Bayreuth, den 02.05.2021 Matthäus 21,14-17

14 Und es kamen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie. 15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich 16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus sprach zu ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«? 17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.

Liebe Gemeinde!

Blinde und Lahme kommen zu Jesus. Mit diesen Worten beginnt unser Predigttext. Für uns keine besondere Aussage. Das haben wir ja schon oft gehört. Kranke kamen zu Jesus. Und er heilte sie.

Aber was damals geschah, war sensationell. Ich meine jetzt nicht, dass Jesus Kranke heilte. Das war natürlich auch etwas Besonderes. Es geht um den Ort des Geschehens: den Tempel. Blinde und Lahme wagten sich auf das Tempelgelände. Das war das Sensationelle. Denn das war verboten. Die hatten sich schön brav vor dem Tempelgelände aufzuhalten und konnten dort um Almosen betteln. Aber in den Tempelvorhof hinein durften sie nicht. Blinde und Lahme waren ja von Gott gestraft. Die hatten vor dem Angesicht Gottes nichts zu suchen. Deshalb regten sich die Hohenpriester und Schriftgelehrten, wir würden heute sagen, die Pfarrer und Theologen, so auf. Das geht doch nicht! Kranke haben auf dem Tempelgelände nichts zu suchen. Und Jesus darf sie natürlich auch dort nicht heilen. Weiß denn Jesus das nicht?

Natürlich weiß er es. Und gerade deshalb schmeißt er die Lahmen und Blinden nicht aus dem Tempel hinaus. Das hat er kurz vorher mit Händlern und Geldwechslern gemacht. Aber mit den Kranken nicht. Die sind ihm im Gegenteil höchst willkommen. Gerade die, die Mühseligen und Beladenen ruft er zu sich. Die dürfen, ja die sollen kommen.

Die Hohenpriester und Schriftgelehrten wussten zwar: Am Ende aller Zeiten wird Gott die Lahmen und die Blinden heilen. Aber bis dahin passen sie nicht in die Nähe des heiligen Gottes. Jesus macht mit seinem Handeln klar: Diese Zeiten sind mit seinem Kommen angebrochen. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, so lautete seine Botschaft. So dürfen bis auf den heutigen Tag alle Menschen mit ihren Nöten zu Jesus kommen und um seine Hilfe bitten.

Aber tun sie es? Tun wir es? Es gibt manches, was uns abhält, mit unserer Not zu Jesus zu kommen. Menschen kommen nicht, weil sie meinen, seine Hilfe gar nicht zu brauchen. Und die anderen meinen, mit ihrem Leben und ihren Problemen ganz gut selber zurechtzukommen. Und schließlich gibt es auch die, die sich nicht trauen, zu kommen. Sie denken, sie sind zu schlecht für Jesus. Oder ihre Lage sei zu verzwickt, ihre Probleme zu schwer, als dass er helfen könne.

Solche Gedanken dürfen wir getrost von uns weisen. Wir dürfen zu ihm kommen. Er wartet darauf, dass wir das tun. Denn er kennt uns, weiß, was uns fehlt und was wir brauchen. Er kennt den Schmerz, der uns quält, unsere Einsamkeit – gerade in diesen Zeiten, - die uns belastet, kennt unseren Streit, der immer wieder in unserer Familie hochkocht. Er versteht unsere Schwermut, die niemand anders und wir selber auch nicht verstehen. Und er versteht nicht nur. Er will auch heilen. Er kann Frieden schenken, Getrostheit und Geborgenheit inmitten unserer Schwierigkeiten. Und er kann auch unsere Lage verändern und uns selber auch. Was verbogen ist in unserem Charakter, in unserem Wesen, kann er wieder geradebiegen. Auch Krankheiten, körperliche wie seelische, kann er heilen. Trau dich doch, zu ihm zu kommen und habe keine Angst von ihm abgewiesen zu werden.

Zu diesem Schritt des Vertrauens macht uns auch ein Wort aus dem Hebräerbrief Mut. „Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade.“

Wage es doch, dem Wort Gottes nicht nur ein bisschen sondern total zu vertrauen. Dann wird sich dir eine neue Welt auftun, unbeschreiblich schön und abenteuerlich. Denn der erlebt wirklich Abenteuer mit Gott, der ihn ganz und gar bei seinem Wort nimmt. Wer sich an Jesus in seiner Not wendet, der wird das erleben, wie es in einem Liedvers heißt: „Größer als der Helfer ist die Not ja nie!“

In kleinen und großen Schwierigkeiten meines Lebens habe ich es oft so erlebt: Ich bat Gott um Hilfe. Oft griff er nicht sofort ein. Sondern er gab mir erst ein Wort. Entweder las ich in der Bibel und ich wusste: In diesem Wort redet Gott jetzt dich ganz persönlich in deiner Situation an. Oder mir fiel ein Bibelwort oder ein Liedvers ein, die eine Antwort auf meine Fragen bedeuteten. Jedes Mal erwiesen sich diese Worte nicht als Einbildung, sondern als Wahrheit.

