Bayreuth, den 08.08.2021 2. Mose 19, 1-6

1 Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. 2 Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai, und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge. 3 Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: 4 Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. 5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. 6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

Liebe Gemeinde!

Gott vergleicht sich hier mit seinen eigenen Worten mit den Flügeln eines Adlers. Ein schönes und starkes Bild. Und auch ein wahres. Denn so ist Gott mit dem Volk Israel umgegangen, an das diese Worte gerichtet sind.

Wir alle kennen Bilder oder Filmaufnahmen von Adlern oder haben ihn schon live bei Flugvorführungen gesehen. Majestätisch schwebt er über die Erde, getragen von seinen großen, breiten, mächtigen Flügeln. Keine Beute entgeht seinen scharfen Augen.

So hart und grausam er bei der Jagd ist, so sanft verhält er sich seinen Jungen gegenüber. Er baut für sie ein sicheres Nest. Fürsorglich füttern beide Eltern ihre Jungen. Und dann kommt der große Tag. Scheinbar hart und grausam wirft er die Jungen aus dem Nest, aber nur, damit sie fliegen lernen. Und wenn es nicht klappt? Keine Sorge! Der Adler passt gut auf. Wenn der Kleine zu müde oder zu unfähig ist, schwebt er unter ihn und breitet seine großen und mächtigen Flügel aus, fängt ihn und trägt ihn sicher.

Die mächtigen Flügel des Adlers sind ein einprägsames Bild für Gott. Wenn du sein Kind bist, dann lehrt er dich fliegen. Auf einmal bist du nicht mehr in einem gemütlichen Nest. Raus aus der Komfortzone! Das ist manchmal hart, ungemütlich und vor allen Dingen angsteinjagend. Aber er trägt dich immer. Fallen kannst du nicht.

Es gehört zum Wesen Gottes dazu, dass er uns trägt, vor allen Dingen, wenn schwere Zeiten in unserem Leben kommen. Es geht eben nicht alles im Leben glatt. Das stimmt ganz einfach nicht. Auch einem, der der Liebe Gottes vertraut, kann Schweres zugemutet werden. Doch gerade in solchen Situationen kann die Nähe Gottes besonders intensiv erfahren werden.

Gott trägt. So ist sein Wesen. Gott trägt, wo wir selber keinen Weg mehr sehen. Gott trägt, wo wir selbst nicht mehr in der Lage sind, unseren Lebensweg zu gehen. Gott trägt uns selbst dann, wo wir uns selbst nicht mehr ertragen können, weil wir versagt und Schuld auf uns geladen haben.

Dieses Bewusstsein, getragen zu werden, gibt denen Geborgenheit, die bereit sind, sich tragen zu lassen. Gott will die Last unseres Lebens tragen.

So hat es auch das Volk Israel erleben dürfen. Schwierige, aber auch wunderbare Wochen lagen hinter ihm zurück. Es musste scheinbar aussichtslose Lagen erleben. Aber Gott hat sie durch alles getragen. Mose führte die Israeliten im Auftrag Gottes aus Ägypten. Doch damit fingen, so schien es zumindest, die Schwierigkeiten erst so richtig an. Sie kamen an das Schilfmeer. Hinter ihnen die heranjagenden Soldaten des Pharaos in ihren Streitwägen, vor ihnen das unüberwindliche Meer. Eine aussichtslose Lage. Sie saßen in der Falle. Doch da teilte Gott die Fluten. Das Volk Israel kann durchs Meer marschieren. Hinter ihnen schließen sich wieder die Fluten. Die Ägypter ertrinken. Aber die Israeliten sind gerettet. Doch nun sind sie in der Wüste. Nichts zu Essen und zu Trinken. Und Gott versorgt sein Volk. Es regnet Manna vom Himmel und dazu noch als Fleischbeilage Wachteln. Aus einem Felsen lässt er quellfrisches Wasser sprudeln. Unglaubliche Wunder, die kein Volk vorher so erleben durfte. Alles Zeichen einer unfassbar großen Liebe zu den Israeliten. Wenn es nicht mehr weiterging, wenn sie abzustürzen drohten, dann war er mit seinen starken Flügeln da und trug sie.

