Bayreuth, den 18.04.2021 Apostelgeschichte 17,16-31

Liebe Gemeinde!

Paulus lobt die Athener. Seine Worte sind keine Schmeichelei. Die Athener waren wirklich kluge Leute, klüger als manche moderne, aufgeklärte Menschen. Sie wussten, es gibt eine unsichtbare Welt, es gibt unsichtbare Mächte, die sie Gottheiten nannten. Sie waren keine Materialisten, die nur an das glaubten, was sie sahen. Sie waren nicht so dumm, dass sie Gott leugneten. Dazu gehört nämlich eine gehörige Portion Dummheit, zu meinen, die ganze Welt und das Wunderwerk Mensch sei nur aus Zufall entstanden. Ich nehme an, auch in diesem Raum ist keiner, der so dumm ist, Gott zu leugnen.

Religiosität ist in unserer Zeit sogar wieder ein wenig chic geworden. Unsere Welt ist so nüchtern geworden. Wissenschaft und Vernunft haben in den letzten Jahrzehnten großartige Triumphe gefeiert. Man denke nur an die Fortschritte der Medizin. Was früher als verhängtes Schicksal angesehen wurde, entpuppt sich jetzt als simples Virus oder Bakterium, das man mit moderner Medizin bekämpfen kann. Noch in der frühen Neuzeit und erst recht im Mittelalter wären durch Covid 19 in Deutschland Millionen von Menschen dahingerafft worden. Dank moderner Impfstoffe können wir zumindest hoffen, dass die gegenwärtige Pandemie in ihre Schranken gewiesen werden kann.

Doch auch in dieser Welt und auch gerade in dieser Welt, in der alles technisch machbar erscheint, taucht umso mehr die Sehnsucht nach einer anderen Wirklichkeit auf, die man mit dem Verstand nicht begreifen kann. Bücher und Filme wie "Harry Potter", "Herr der Ringe" oder „Game of Thrones“, unzählige Computerspiele oder Rollenspiele zeigen uns Fantasiewelten, in die der moderne Mensch gerne hineinflüchtet.

Ein bisschen Geheimnisvolles, ein bisschen Religiöses braucht anscheinend auch der moderne Mensch. Kirche und Christentum ist zwar „out“, aber ganz ohne Religion will der westlich geprägte Mensch doch nicht leben. Man gehe nur in einen Buchladen. Es gibt jede Menge Lebenshilfebücher, esoterische und religiöse Bücher. Aber speziell christliche Bücher sind da nur wenige dabei.

Irgendwie erinnert mich die Situation, die Paulus in Athen vorfand, an unsere heutige. Natürlich mit dem Unterschied: Damals war es eine vorchristliche Zeit und heute leben wir in einer nachchristlichen Zeit, oder gehen mit schnellen Schritten darauf zu.

Den Ton gaben damals Denker wie die Epikuräer und Stoiker an. Die Epikuräer standen für Lebensfreude. „Genieße dein Leben, solange es dir möglich ist!“ sagten sie. Solche Sätze kommen uns ja heute auch bekannt vor. Und die Stoiker wollten das Leben mit Gelassenheit bewältigen. Klar, wir müssen alle einmal sterben. Aber wenn wir immer wieder daran denken, ändert das ja auch nichts an dieser Tatsache. Und beiden philosophischen Schulen gemeinsam war: Es geht nur um die Bewältigung des Diesseits. Jenseits? Wer weiß, ob es das gibt, und wie es aussieht.

Heute ist es ja genauso: Es geht nur um diese Welt, um dieses Leben, wer von einem Jenseits, einem Leben nach dem Tod und einer Auferstehung spricht, darf sich wie Paulus des Spottes gewiss sein. Und doch kann man und muss man auch in diesen Zeiten, Evangelium predigen, von Jesus und von einer ewigen, wunderbaren Zukunft bei ihm, in seinem Reich.

Paulus hat es auch gemacht. Er konnte nicht anders. Die meisten Athener kamen sich klüger vor als er. Was hatte er ihrer vermeintlichen Bildung schon entgegenzusetzen? Ein paar seltsame Gedanken, wie sie meinten, aber neue Gedanken. Und das war seine Chance. So hörten sie ihm aufmerksam zu. Sogar auf dem Areopag durfte er reden, dort, wo in früheren Zeiten der oberste Rat tagte.

Manche Ausleger halten das Ergebnis seiner Rede für ein Desaster. Das sehe ich nicht so. Es bekehrten sich zwar nicht die Massen. Aber bei welcher Predigt ist das schon der Fall? Es wurden doch einige Zuhörer Christen. Ich wäre froh, wenn ich wie Paulus erleben könnte: Nach einer Predigt sind ein Mann wie Dionysius und eine Frau wie Damaris Christen geworden.

Ich persönlich finde es genial, wie Paulus hier predigt. Oder genauer gesagt, vom Geist Gottes inspiriert. Er holt seine Zuhörer ab, nimmt sie ernst, gewinnt ihre Aufmerksamkeit, versäumt es aber nicht, doch auf den Punkt zu kommen.

