder schulpflichtigen Kinder oder Leute, bei denen es um existentielle Fragen geht, haben nochmal ganz andere Probleme als ich sie habe. Ich bin relativ privilegiert.

Aber auch ich bin so langsam genervt und müde. Es wird immer schwieriger, noch Hoffnung zu haben. Man kann es nicht mehr hören. Die Politiker streiten sich. Jeder sagt was anderes. Läden auf, Läden zu. Es gibt zu wenig Impfstoff. Meine Tochter in Amerika hat schon ihre erste Impfung. Und sie hat keine Vorerkrankungen und arbeitet in keinem sozialen Beruf. Was ist nur los mit Deutschland und Europa? Das alles kann einem die Osterfreude schon rauben, so eine Woche nach Ostern.

Auf der anderen Seite denke ich mir. Möchte ich mit irgendjemandem tauschen? Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir relativ niedrige Inzidenzwerte. Unser Gesundheitssystem ist noch nicht an seine Grenzen gestoßen und ist im Vergleich zu anderen Ländern immer noch eines der besten auf der Welt, auch wenn ich mir bewusst bin, dass es immer verbessert werden kann. Und es wurden innerhalb einer wirklich sensationell kurzen Zeit Impfstoffe entwickelt, die wirken und relativ geringe Nebenwirkungen haben. Im Vergleich zu früheren Pandemien, die es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben hat, können die Auswirkungen, speziell in unserer Gesellschaft, doch begrenzt werden. Wir leben nach wie vor in einem Sozialstaat.

Was will ich damit sagen? In dieser besonderen Situation könnte uns der Verstand sagen: Es gibt genügend Gründe zur Dankbarkeit. Aber auch wenn wir es mit unserem Verstand begreifen, so ist es doch was ganz anderes, dass diese Dankbarkeit auch unser Herz erreicht.

Und das weiß auch Jesus. Das wusste Jesus vor zweitausend Jahren bei seinen Jüngern und das weiß Jesus auch heute bei uns. Deswegen kam Jesus vor zweitausend Jahren ein drittes Mal zu seinen Jüngern und er kommt auch heute immer wieder aufs Neue zu uns und will uns helfen. Und wie macht er das? Ja, wie hat er damals den Jüngern geholfen?

Unser Predigtabschnitt beginnt mit den Worten:

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias.

Danach, also nachdem sich Jesus schon zweimal gezeigt hatte, offenbarte sich Jesus abermals, also ein weiteres Mal, seinen Jüngern. Jesus wird es nicht zu viel. Jesus weiß, dass seine Jünger Hilfe brauchen. Die Freude der Jünger nach der ersten Begegnung war echt. Sie haben voller Begeisterung Thomas davon erzählt. Bei ihm aber blieben Zweifel. Auf diese reagierte der Herr mit einer zweiten Offenbarung. Und diese war so überwältigend, dass Thomas mit den Worten „mein Herr und mein Gott“ Jesus praktisch anbetete. „Jesus, mein Gott“ - welch eine Aussage! Aber auch das hatte scheinbar keine dauerhafte Änderung ihres Lebens bewirkt. Der Alltag, ja und auch eine gewisse Resignation machte sich breit. Ich will fischen gehen, sagte Petrus, was soll ich auch anderes machen. Es wird sich sowieso nichts ändern.

Aber Jesus kam abermals. Auch wenn unser Osterfreude wieder verflogen ist. Auch wenn die Corona-Resignation wieder um sich greift. Jesus hat uns und unsere Situation nicht aus dem Blick verloren. Und er hat sich schon gar nicht auf Grund unserer Zweifel und unseres Unglaubens von uns abgewendet. Jesus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden und er kommt zu uns, auch eine Woche nach Ostern.

Und er kommt nicht mit leeren Händen.

Jesus kam also am Morgen zu seinen Jüngern und fragte sie, ob sie was zum Essen hätten. Diese waren noch auf dem See, hatten aber nichts gefangen. Da ruft Jesus seinen Jüngern zu, sie sollen das Netz nochmals auswerfen. Sie fingen viele Fische und kamen mit dem vollen Netz ans Ufer. Sie hätten jetzt genügend Fisch zum Essen. Aber dieser Fischfang war für das Essen nicht mehr notwendig. Denn hier steht:

Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot.

