Bayreuth, den 13.05.2021 Epheser 1,20-23

20 Mit ihr (= der Kraft Gottes) hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel 21 über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. 22 Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, 23 welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.

Liebe Gemeinde! 

Jesus ist von Gott alle Macht übertragen worden. Das ist die Botschaft des heutigen Himmelfahrtstages. Darum geht es auch in unserem heutigen Predigttext.

Absolute Machtfülle, das klingt faszinierend, aber auch gefährlich. Die gefährliche Faszination der Macht behandelt zum Beispiel die berühmte Romanreihe „Der Herr der Ringe“. Der Träger eines bestimmten Ringes besitzt ungeahnte Macht. Allerdings gerät dieser unter dem Einfluss eines bösen Herrschers, und bringt ihm letzten Endes nur Unglück.

Jesus ist kein „Herr der Ringe“. Seine Macht hat nichts Böses an sich. Und wer sich ihr anvertraut, gerät nicht unter einen bösen, sondern einen guten Einfluss. Jesus ist kein „Herr der Ringe“, sondern ein „Herr der Dinge“, wie es mal jemand formuliert hat. Er ist der Herrscher über diese Welt, natürlich nicht nur über unbelebte Dinge, sondern über die ganze belebte Natur, Pflanzen, Tiere, Menschen, auch über die Menschheitsgeschichte und das Schicksal derer, die an ihn glauben, die Gemeinde.

Gott hat seinen Sohn „eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel“, wie es in unserem Predigttext heißt. Dies geschah bei seiner Himmelfahrt. Christi Himmelfahrt ist, so kann man sagen, sein Regierungsantritt über die ganze Welt. Wir kennen den Bericht von der Himmelfahrt aus der Apostelgeschichte. Es ist wichtig, diese Geschichte genau zu lesen. Dort steht nicht, dass Jesus in den sichtbaren Himmel aufgefahren und seine Gestalt immer kleiner und kleiner geworden ist, bis ihn seine Jünger nicht mehr sahen. Nein, das Eigentliche war den Zuschauern verborgen. Eine Wolke verhüllte Jesus. Danach sahen ihn seine Jünger nicht mehr. Jesus ist in einem Moment auf den anderen in die unsichtbare Wirklichkeit Gottes entrückt worden. Diese Wirklichkeit umgibt uns von allen Seiten, lesen wir in Psalm 139. Seitdem Jesus im Himmel ist, ist er denen, die an ihn glauben, zu jederzeit an allen Orten gleich nah. So hat er es direkt vor seiner Himmelfahrt seinen Jüngern versprochen: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Jesus ist seit seiner Himmelfahrt zur Rechten Gottes eingesetzt. So lesen wir es, wie schon gesagt, in unserem Predigttext. Und so bekennen wir es in jedem Gottesdienst: „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.“ Die rechte Seite war bei den Israeliten die starke Seite. „Rechts“ und „Glück“ sind im Hebräischen das gleiche Wort. Die „Rechte Gottes“ bedeutet nun schon im Alten Testament die Stärke und die Macht Gottes. „Die Rechte des Herrn behält den Sieg!“, heißt es im Psalm 118. Bei Jesaja 41 lesen wir: „Ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit“. Diese Rechte Gottes ist nun Jesus selber, erfahren wir in unserem Predigttext. Er ist die Macht Gottes in Person.

Ich möchte diese Aussage in dreierlei Hinsicht entfalten: Erstens: Christus ist der Herr über diese Welt. Was bedeutet diese Aussage? Vielleicht denken wir: Nun gut, in der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes hat er sicher das Sagen. Im Himmel, das kann ja gar nicht anders sein, hat er bestimmt alles unter seiner Kontrolle. Aber wie ist das in unserer sichtbaren Welt, in der wir leben?

Bei allen Nachrichten, die wir in Fernsehen oder Internet sehen, in der Zeitung lesen oder im Radio hören, kann einen der Zweifel überkommen: „Hat Gott diese wirre, chaotische Welt wirklich noch in seinen Händen? Oder ist sie ihm nicht schon längst entglitten?“

Angesichts dieser Mächte, die nach unserem Leben greifen, wirkt die Aussage „Christus ist der Herr dieser Welt!“ doch eher wie eine Provokation. Und es stellt sich die Frage: Wer ist nun wirklich der Herr dieser Welt und in unserem Leben?

Luther und Melanchthon befanden sich auf der Reise nach Wittenberg. Sie kamen an die Elbe, die Hochwasser führte. Der kleine Kahn, in dem sie übersetzen wollten, schwankte bedenklich auf den wilden, vom Sturm gepeitschten Wogen. Ein schweres Unwetter stand drohend am Himmel. Luther wollte beherzt in den Kahn springen. Aber der zaghafte Melanchthon packte ihn am Arm, riss ihn zurück und rief: „Martin, Martin steig nicht ein! Die Sternenläufe sind gegen uns!“

Darauf rief Luther zurück: „Wir sind des Herrn, und darum sind wir die Herren auch über die Sterne!“ Riss sich los und sprang in den Kahn.