Dieses Volk Israel war sein Ein und Alles. Sein Herz hing an ihm, so wie das eines Bräutigams an seiner Braut. Dieser will sein Leben lang mit seiner geliebten Verlobten zusammenleben. Deshalb macht er ihr einen Heiratsantrag und schließt den Bund der Ehe mit ihr, wenn sie seinen Antrag annimmt.

Ähnliches hat auch Gott vor. Er will einen Bund der Liebe mit seinem Volk schließen. Gott will alles tun, damit es ihm weiterhin gut geht, will für es sorgen, es behüten, damit es ihm an nichts fehlt, bis es in das Land kommt, das er ihm versprochen hat. Ein Land, in dem es den Israeliten an nichts fehlen soll.

Dieser Bund ist natürlich nicht einseitig geschlossen. So wie Gott seinem Volk treu ist, so soll es auch ihm treu sein. Das ist keine Beziehung der Liebe, in die einer immer nur hineininvestiert und der andere diese Liebe nicht erwidert. Das wäre nur Schmarotzertum.

Gott will für sein Volk ganz da sein. Genauso soll es auch für ihn da sein. Dieses Verhalten, das Gott erwartet, benennt die Bibel mit einem Begriff. Er heißt „heilig“. Israel soll ein heiliges Volk sein.

Eine persönliche Frage: Bist du ein Heiliger? Sind Sie ein Heiliger? Diese Frage "Verzeihung, sind sie ein Heiliger?" richtet in einem Hörspiel ein junger Mann von einem Meinungsforschungsinstitut an Passanten. Viele reagieren verständnislos oder spöttisch, bis eine Verkäuferin die Frage bejaht: "Ich glaube, dass mein Leben Gott gehört, und alles, was ihm gehört, ist heilig." Der junge Mann aber findet diese Antwort anmaßend, weil er an der Verkäuferin nichts Besonderes finden kann.

Wenn wir den Begriff „Heiliger“ verwenden, müssen wir uns vielleicht von falschen Vorstellungen verabschieden. "Heiligkeit" bedeutet keine hohe moralische Auszeichnung. Die katholische Kirche versteht unter einem "Heiligen" einen vorbildlichen Christen, der zudem noch Wunder gewirkt haben muss, wohlgemerkt nach seinem Tode, wenn Christen zu ihm gebetet haben.

Von dieser Art von Heiligkeit weiß die Bibel nichts. Folgendes Beispiel mag uns erklären, was die Bibel unter "heilig" versteht: Da wird ein Haus gebaut. Nach den Planungen erfolgt die Vorbereitung der Baustelle. Dazu ist nötig, Werkzeuge, Maschinen bereitzustellen. Bestimmte Werkzeuge werden benötigt und die werden zunächst ausgesondert. Das ist der biblische Begriff von "heilig": ausgesondert, bereitgestellt. Ein "Heiliger" ist von Gott selbst ausgesondert, von ihm für den Bau seines Reiches erwählt, das heißt bereitgestellt. Sein Leben gehört Gott. Er verhält sich wie ein Priester, der für ihn da ist, sich im Gebet für andere einsetzt, dessen Leben wie ein Gottesdienst ist. Er möchte für ihn da und immer das tun, was er will. Sein Leben soll Gottes Liebe widerspiegeln.

Gott verlangte dies auch von seinem Volk Israel. Sein Volk sollte sich an seine Gebote und Gesetze halten. Und wer es nicht tat, der wurde von Gott dafür zur Rechenschaft gezogen.

Dies ist nicht hart und grausam, sondern konsequent und logisch. Adel verpflichtet. Wem besonders viel gegeben ist, der kann und soll damit auch verantwortungsvoll umgehen. Wer von Gott bedingungslos geliebt ist, der kann und soll nun auch Gott und den Mitmenschen, den er auch geschaffen hat, lieben.

Das ist der entscheidende Punkt, wo auch wir gefordert sind. Gott bietet uns Tag für Tag seine fürsorgende Liebe an. Wie gehen wir mit diesem Angebot um?