Es geht ihm um Jesus, um niemanden anders, auch wenn dieser Name in seiner Predigt an die Athener nicht vorkommt. Beziehungsweise er dort abbrechen muss, wo er mehr von ihm reden möchte. Ist Paulus ein verbohrter Fanatiker, ein Fundamentalist, der nur seine Meinung gelten lässt?

Nein, er meint nicht, die Wahrheit gepachtet zu haben, aber er ist ihr begegnet, der Wahrheit in Person begegnet. Dies geschah vor Damaskus. Dort offenbarte sich ihm der auferstandene Christus. Dort wurde ihm klar, was im Leben wirklich zählt: ob ich Jesus, den Sohn des lebendigen Gottes kenne, oder nicht. Deshalb wurde Paulus so wütend auf die Götzen der Athener. Denn diese Götzen waren ja etwas von Menschen selbst Geschaffenes und nicht der Schöpfer selbst. Und wer sein Leben auf etwas Vergängliches setzt, der wird auch vergehen. Wer sein Lebenshaus auf Zerbrechliches gründet, der wird mit dem brüchigen Fundament zerbrechen.

Was Paulus also bewegt, ist nicht ein intoleranter Fanatismus, sondern Liebe zu den Menschen. Er will nicht, dass auch nur ein Mensch sein Leben in den Sand setzt, sondern dass er wie er selbst der Liebe Gottes begegnet und sein Leben einen tragfähigen Grund bekommt.

Diesen ewigen Gott will Paulus den Athenern nahebringen. Obwohl er unser Schöpfer und uns unendlich überlegen ist, ist er uns doch ganz nahe. Paulus sagt: „Er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben und weben und sind wir.“ Dies ist wirklich wahr. Gott ist uns näher, als wir ahnen.

Ein kleines Mädchen fragt seine Mutter beim Abendgebet: „Wohnt Gott auch in meinem Herzen?“ – „Aber Ja“ sagt die Mutter. Und das Kind legt seine Hand auf das Herz und meint: „Fühl mal, wie Gott klopft!“

Machen wir Gott nicht zu klein und niedlich, rührselig und kindlich, wenn wir ihn in unseren Herzen und Gefühlen wohnen lassen? Ist er nicht der heilige, ewige, unbegreifliche Gott, Herr aller Herren und Macht über alle Mächte? Wohnt Gott nicht in einem Licht, in das niemand sehen oder gelangen kann? Ist Gott nicht wie ein verzehrendes Feuer und sein Wort wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt?

Ja, Gott ist groß und immer noch größer als wir denken, ahnen und sagen können. Aber selbst im Pulsschlag eines Kinderherzens spüren wir den Pulsschlag seine Liebe und in einem einzigen Sonnenstrahl das helle Licht seiner Güte. Jede Tulpe, die wir jetzt sehen, offenbart uns seine Schönheit und seinen Erfindungsreichtum. Er ist nicht weit weg. Ja, sein Wesen ist Nähe. Er sucht unsere Nähe. Deshalb ist er auch Mensch geworden in Jesus Christus, um mit uns auf Du und Du zu kommunizieren. Er begibt sich auf unsere Ebene, um uns näher als ein Mensch es für möglich hält, zu kommen.

Gott sucht unsere Nähe, der liebende und barmherzige Gott. Allerdings nimmt diese Nähe nicht jeder wahr. Es geht ihm so, wie jenem Mann. An einem strahlenden Sommertag betrat er das neue Haus eines Bekannten. Voller Stolz zeigte dieser sein gerade errichtete Domizil. „Gefällt es Dir?“ fragte er den Besucher. „Ein schönes Haus!“, sagte dieser, „ich finde es nur ein bisschen dunkel! Ihr hättet beim Bau für mehr Lichteinfall sorgen sollen!“ Der Bekannte sah den Besucher verdutzt an: „Du hast ja noch die Sonnenbrille auf!“, antwortete er lachend. „Wenn Du sie abnimmst, wird es heller!“ Und tatsächlich – er trug noch von der Fahrt seine Sonnenbrille auf der Nase. Und hatte es noch nicht einmal gemerkt.

Paulus sagt in unserem Predigttext den Athenern, dass alle Menschen Buße tun müssen. Ich möchte es mal so ausdrücken: Sie sollen ihre innere Sonnenbrille abnehmen, Die hindert sie, Gott wahrzunehmen. Sie sollen offen für ihn, für sein Angebot und seine Ansprüche sein. Sie sollen bereit sein, ihr Leben hell und klar im Lichte Gottes zu sehen.

Das kann natürlich auch unangenehm sein. Denn dann kommen Dinge zu Tage, die man vielleicht vorher gar nicht wahrgenommen hat:

Die Selbstverliebtheit, dass man Gott gar nicht braucht, - nur, wenn man in Not ist -, dass man es ganz gut auch ohne Gott aushält, nicht die Verbindung mit ihm im Gebet sucht, - und dabei doch so leer ist. So ein Leben mit Gott ist ein Leben in der Sünde, auch wenn man sich sonst nichts zuschulden kommen lässt. Auch wir, die wir hier sitzen, sollten uns fragen: Wie steht das mit mir? Woran hängt mein Herz letzten Endes? An Jesus allein oder doch an etwas anderem: an meinem Besitz, meiner Bequemlichkeit, einem Menschen, an der irrigen Meinung, Gott recht zu sein? All das ist Sünde. Und für Sünde, so will es Gott, soll man Buße tun, soll man sich schuldig geben.