Oft haben wir den Eindruck, dass die Mächte dieser Welt gegen uns sind und gegen die Macht Jesu sprechen. Nöte und Leiden erheben sich. Stürme des Lebens peitschen die Wogen auf, drohende Gewitter zeigen sich am Horizont, zerbrechlich klein wirkt das Lebensschiff gegen die Gewalt der Mächte. Aber wer ist nun der Herr der Welt? Wir müssen uns entscheiden, von wem wir unser Leben bestimmen lassen: Von den furchtbaren Mächten um und in uns, oder von Jesus, der gesagt hat: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden!“

Paulus hat sich entschieden. Für ihn war klar: Jesus ist der Herr dieser Welt. Kein Diktator, keine Supermacht, keine Naturkatastrophe, keine Terrorgruppe, kein Virus und eine durch sie ausgelöste Pandemie ist mächtiger als er.

Der russische Oppositionelle Nawalny rechnet nach seinen Aussagen auch mit dieser Macht. Wegen seiner regimekritischen Aussagen wurde er Russland verhaftet. Vor dem Gericht sagte Nawalny, er sei ein gläubiger Mensch. Das sei nicht immer so gewesen und einige seiner Mitstreiter spotteten darüber. Dennoch helfe ihm der Glaube, „weil alles viel, viel einfacher“ werde.

Nach Darstellung eines deutschen Nachrichtenmagazins zitierte Nawalny in seinem Schlusswort die Bergpredigt: „Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ Das klinge seltsam, aber er sei der Überzeugung, dass sich am Ende die Wahrheit durchsetze und der Durst nach Gerechtigkeit gestillt werde. Diese Hoffnung sei die wichtigste politische Idee Russlands, so Nawalny.

Und ich möchte auch an Sophie Scholl erinnern. Kurz vor unserem diesjährigen Himmelfahrtstag, am 9. Mai, war ihr 100. Geburtstag. Ihr Widerstand gegen Hitler wurzelte auch stark in ihrem christlichen Glauben. Im Widerstand, schreibt sie, sei Jesus Christus für sie das Rettungsseil, das Gott ihr zugeworfen habe. Daran klammere sie sich, um nicht im Angstmeer zu versinken

In der Gestapo-Haft 1943 in Ulm machten die Geschwister Scholl diese trostreiche Erfahrung, dass sie die Gottes Nähe und Kraft im Klang der Kirchenglocken spüren konnten und sich dadurch der Himmel öffnete. Sie schreiben an den Vater: „Lieber Vater! In der Zelle wird man hellhörig. Die Ohren nehmen dort mehr wahr als die Augen. Den Turm des Ulmer Münsters konnten wir nicht sehen, aber umso eindrucksvoller seine Glocken hören. Was sie uns zutrugen, kann nur ihr Klang wiedergeben, es ist nicht in Worte zu übersetzen. Die Münsterglocken waren das Jenseits der Zelle, verbindend, nicht trennend, tröstend, nicht verletzend. Sie bewegten die Luft, und die Wellen hoben uns über die Gitter weg, hinaus in die Welt.“ Im Vertrauen auf Jesus und seine Macht wurde Sophie am 22. Februar 1943 hingerichtet.

Wir können nicht alles begreifen, was in dieser Welt an aus unserer Sicht schlimmen Dingen passiert. Warum oft so viel grausames und sinnlos anmutendes Sterben? Warum müssen hilflose Kinder unter dem Missbrauch von Erwachsenen leiden? Es gibt viele Fragen, und wir kennen darauf keine Antworten. Aber wir kennen den, der die Antwort kennt: Jesus Christus. Wir können nicht begreifen, warum er dem Bösen oft so viel Raum lässt. Aber er, Jesus, weiß es. Er kann und wird zu seiner Zeit das Böse beenden. Er wird die Mächtigen vom Thron stürzen. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt. Gott setzt dem Bösen bestimmte Grenzen und Zeiten. Es gibt bei ihm ein „Bis hierher und nicht weiter!“ Es stimmt, was Jörg Swoboda in die Worte seines bekannten Liedes fasste: „Die Mächtigen kommen und gehen / und jedes Denkmal mal fällt. / Bleiben wird nur, wer auf Gottes Wort steht, / dem sichersten Standpunkt der Welt."

Christus ist der Herr. Das gilt zweitens auch für seine Gemeinde. Unscheinbar, ohnmächtig erscheint sie oft, heute mehr denn je. Bei uns im wohlstandsverwöhnten Westen sind es oft Wenige, die sich zu den Gottesdiensten versammeln. Der heutige Tag wird als ausschließlicher Ausflugstag genutzt. Mit den Aussagen der Bibel und des Glaubensbekenntnisses können viele Menschen nichts mehr anfangen. Kirche wird vor allem unter der jüngeren Generation nicht mehr gebraucht. In einer Münchner Großstadtgemeinde treten pro Monat 25 Personen aus. Die Männer und Frauen, die sich in den Gottesdiensten versammeln, sind eine kleine Minderheit in unserer Gesellschaft, keine besonderen Menschen mit besonderen Fähigkeiten und großem Einfluss. Nach 2000 Jahren Christentum scheint die Sache Jesu immer mehr zurückzugehen. Andere Religionen wie der Islam, erleben einen ungeheuren Aufschwung. Und gerade in solchen Ländern, in denen der Islam dominiert, werden Christen diskriminiert und verfolgt.

