Bayreuth, den 09.05.2021 Daniel 9,3-5.16-19

Liebe Gemeinde! 

Wir leben in spannenden Zeiten. Keiner weiß, wie lange die Pandemie noch andauert. Erst recht weiß niemand, wie die Folgen aussehen werden. Wie sind die Langzeitfolgen von Covid 19 Erkrankten? Wie geht es mit unserer Wirtschaft weiter? Wie mit unserer Gesellschaft? Wie sind die Folgen für unsere Kirche und auch unsere Gemeinde?

Der Prophet Daniel stellte sich vergleichbare Fragen. Aus diesen Fragen heraus entstand ein bemerkenswertes Gebet. Es ist unser heutiger Predigttext.

Wer war Daniel? Als junger Mann erlebte er Furchtbares. Sein Heimatland Israel wurde von den Babyloniern erobert, Jerusalem zerstört. Die Oberschicht wurde nach Babylonien verschleppt. Dieses Schicksal widerfuhr auch Daniel und seinen Freunden. Die junge Elite Israels, und dazu gehörte auch Daniel, sollte am babylonischen Hof erzogen werden. Sie lernten die Sprache und Schrift der Babylonier und sicher vieles andere mehr. Sie sollten „babylonisiert“ werden und später Spitzenfunktionen im Staat übernehmen.

Daniel macht in der Fremde tatsächlich Karriere. Er ist bei vielen Königen ein gefragter Berater und genießt wegen seiner Weisheit hohe Anerkennung. Die Jahre gehen ins Land. Das babylonische Reich wird von den Medern und Persern erobert. Aber auch unter den neuen Herrschern übernimmt Daniel einen verantwortungsvollen Posten. Der persische König Darius macht ihn sogar zum zweitmächtigsten Mann in seinem Reich.

Als alter Mann beschäftigt sich Daniel mit einer Weissagung des Propheten Jeremia. Dieser sagte voraus, dass das Volk Israel nach 70 Jahren in der Fremde wieder in die alte Heimat zurückkehren würde. Nun schien es so weit zu sein. Alle Zeichen der Zeit sprachen dafür, dass das Volk tatsächlich heimkehren durfte. Aber wird es nun wirklich so kommen? Und wie wird die Zukunft in der alten und doch für die allermeisten Rückkehrer neuen Heimat aussehen? Jerusalem war ja immer noch zerstört und das Land zum Teil verwüstet.

In dieser Situation betet Daniel folgendes Gebet. Ich lese den Predigttext Daniel 9,3-5 und 16 bis 19.

"Und ich kehrte mich zu Gott, dem Herrn, um zu beten und zu flehen unter Fasten und in Sack und Asche. 4 Ich betete aber zu dem HERRN, meinem Gott, und bekannte und sprach: Ach, Herr, du großer und schrecklicher Gott, der du Bund und Gnade bewahrst denen, die dich lieben und deine Gebote halten! 5 Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen und abtrünnig geworden; wir sind von deinen Geboten und Rechten abgewichen.

16 Ach, Herr, um aller deiner Gerechtigkeit willen wende ab deinen Zorn und Grimm von deiner Stadt Jerusalem und deinem heiligen Berg. Denn wegen unserer Sünden und wegen der Missetaten unserer Väter trägt Jerusalem und dein Volk Schmach bei allen, die um uns her wohnen. 17 Und nun, unser Gott, höre das Gebet deines Knechtes und sein Flehen. Lass leuchten dein Angesicht über dein zerstörtes Heiligtum um deinetwillen, Herr! 18 Neige deine Ohren, mein Gott, und höre, tu deine Augen auf und sieh an unsere Trümmer und die Stadt, die nach deinem Namen genannt ist. Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit. 19 Ach, Herr, höre! Ach, Herr, sei gnädig! Ach, Herr, merk auf und handle! Säume nicht – um deinetwillen, mein Gott! Denn deine Stadt und dein Volk ist nach deinem Namen genannt.“