Denn ohne Buße, ohne Umkehr zu Gott, wird er jeden Menschen einmal richten. Es wartet auf jeden das Gericht. Gott verlangt durch seinen Sohn Jesus Christus Rechenschaft von allem, was wir getan und was wir nicht getan haben.

Man kann höhnisch über diese Tatsache hinweggehen, so wie es auch viele tun. So haben es etliche Athener getan. Das war nicht nur damals so. Wie viel wird auch in der heutigen Zeit über den christlichen Glauben gespottet!

Oder man auch etwas höflicher reagieren, so wie die zweite Gruppe der Zuhörer des Paulus. Sie sagen zu ihm: "Wir wollen dich davon ein andermal hören." So oder ähnlich habe ich es selbst gehört, wenn ich das Evangelium verkündigt habe: "Das ist ja ganz interessant. Aber ich muss erst darüber nachdenken." Nun kann einer wirklich ehrlich erst das prüfen, was er glauben soll. Aber oft ist so eine Antwort eine Ausflucht. Das Evangelium ist nicht zum Bedenken, sondern zum Glauben da. Es ist keine knifflige Rechenaufgabe, über die ich lange nachgrübeln muss, sondern es ist ein einfach verständliches Angebot Gottes: "Lass dich versöhnen mit mir!"

Wenn ich Hunger habe und jemand bietet mir was Leckeres an, dann werde ich es doch nehmen, oder? So ist es auch mit dem Evangelium. Jesus sagte einmal: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Das ist doch ein wunderbares Angebot.

Auch heute dürfen wir alle, auch du, diese Botschaft hören und glauben: All deine Lasten darfst du an Jesus abgeben. Du brauchst ihm nur zu vertrauen, dass er dir hilft und beisteht, dass er dir deine Schuld vergibt und dich zu einem neuen Menschen formt. Jesus fordert nichts von dir, was du eh nicht schaffst. Sondern er schenkt dir etwas, was dich froh und frei macht, die totale Vergebung deiner Sünden. Du brauchst es nur zu nehmen, zu glauben.

Es geht nicht um eine Moral, nicht um ein „Du musst dies tun und jenes lassen!“ Das Evangelium sagt uns nicht: „Du schlechter Mensch musst besser werden!“ Sondern es sagt uns: „Gott ist für dich schlechten Menschen gut.“ Solche Botschaft drückt nicht nieder, sondern befreit und verändert dann auch Menschen, wenn sie dem Evangelium Glauben schenken.

Diese Botschaft zieht die Menschen an, die Botschaft von einem gnädigen und gütigen Gott, der sich uns in Jesus gezeigt hat. Und wenn es nur wenige sind, so wie in Athen. Damals waren es ein Mitglied des Stadtrates namens Dionysius, eine Frau, die Damaris hieß und einige andere mit ihnen. Eine kleine Gemeinde entstand dort in Athen. Wir wollen nicht auf große Zahlen schauen. Die Versuchung dazu ist groß, ich kenne sie auch. Vor gut einem Jahr fanden hier noch Gottesdienste in einer rappelvollen Kirche statt. Momentan sind es einige wenige. Es würde lügen, wenn ich sagen würde: Das macht mir nichts aus. Natürlich weiß ich: Es gibt etliche Zuschauer, die den Gottesdienst per Stream mitverfolgen.

Das ist ja alles gut so. Und für manche, die zusehen, gar nicht anders möglich. Denn sie schaffen es nicht, zu kommen, weil sie krank oder gebrechlich sind. Oder sie gehören zu einer Risikogruppe oder wagen es einfach nicht, einen Gottesdienst zu besuchen.

Und doch sehne ich mich danach, dass wir uns wieder ohne Beschränkungen, ohne Masken, Abstandsregelung und Gesangsverbot treffen können. Und auch die, die an den Bildschirmen sitzen, wieder kommen, wenn sie denn kommen können. Denn der Präsenzgottesdienst ist nicht zu toppen. Das Glaubensbekenntnis spricht von der "Gemeinschaft der Glaubenden". Diese Gemeinschaft gibt es wirklich, nicht die Gemeinschaft der Fehlerlosen, nicht die Gemeinschaft derer, die sich alle sympathisch sind. Sondern die Gemeinschaft derer, die diese Liebe Jesu in ihrem Leben erfahren haben und die sie verbindet.

Diese Gemeinschaft brauchen wir alle. Es tut mir gut, wenn ich in der Gemeinschaft der Glaubenden bin. Es tut mir gut, wenn ich spüre, da ist im Gottesdienst eine Gemeinschaft zusammengekommen, die diesen Geist Jesu Christi in sich hat. Dann kann ich viel leichter glauben. Ja, ohne diese Gemeinschaft möchte ich auf Dauer nicht glauben.

Amen