Deshalb ist es umso wichtiger, wie Paulus den rechten Durchblick zu behalten. Diese oft so unscheinbare Gemeinde ist und bleibt etwas ganz Besonderes, nämlich der Leib des auferstandenen Herrn Jesus Christus. Gott wirkt auch in seiner Gemeinde.

Zwei Christen unterhielten sich einmal über die Dunkelheit in dieser Welt. Der eine meinte etwas frustriert: „Warum lässt Jesus seine Gemeinde so leiden? Könnte er nicht noch stärker eingreifen?“ Der andere, ein Leiter eines Missionswerkes, antwortete: „Ohne Jesus und seine Gemeinde hätten wir bereits jetzt die Zustände der Hölle, doch mit Jesus und seinen Nachfolgern wird es immer noch Liebe und Hoffnung geben – bis Jesus wiederkommt.“

Dadurch, dass es glaubende Christen gibt, ist diese Welt anders. Denn sie sind ja Leute, die für andere beten, für Kranke, für Einsame, für verfolgte Christen, für Menschen, die noch nichts von Jesus wissen wollen, für Politiker, für Frieden und Bewahrung des Friedens und Schutz vor Terror. Ich bin mir sicher: Diese Welt würde anders aussehen, es wäre noch viel Schlimmeres passiert, wenn nicht Christen da wären, die durch ihre Gebete Katastrophen, Unfälle und andere furchtbare Ereignisse verhindert hätten.

Auch wenn solche Christen vielleicht nicht sehr viele sind. Sie sind, um mit den Worten Jesu zu sprechen, das Salz der Erde. Wie wir wissen, beeinflussen ein paar Körner Salz den Geschmack einer Speise. So können auch ein paar Christen durch ihren Glauben und durch ihre Gebete Entscheidendes für ihre Umgebung, für ihr Land, in dem sie leben, ja für die ganze Welt bewirken.

Christus hat noch viel vor mit seiner Gemeinde, also mit seinem Leib: Er will durch ihn sein Evangelium der ganzen Welt weitersagen und sie zum Glauben rufen. Er will ihn dazu benutzen, um seinen Willen in der Welt durchzuführen. Eine großartige Aufgabe! Und wenn der Anteil eines einzelnen Christen an dieser Aufgabe auch noch so klein sein mag. Was er für Jesus tut, ist der Teil eines Ganzen, ein Puzzleteil, das sonst fehlen würde.

Das gibt meinem Leben einen tiefen Sinn, wenn ich mitwirken darf, den Willen Gottes in dieser Welt mit durchzuführen. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe sind wir nicht auf unsere eigene oft so kleine und schwache Kraft angewiesen. Jeder Körperteil ist an den Blutkreislauf des ganzen Organismus angeschlossen. So wird auch jeder Christ mit der nötigen Kraft versorgt, die er für seine Aufgaben nötig hat. Denn er gehört zu dem Leib Jesu Christi und hat damit auch Anteil an seiner Energie.

Christus ist der Herr. Das gilt drittens auch für mich. Auch wenn es unserem Leben manchmal anders aussieht. Auch wenn es da auch mal drunter und drüber geht. Auch wenn ganz andere Mächte die Oberhand zu gewinnen scheinen. Auch wenn ich meinen Arbeitsplatz verloren habe. Auch wenn ich krank bin, in einem Krankenbett oder gar auf der Intensivstation liege. Auch wenn andere Menschen uns verachten, Vorgesetzte uns das Leben schwermachen. Auch wenn Sünde und Schuld unser Leben belasten. Auch wenn sich in unserer Seele immer wieder Abgründe auftun, wenn wir Süchten, schlechten Charaktereigenschaften nicht Herr werden, Ängste und Depressionen uns niederdrücken. Er, Jesus, bleibt trotzdem der Herr.

Manchmal kommen wir in schwierige und scheinbar aussichtslose Lagen hinein. Manchmal scheint sich auch auf die Länge der Zeit nichts daran zu ändern. Dann glaube erst recht: Jesus hat für dein Leben einen Plan. Er weiß, was, wie viel und wie lange er dir etwas zumuten kann. Und wenn es anscheinend gar nicht mehr weitergeht, Hilfe nicht mehr möglich scheint, greift er ein. Paul Gerhardt hat in seinem großartigen Lied „Befiehl du deine Wege“ diese Glaubenserfahrung in bis heute unübertroffene Worte gefasst: „Ihn, ihn lass tun und walten, er ist ein weiser Fürst und wird sich so verhalten, dass du dich wundern wirst, wenn er, wie ihm gebühret, mit wunderbarem Rat, das Werk hinausgeführet, das dich bekümmert hat.“

Amen