Nicht die Jünger haben für das Essen gesorgt, sondern Jesus selbst hat sich um das Essen gekümmert. Er hatte Fische und Brot mitgebracht. Er hat ein Kohlenfeuer entzündet und die Fische bereits zubereitet. Jesus kam nicht mit leeren Händen zu seinen Jüngern. Er wusste, dass sie Nahrung brauchten. Dass sie Nahrung von ihm brauchten. Und er teilte es auch noch selber aus. Denn hier steht:

Jesus spricht zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.

Sind die Jünger verunsichert oder fürchten sie sich oder ist ihnen die Situation peinlich? Wenn man von außen auf diese Runde blickt, dann weiß man nicht so recht, was in den Jüngern eigentlich vorgeht. Sie haben Jesus doch schon zweimal getroffen. Sie haben ihn auch jetzt eindeutig wiedererkannt. Er hat ihnen einen großen Fischfang ermöglicht und er hat ihnen ein Mahl zubereitet. Wäre es nicht an der Zeit sich endlich zu freuen? Wäre es nicht an der Zeit, dass all das, was sie gesehen und erlebt haben, was sie mit dem Verstand begriffen haben, dass all das den Weg in ihr Herz findet? Aber auch jetzt erkennt man keine Freude. Sie folgen der Einladung zum Mahl nicht. Und was macht Jesus? Er geht wieder auf seine Jünger zu:

Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibts ihnen, desgleichen auch die Fische, so steht hier.

Es ist ein langer Weg von unserem Verstand zu unserem Herzen. Auch wenn wir mit unserem Verstand erkennen sollten, dass es auch in diesen schwierigen Zeiten genügend Gründe gäbe, dankbar zu sein und auch Zuversicht zu haben, so muss es uns doch nicht erschrecken, dass diese Dankbarkeit nicht bis unser Herz vordringt. Wie wir gesehen haben sind wir in guter Gesellschaft. Jesus selber weiß, wie lang und steinig der Weg zwischen dem Verstand und dem Herzen ist. Und deswegen kommt er zu uns, damit wir diesen Weg nicht alleine gehen müssen. Und er kommt nicht mit leeren Händen. Leiblich kommt er zu uns durch Brot und Wein im Abendmahl.

Aber nicht nur das, nicht nur alle zwei, drei Wochen. Nein, er kommt jeden Tag zu uns. Er will jeden Tag zu uns kommen und zwar durch sein Wort. Sein Wort ist unser Brot, ist unser Wasser, ist unser Licht. Sein Wort ist unseres Fußes Leuchte. Sein Wort ist der Weg zwischen unserem Verstand und unserem Herzen. Wenn wir in sein Wort eintauchen, dann kann es wieder zwischen unserem Verstand und unserem Herzen fließen. Wenn wir sein Wort z. B. in der Stillen Zeit hören und im Gebet bewegen, dann kann er unser Herz berühren. Dann ist er da. In dieser besonderen Zeit brauchen wir besondere Hilfe. Und diese Hilfe ist auch da. Jesus ist auferstanden. Jesus kommt zu seinen Jüngern. Er kommt zu uns, jeden Tag neu. Und er gibt uns zu Essen, er schenkt uns Hilfe durch sein Wort. Auch wenn wir verunsichert sind wie die Jünger, wir uns nicht getrauen, die Einladung Jesu zu seinem Mahl anzunehmen. Jesus gibt uns nicht auf. Auch dann kommt er nochmals auf uns zu. Er reicht uns Brot und Wein. Er reicht uns sein Wort in Form der Bibel: Lies doch bitte mein Wort, damit ich dich berühren kann, damit ich dein Herz berühren kann. Ich will dir Freude und Frieden schenken. Ich will dich durch diese schwierigen Tage tragen. Ich komme zu dir und verlasse dich nicht.

Amen