Daniel war ein Mann des Gebetes. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, regelmäßig zu Gott zu beten. Er ließ sich durch nichts und niemand vom Beten abhalten. Daniel betete dreimal am Tag, nicht nur früh am Morgen hielt er wie sicher viele unter uns seine „Stille Zeit“. Sondern immer wieder zog er sich zurück, um mit Gott in Verbindung zu treten. Es ist ja schon viel gewonnen, wenn wir früh am Morgen beten und in der Bibel lesen. Aber wir werden auch schon die Erfahrung gemacht haben: Damit allein ist es nicht getan. Wir brauchen die ständige Verbindung mit Gott, damit uns unser Glaube wirklich prägen und verändern kann. Wir können natürlich nicht immer beten, dass wir uns also hinsetzen und die Hände falten und mit Gott reden. Aber wir können doch immer wieder Gott in unser Leben einbeziehen, immer wieder einen kurzen Gebetsschrei tun, wie: „Herr, hilf mir da jetzt.“ Oder: „Erbarm dich doch.“ Oder ein kurzes Dankeschön sprechen: „Danke, dass du da warst, ... dass du geholfen hast, ... dass ich jetzt keinen Unfall gebaut habe.“ Sag Gott immer wieder, was dir auf dem Herzen liegt, lies auch sein Wort, in dem er mit dir redet. Tu dies mit Gebet und in der Erwartung, dass er wirklich zu dir spricht.

Und schließlich: Lobe und danke deinem Gott, so wie Daniel es auch immer wieder tat. Das ist wohl das Wichtigste in unserer Beziehung zu Gott: immer wieder loben und danken. Wer viel dankt, dem geht es seelisch besser. Man kann es ausprobieren, indem man Glaubenslieder singt. Nachher geht es einem oft besser. Manche Sorgen und Ängste sind wie weggeflogen. Es stimmt, was der Liederdichter Hiller in einem seiner Lieder sagt: "Man kann den Kummer sich vom Herzen singen..." Manche Versuchung könnte durch Danken sofort besiegt werden. Probier es doch einmal aus und sprich: "Ich danke dir, dass ich das nicht mehr tun muss!" Das Danken erhält unseren Glauben lebendig. Wer Gott dankt, dem ist der Himmel ganz nahe.

Und noch etwas ist wichtig. Dass wir eine Form des Gebetes nicht vergessen: Das Bußgebet. Daniel praktiziert es hier. Er ist einer der vorbildlichsten Gläubigen seines Volkes. Daniel hat seinen Glauben nicht verleugnet. Lieber ließ sich einmal in eine Löwengrube werfen, als sich das Beten verbieten zu lassen. Und doch spricht er solche Worte: „Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen und abtrünnig geworden; wir sind von deinen Geboten und Rechten abgewichen.“ Er redet in der Wir-Form. Das heißt er schließt sich in seinen Worten mit ein. Stellvertretend stellt er sich unter die Schuld seines Volkes. Was für eine Einstellung! Er stellt sich unter fremde Schuld. Und uns fällt es oft schwer, uns unter unsere eigene zu stellen.

So ist die rechte Einstellung, wenn wir für andere beten. Sich nicht für besser halten als sie, und wenn sie sich noch so schlecht, ungerecht und gottlos verhalten haben. Auch wir sind ja zu dem Schlimmsten fähig. Wer in dieser inneren Haltung beten, der wird immer wieder wie Daniel erfahren: Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So steht es in 1. Petrus 5.

In dieser Einstellung eines Daniel wollen wir für uns, unser Volk, unsere Kirche und unsere Gemeinde beten. Wir wollen beten, dass Gott doch gnädig handelt. Wir wollen uns schuldig geben wegen der Gottlosigkeit, dem Materialismus, der Gier nach immer mehr Reichtum und Wohlstand unseres Volkes – und auch über unsere eigene Schuld. Die besonderen Zeiten, in den wir uns befinden, sind ein lauter Weckruf Gottes. Ein Lied von Johann Walter aus dem 16. Jahrhundert kann man durchaus auf unsere heutige Zeit übertragen. Dort lesen wir: „Wach auf, wach auf, du deutsches Land! Du hast genug geschlafen. Bedenk, was Gott an dich gewandt, wozu er dich erschaffen. Bedenk, was Gott dir hat gesandt und dir vertraut sein höchstes Pfand, drum magst du wohl aufwachen.“

Als kostbarstes Geschenk hat er uns durch die Reformation die Botschaft des Evangeliums gegeben. Wenn wir es verachten, ihm gleichgültig gegenüberstehen oder für selbstverständlich nehmen, kann Gott es uns wieder nehmen und mit ihm viel oder gar allen Segen, der in unserem Land ja immer noch da ist.