Hermann Bezzel sagte einmal in einer Predigt: "…Dann geht er dir nach an dein Bett, ob du wohl abends einmal an ihn denkst. Du bist müde und ziehst dich aus und legst dich hin, liest noch einen kurzen Roman und machst die Lampe aus und vergisst ihn, dass er dich geliebt hat. Dann bleibt er an deinem Bett und rüttelt dich nachts einmal wach und fragt, ob du ihn bitten willst um seine Liebe. Du drehst dich um und nimmst eine Tablette, um wieder schlafen zu können. Dann stehst du wieder auf für deinen vollen Arbeitstag, und irgendwann auf der Höhe des Tages lässt er dich einmal dein Herz spüren und fragt, ob du nicht einmal nach ihm fragst, ob du nicht einmal ihn bitten willst: "Herr nun komm!"

Vielleicht kennen wir das ja auch: Dass wir offen und interessiert sind für alles Mögliche, aber merkwürdigerweise für das Wichtigste im Leben oftmals kein offenes Ohr haben: Für die Botschaft der Liebe Gottes zu uns. Wir wollen doch unser Leben so führen, wie wir es selber für richtig halten.

„I did it my way“, auf deutsch: „Ich mach’s auf meine Weise“. So lautet der wohl bekannteste Song von Frank Sinatra. Mancher unter uns hat sicher die Melodie dieses Liedes im Ohr. Es ist auch die Lebensmelodie von vielen Menschen. Und die einzelnen Strophen lauten so:

„Ich mach das so, wie ich es für richtig halte.“ „Ich lass mir von keinem reinreden.“ „Ich krieg das schon alleine hin.“ „Ich brauche keine guten Ratschläge.“ Vielleicht halten manche diese Sätze als ein Zeichen für Ichstärke und Unabhängigkeit. Aber sie sind eher ein Zeichen für Dickköpfigkeit, Verbohrtheit und Selbstherrlichkeit. Und diese Eigenschaften sind die besten Voraussetzungen dafür, dass in einem Leben viel schiefläuft.

Da hätten wir zum Beispiel einfach jemanden um Verzeihung bitten sollen, doch stattdessen mussten wir einen Streit vom Zaun brechen. Wir hätten nur genauer hinhören sollen, doch stattdessen haben wir unsere große Klappe aufgerissen. Wir hätten nur ein wenig Geduld haben sollen, aber wir mussten alles selbst in die Hand nehmen. Wir hätten die Dinge nur Gott überlassen sollen, aber wir mussten unseren Kopf durchsetzen.

Und wenn wir im Schlamassel drinstecken, beklagen wir uns merkwürdigerweise mit solchen Sätzen wie: „Alles muss immer nur ich alleine machen.“ „Ich bin für alles zuständig.“ „Niemand hilft mir.“

Vielleicht kennen Sie solche oder ähnliche Situationen aus Ihrem Leben. „I did it my way“. Irgendwie liegt es uns im Blut, die Dinge so zu machen, wie es uns passt – und uns dann zu beklagen, wenn sie nicht funktionierten, wie wir uns das vorgestellt haben.

So haben die Israeliten gehandelt. Gott hat ihnen immer wieder Gutes getan. Als Dank haben sie sich immer wieder beschwert, wenn es nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt haben. Als Gipfel der Undankbarkeit gossen sie aus Gold ein Stierbild und beteten es als ihren Gott an. Unfassbar. Aber sind wir wirklich besser?

Wir leben in einem Land, in dem die "Götter" Geld, Macht und Genuss angebetet werden. Es könnte sein, dass uns diese Lebenshaltung beeindruckt, weil sie uns Freiheit zu geben scheint. Aber wer sich diesem gottlosen Lebensstil anpasst, der kann schnell aus dem Blick verlieren, was Gott will und gefällt.