Gott greift ein, manchmal sofort, auch in kleinen alltäglichen Dingen. So rief mich einmal jemand an, und sagte, er hätte sein Handy verlegt oder verloren. Er wüsste nicht, wo es sei. Ich sollte dafür beten, was ich auch tat. 10 Minuten später erhielt ich eine Email, in der stand, dass das Handy gefunden war. Kleine Dinge, sicher, aber besteht nicht das Leben aus solchen kleinen Dingen? Jesus ist doch in den ganz gewöhnlichen, alltäglichen Situationen unseres Lebens nahe bei uns. Ihn bekümmert ein Kind, das weint, weil sein Spielzeug kaputtgegangen ist und sorgt auch für einen Erwachsenen, der einen verlorenen Gegenstand sucht.

Er kann allerdings auch große Dinge tun. Ich denke an unseren Anbau. Zunächst war es nur ein Wunschtraum unserer Gemeinde, später nur ein Plan auf dem Papier. Aber es war ein Plan Gottes. Mir ist ein Wort Gottes aus Jesaja 54 Vers 4 wichtig geworden: „Mache den Raum deines Zeltes weit und breite aus die Decken deiner Wohnstatt; spare nicht!“ So fingen wir an zu bauen, ohne Rückenwind der Landeskirche, ohne berechtigte Aussicht auf Zuschüsse, aber mit dem Rückenwind Gottes und der Aussicht auf göttliche Hilfe. Es erfolgte eine Kette von Wundern, was die Finanzierung anbelangte. Ich kann es hier nicht alles erzählen, nur das Ergebnis: Wir können in diesem Jahr alle Schulden abbezahlen.

Ganz wunderbar kann Gott eingreifen und seine Macht beweisen. In welcher Not auch du bist: auch du darfst glauben: "...der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann."

Wir dürfen doch nicht an einen kleinen, sondern an einen großen Gott glauben. Er ist nicht arm, knickrig und knauserig, sondern reich, freigebig und großzügig. Wer glaubt, darf mit der Allmacht Gottes rechnen, der darf immer wieder seine Hilfen und Wunder erleben. Denn Gott lässt sich nicht lumpen, wenn man es wagt, in einer Not ihm zu vertrauen. Er lässt einen zwar manchmal warten, aber er wird es erleben, wie es in einem Liedvers heißt: "...wenn die Stunden sich gefunden, bricht die Hilf' mit Macht herein." Vielleicht greift er manchmal in letzter Minute ein. Aber er wird es tun. Warum? Ein anderer Vers aus dem eben zitierten Lied gibt darauf die Antwort:

„Gottes Hände sind ohn Ende, sein Vermögen hat kein Ziel.
Ist's beschwerlich, scheint's gefährlich, deinem Gott ist nichts zu viel.“
Nichts zu viel!

So spricht ein kindlicher Glaube, ein Glaube, der Gott bei seinem Wort nimmt, ohne daran zu zweifeln. So ein Glaube gefällt Gott. Je kindlicher du glaubst, desto lieber bist du Gott, desto mehr Himmel kommt in dein Leben hinein. Das Entscheidende, worauf es in deinem Christsein ankommt, ist das kindliche Vertrauen Jesus gegenüber. Vertraue ihm doch in allen Dingen deines Lebens. Sprich zu ihm: „Ich schaffe es nicht, was du von mir haben willst. Ich kann kein Leben voller Liebe und Vertrauen dir gegenüber führen. Aber du kannst mir das alles geben. Dir will ich vertrauen. Du bringst mich auch einmal in dein Reich.

Das ist ein Grund, Gott zu loben und ihm zu danken. Die Kinder in unserem Predigtabschnitt taten es. Natürlich an diesem heiligen Ort im Tempel absolut unangebracht. So dachten es zumindest die Hohenpriester und Schriftgelehrten.

Ja, das Singen von Kindern kann für Erwachsene peinlich sein. So erlebten es einmal Eltern. Sie waren in einem Kaufhaus. Dort krähte ihr kleines Kind lauthals fromme Lieder aus der Jungschar. Wie peinlich für die Eltern! Aber Gott dürfte seine Freude daran gehabt haben.

Hier vorne standen ja oft genug unsere kids-Treff-Kinder und haben ein Glaubenslied gesungen. Es waren einfache Texte, ohne theologischen Tiefgang. Wir hörten keine ausgebildeten Stimmen wie vom Windsbacher Knabenchor oder vom Dresdner Kreuzchor. Aber sie sangen von Herzen ihre Jesuslieder. Deshalb gingen sie auch zu Herzen.

So sehr wir auch unsere Freude an schönen Stimmen und schönen Melodien haben können, das entscheidende ist nicht die gesangliche Perfektion, sondern ob ein Gesang von Herzen kommt, ob er das wiedergibt, was ein Christ geglaubt und erlebt hat.