Eine Kleinigkeit kann unsere Welt aus den Angeln heben. Wir leben ja gerade in solchen Zeiten. Vielleicht ändert sich die Situation ja wieder schnell. Aber machen wir uns nichts vor: Ein Ende der Pandemie hängt nicht von Impfstoffen ab, sondern von der Gnade Gottes. Es geht mir nicht um Panikmache. Es geht mir darum, dass wir den Kopf nicht in den Sand stecken und denken: „Das wir schon alles wieder werden wie früher.“

Die Mächte der Hölle wollen Unfrieden und Verderben. Gott sucht deshalb Männer und Frauen, die im Gebet sich für die Welt einsetzen und darum bitten, dass Gott uns vor diesem Verderben bewahrt. Ich meine, das Wort Reinhold Schneiders, das im Dritten Reich vielen Christen wichtig wurde, hat auch heute noch oder wieder seine Aktualität: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen. Denn Täter werden nie den Himmel zwingen: Was sie vereinen, wird sich wieder spalten, was sie erneuern, über Nacht veralten, und was sie stiften, Not und Unheil bringen. Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt, und Menschenhochmut auf dem Markte feiert, indes im Dom die Beter sich verhüllen. Bis Gott aus unseren Opfern Segen wirkt und in den Tiefen, die kein Aug' entschleiert, die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.“

Natürlich ist es wichtig, wenn sich Politiker für das Wohl unseres Landes einsetzen. Aber genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger ist, wenn Christen sich im Gebet dafür einsetzen.

Martin Luther rechnete mit dieser Macht des Gebetes. Er schrieb einmal sinngemäß an seinen Kurfürsten in einer Zeit, in der sein Leben bedroht war: „Ihr wollt mich schützen –durch Eure Macht? Ich möchte vielmehr Euch schützen – durch meine Gebete!“ Gebete sind keine Mittel zur Selbstberuhigung. Sondern sie können etwas bewirken, nicht nur in unserem privaten sondern auch im öffentlichen Leben, wie in der Wirtschaft und in der Politik.

Haben nicht auch vor über 30 Jahren die Friedensgebete in der ehemaligen DDR etwas bewirkt? Die Mauer fiel, das Unrechtsregime der kommunistischen Machthaber musste aufgeben, - ohne Blutvergießen. Es kam die Wiedervereinigung. Wer hätte so eine Entwicklung noch kurze Zeit vorher für möglich gehalten?

Ich bin mir sicher: Der unscheinbare Dienst von Betern bewirkt viel mehr, als wir ahnen und wissen. Nicht die Politiker, Konzernvorstände oder Wissenschaftler sitzen an den Schalthebeln, die die Zukunft der Welt bestimmen. Es sind die Beter.

Wie verhält sich das nun mit der Aussage des Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube an Gott den Allmächtigen…“? Das heißt ja: Gott regiert diese Welt. Kann ein Beter an der Allmacht Gottes teilhaben? Ja, allerdings nicht so, dass ein Beter Gott gewissermaßen „rumkriegt“ und ihm seinen Willen geschehen lässt oder gar aufdrängt.

Nein, umgedreht: Gott will uns „rumkriegen“! Er will, dass wir demütig werden und um Gnade bitten. Den Demütigen gibt er, wie schon gesagt, Gnade. Gott will ja gnädig sein. Er will ja barmherzig sein. Wer sich schuldig gibt, bei dem steht der Himmel wieder offen. Mir ist in diesen Monaten das Wort des Propheten Jeremia wichtig geworden, der dem Volk Israel in schweren Zeiten im Namen Gottes zugerufen hat: „Ich habe Gedanken des Friedens, der Zukunft und Hoffnung für euch.“

Wir haben einen barmherzigen Gott. Der Ruf nach Erbarmen hat auch Eingang in die Liturgie des Gottesdienstes gefunden. "Kyrie eleison", - "Herr erbarme dich", so beten wir jeden Sonntag im Gottesdienst.