Vielleicht nimmt man es dann nicht mehr so genau mit dem Geschenk der Ehe. Man lebt schon vor der Eheschließung zusammen oder verlässt seinen Ehepartner, weil man meint, doch nicht zusammenzupassen. Man schaut die gleichen Filme an, wie die, die nicht glauben oder hält sich in Gesellschaften, in denen Gott nur ein Störfaktor ist, auf und findet nichts dabei. Da denken altgediente Gemeindeglieder nicht daran, sich mit ihrem Nächsten auszusöhnen, auch wenn es der Ehepartner ist. Vielleicht verteidigt man sein Verhalten mit scheinfrommen Argumenten und merkt gar nicht, dass man auch nicht besser ist wie die Israeliten, die Gott nicht mehr ernst nahmen.

Aber nun dürfen wir heute Morgen einen neuen Anfang mit unserer Beziehung mit Gott machen. Er fängt damit an. Er geht wieder auf uns zu. Es ist ein Angebot der Liebe und der Vergebung in seinem Abendmahl. Da will er seinen Bund mit uns erneuern. Durch das Blut Jesu Christi.

Auch heute Morgen gilt neu dieses Angebot der Liebe Gottes. Es will nur ernst -und angenommen werden, mehr nicht. Wir brauchen nur zu beten, vielleicht jetzt im Stillen: "Herr, komm du mit deiner Liebe in mein Leben. Nimm alles, was mich von dir trennt und bestimme du mein Leben."

"Jesus nimmt die Sünder an", so lautet die Botschaft des Evangeliums. Er stößt sie nicht von sich, sondern will sie bei sich haben, erwählt gerade sie sich zum Eigentum.

Wo gibt es sonst einen Gott, der so liebt? Weder Buddha, noch Mohammed oder Konfuzius kennen einen solchen Gott. Nur der Gott des Alten und des Neuen Testaments ist voller unbegreiflicher, grenzenloser Liebe. Diese Liebe ist sogar so groß, dass sie in Jesus Christus Mensch wurde, und dass sie sich am Kreuz um unserer Sünde willen opferte. Es gibt keine größere Liebe. "Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde", sagt Jesus von sich im Johannesevangelium.

Es gibt ja verschiedene Arten von Liebe: Es gibt die egoistische Liebe, die nur nehmen will ohne selbst zu geben. Es gibt die Liebe zwischen Gleichgesinnten, die gibt, um wieder zu bekommen. Und es gibt die selbstlose Liebe Jesu. Ihr Motto lautet: Geben ohne die Erwartung etwas zu bekommen. Sie berechnet nicht, ob der Einsatz sich lohnt, sie schenkt einfach.

Unsere Aufgabe ist es nur, dankbar für diese Liebe zu sein, sie in unser Leben hineinzulassen, gewissermaßen durchlässig für sie zu sein, so wie Fenster für das Licht. Das bedeutet „heilig“ zu sein.

Ein kleines Mädchen wurde einmal gefragt: "Was sind Heilige für Menschen?“ Es antwortete: "Heilige sind Menschen, durch die die Sonne strahlt?" Das Mädchen dachte an die Heiligen in den Kirchenfenstern. Trotzdem hatte es eine tiefe Wahrheit ausgedrückt.

Die Fensterbilder in den Kirchen wären dunkel und wie tot, wenn nicht das Licht der Sonne von außen auf sie fallen würde. Auch unser Leben wird strahlend und hell und fängt das Funkeln an, wenn das Licht der Vergebung Gottes in dich hineinfällt.

Wo ein Mensch von seiner eigenen Sündhaftigkeit überzeugt und durchdrungen ist und gleichzeitig glaubt, dass er um Jesu willen ein Heiliger ist, ist er Licht für seine Umgebung. Christen sind keine Strahlemänner und Strahlefrauen, die ihr eigenes Licht leuchten lassen können. Sie sind eher Dunkelmänner und Dunkelfrauen, die um die ganze Finsternis und Dunkelheit in ihrem Leben wissen und darunter leiden. Ihr Leben ist wie ein Scherbenhaufen im Dreck. Aber dieser Scherbenhaufen kann das Licht Gottes widerspiegeln. Du selber kannst nicht leuchten. Aber Jesus kann es in dir und durch dich. Christen merken immer wieder, wie schwach sie sind. Aber gerade deshalb kann die Kraft Gottes in ihnen wirksam werden.

Amen