Dietrich Bonhoeffer schreibt dazu in seinem Buch „Gemeinsames Leben“: „Das neue Lied wird zuerst im Herzen gesungen. Anders kann es gar nicht gesungen werden. Das Herz singt, weil es von Christus erfüllt ist. Damit ist alles Singen in der Gemeinde ein geistlich Ding. (…) Wo das Herz nicht mitsingt, dort gibt es nur das gräuliche Durcheinander menschlichen Selbstruhms. Wo nicht dem Herrn gesungen wird, dort singt man sich selbst oder der Musik zu Ehren. So wird das neue Lied zum Götzendienst.“

Auf das Herz kommt es an. Natürlich sollen wir beim Singen unseren Verstand nicht ausschalten. Und natürlich brauchen wir als Erwachsene nicht simple Kinderlieder zu singen. Wir sollen nachdenken und verstehen. Aber unser Verstand ist letztlich immer zu klein, um die großen Taten Gottes zu begreifen. Das Staunen wird immer größer als das Verstehen sein. Und unser Lob Gottes kann nie groß genug sein um die wunderbare Herrlichkeit auszudrücken. Gott will unser Lob, auch wenn ich sein Handeln nicht verstehe, auch wenn ich meine, Gott anklagen zu dürfen. Wir dürfen auch klagen, unser Herz vor Gott ausschütten. Auch unsere negativen Gedanken brauchen wir nicht zu unterdrücken. Wir dürfen sie Gott sagen. Er hält das aus. Aber bei allem Klagen dürfen wir das Lob Gottes nicht vergessen. So wie es in einem Lied heißt: „Lob sei dir auch unter Tränen, lob sei dir, der dennoch liebt.“

Pfarrer Walter Börner schrieb und komponierte es nach dem 2. Weltkrieg. Er ging durch seine von Bomben zerstörte Heimatstadt Nürnberg. Ganze Stadtviertel standen in Trümmern. Manchmal konnte man nur noch ahnen, wo vorher die Straßen verliefen. Es kamen ihm die Tränen, aber eben auch der Text zu dem Lied „Herr, lass deine Fahnen wehen…“ und auch dieser Vers: Lob sei dir auch unter Tränen, Lob sei dir, der dennoch liebt.“

Während ich dies sage, will mich ein wenig Wehmut überkommen. Denn zurzeit dürfen wir ja gar nicht im Gottesdienst singen. Umso dankbarer dürfen wir sein, dass wir wenigsten zuhören dürfen, wenn wir schöne Soli hören. Das geht ja noch. Aber das Lob Gottes ist ja nicht an Lautstärke und Lippenbewegungen gebunden. Wir dürfen Gott auch in diesen schwierigen Zeiten loben, gerade jetzt. Und umso mehr dürfen wir uns darauf freuen, wenn wir wieder laut unsere schönen Glaubenslieder singen dürfen, vielleicht viel bewusster als vorher, weil wir nun wissen: Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass wir singen dürfen.

Auch die Kinder im Tempel lobten Gott. Sie lobten Jesus. „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn,“ sangen sie. So singen wir es bis auf den heutigen Tag in der Abendmahlsliturgie oder werden es wieder singen. Er kommt im Abendmahl zu uns, mit seiner Vergebung und Kraft und dafür verdient er unser Lob. Er kommt in jedem Gottesdienst zu uns, wenn wir sein Wort seiner Liebe, seine Mut machenden Zusagen hören, und dafür verdient er unser Lob.

Auch im Alltag kommt er zu uns, schon früh am Morgen, wenn wir aufwachen. Vielleicht seufzen wir jetzt schon, wenn wir daran denken, dass wir morgen früh wieder aufstehen und in die Tretmühle des Alltags gehen müssen, wie sie auch aussieht. Aber er, Jesus, ist auch da. Auch er steht dann an unserem Bett und wartet darauf, dass wir uns an ihn wenden, ihm unser Herz ausschütten und vor allen Dingen ihm danken, dass er uns den Tag über begleitet, uns Mut und Kraft gibt, uns beisteht, auch wenn es schwer wird.

Er ist bei uns bei unseren Mahlzeiten. Er hört gern so ein Tischgebet wie: „Komm Herr Jesu, sei du unser Gast und segne du uns und was du uns aus Gnaden bescheret hast.“ Selbst wenn wir alleine unsere Mahlzeiten zu uns nehmen. Mit ihm sind wir trotzdem zu zweit.

Er ist da, wenn die Sonne scheint und lacht aber auch, wenn seit Tagen das Wetter nur trostlos und verregnet ist. Er ist da, wenn uns die Arbeit leicht von der Hand geht aber auch, wenn sie uns schwerfällt oder wir uns eingestehen müssen, dass wir sie fehler- und stümperhaft verrichtet haben. Er ist da, wenn wir vor Gesundheit und Kraft nur so strotzen aber auch wenn wir krank im Bett liegen. Auch in unserer Freizeit ist er da, wenn wir zufrieden auf unser Tagwerk zurückblicken aber auch, wenn wir müde und kaputt sind und nur noch in unser Bett fallen.

In allen Situationen ist er da und verdient unser Lob: „Ich will den Herren loben allezeit. Sein Lob soll immerdar im meinem Munde sein.

So wollen wir es uns zusingen lassen. Und es selber im Glauben, ohne unseren Mund aufzumachen, in unserem Herzen mitsingen

Amen