Jesus hat Gott einmal mit einem barmherzigen Vater vergleichen. Wir alle kennen die Geschichte vom verlorenen Sohn. Dieser Sohn kam zurück aus der Fremde, mit abgerissenen Kleidern und keinem Pfennig mehr in der Tasche. Und doch kam ihm sein Vater entgegen, umarmte und küsste ihn und nannte ihn seinen lieben Sohn. So geht Gott auch uns entgegen, wenn wir nur im Gebet zu ihm kommen, mit all unserer Schuld, mit unserer Angst, unserer Sorge, unserer Leere und Trauer. Gott will nur, dass wir ihn auch um seine Hilfe bitten. Wer bittet, der empfängt auch. Die Bibel belegt diese Wahrheit in vielen Geschichten. Und auch unser Gesangbuch ist voller Erfahrungen von Menschen, die in großem Leid waren, und Gott kam ihnen nahe und hat sie getröstet. Viele Gesangbuchverse sind ja nicht am Schreibtisch ausgedacht, sondern sie sind erlitten, durchlebt, erfahrene Wirklichkeit.

Und diese Lieder sind auch oft voller Jubel über den Gott, der so barmherzig an ihnen gehandelt hat. Ich denke an das wunderschöne Lied von Hiller, in dem es heißt: "Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert. Das zähl' ich zu dem Wunderbaren, mein stolzes Herz hat's nie begehrt. Nun weiß ich das und bin erfreut, und rühme die Barmherzigkeit."

Gott reagiert sofort auf das Gebet von Daniel. Schon als er anfing zu beten, so heißt es in Vers 23, schickte Gott einen Engel zu Daniel, um ihm seine Fragen zu beantworten. Und er teilt dem Propheten mit, dass er in Gottes Augen „kostbar“ oder anders übersetzt „an ihm Gefallen hat“. Nicht weil er ein besonderer Mensch war, ein bekannter Staatsmann oder ein besonders Erwählter war. Nein, Menschen, die Gott gefallen, werden im Psalm 51 Vers 19 so beschrieben: „Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist, ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.“ Weil Daniel so demütig flehte, deshalb gefiel er Gott. Solche Beter sind „Wundervollbringer“, wie es in einem Lied heißt. Sie „beten den Tag herbei.“

Gott will gnädig sein. Er will seine Allmacht denen zeigen, die ihm vertrauen. Er will zeigen, dass er ein großer, kein kleiner Gott ist, der die Fluten des Roten Meeres teilte und sogar Tote wieder zum Leben erweckte. Er kann das. Aber er will gebeten sein.

So wie eine alte Großmutter es tat. Es war zur Zeit der Napoleonischen Kriege, 1806 in Norddeutschland.

Die Franzosen kamen, plünderten, verwüsteten. In einer Hütte wohnte eine Großmutter mit ihrem Enkel. Dieser sagte: „Großmutter, was machen wir denn, was machen wir denn, ich hab so Angst.“ Sie antwortete: „Wir beten, Herr eine Mauer um uns baue.“ Dann kam in der Nacht ein furchtbarer Schneesturm. Eine riesige Schneewehe hat das ganze Haus bedeckt. Als die beiden am Morgen aufwachten und herauswollten, konnten sie es zunächst nicht. Die Franzosen waren gekommen und hatten alle Häuser und Hütten zerstört und dieses Haus hatten sie nicht gesehen, weil eine Schneewehe es bedeckte.

Beter und Glaubende stehen unter einem besonderen Schutz Gottes. Auch wenn das nicht heißt, dass ihnen nichts Schlimmes passieren kann. Es wäre unbarmherzig, dann zu sagen: Dann hat der oder die Betreffende eben nicht genug geglaubt.

Wenn Gott nicht äußerlich vor Unfällen oder Gefahren schützt, dann schützt er eben innerlich, durch seinen Trost, seine Gelassenheit und seinen Frieden. So ein Schutz ist ja auch ein großes Wunder.

Auf jeden Fall dürfen wir mit den bekannten Worten von Dietrich Bonhoeffer glauben: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Amen