Bayreuth, den 03.10.2021 2. Korinther 9,6-15

Liebe Gemeinde!

Jede Woche finde ich sie bei uns im Briefkasten. Manchmal sind es sogar mehrere an einem Tag. Vor allen Dingen im Dezember. Vielleicht haben Sie sie ja auch schon erhalten. Ich spreche von den Spendenbriefen. Manche sprechen etwas verächtlich von „Bettelbriefen.“ Das möchte ich nicht tun. Denn ich weiß aus eigener Erfahrung, wie das ist, wenn man gute Projekte finanzieren muss. Oft braucht man dazu Spenden. Und auch ich habe schon Briefe an Institutionen oder an unsere Kommune geschrieben und um Spenden, bzw. Zuschüsse gebeten.

Auch Paulus hat das getan. Hier im 2. Korintherbrief widmet er 3 Kapitel der Bitte um Spenden für einen guten Zweck. Die verarmten Christen in Jerusalem benötigen finanzielle Unterstützung von anderen Gemeinden. Der Apostel Paulus als Spendeneinwerber? Klingt für uns ungewohnt. Aber er war es.

Allerdings anders, als wir es gewohnt sind. Er schildert nicht die Not der Christen in Jerusalem. Er drückt nicht auf die moralische Tränendrüse und sagt: Ihr müsst doch als gute Christen helfen. Zehn Prozent eures Einkommens wie im Alten Testament sollten es schon sein. Paulus übt überhaupt keinen Druck aus. Er macht etwas ganz Anderes. Paulus macht den Korinthern klar: Ihr werdet nicht zu kurz kommen. Wer gerne von dem, was er hat, abgibt, den wird Gott auch reich beschenken. Wer sät im Segen, so sagt Paulus, der wird auch ernten im Segen. Und meint damit das Geben.

Gott will, dass wir geben, und zwar gerne geben. Die Voraussetzung dafür, dass man geben kann, ist, dass man etwas besitzt, genauer gesagt, dass einem etwas gegeben worden ist. Wer nichts hat, der kann nur Schulden machen, um etwas zu geben.

Wir alle haben etwas, uns allen hat Gott etwas anvertraut. An materiellen Gütern sind wir alle gesegnet. Daran wollen wir am heutigen Erntedankfest besonders denken.

Auch wenn einer meint, Grund zur Unzufriedenheit zu haben, so soll er doch bitte eins bedenken: Keiner von uns muss hungern. Er kann sich jeden Tag satt essen. Er besitzt ein Bett, Kleider, ein Dach über dem Kopf. Und er hat unverseuchtes Trinkwasser zur Verfügung. Damit ist er reicher als die meisten Menschen, die diese Erde bewohnen. Viele besitzen nicht einmal das, was wir als Selbstverständlichkeiten betrachten wie ein sauberes Trinkwasser oder ein eigenes Bett. Jeder 11. Mensch hungert nach Schätzungen der UN. In Afrika sind es über 20 Prozent der Bewohner. Sie leiden unter Dürre, Korruption, Arbeitslosigkeit und, als ob das alles nicht genug wäre, an den Folgen der Corona-Pandemie.

Wir haben nach drei trockenen Sommern hintereinander mal wieder wasserreiche Monate gehabt. Der Natur hat es gutgetan. Die allermeisten unter uns haben eine Arbeitsstelle, und wer nicht, der bekommt von unserem Staat wenigstens eine Arbeitslosenunterstützung. Korruption ist bei uns kein großes gesellschaftliches Problem. Auch bei uns gibt es Corona. Aber wir haben genug Impfstoff. Wer will, kann sich gegen Covid 19 impfen lassen. Wie gut geht es uns!

Wir leben immer noch in einem der reichsten Länder der Welt. Viele Menschen auf dieser Welt würden alles dafür tun, dass sie in Deutschland leben dürften. Klar, in diesem Land leben auch viele fleißige Menschen. Aber was können wir zum Beispiel dafür, dass wir in einem christlich und demokratisch geprägten Land aufgewachsen sind? In anderen Ländern wurde ja auch gearbeitet, doch unter anderen Rahmenbedingungen. Dass es uns immer noch so gut geht, haben wir letztlich der Gnade Gottes zu verdanken.

Und wenn wir von unserem Volk reden, dann wollen wir nicht vergessen, dass vor genau 31 Jahren, am 3. Oktober 1990 die Wiedervereinigung stattfand. So groß die Euphorie über dieses Ereignis vor 31 Jahren war, so groß ist heute die Ernüchterung. Von Dankbarkeit ist heute weithin keine Spur mehr da. Man nimmt dieses Datum, den 3. Oktober, einfach zur Kenntnis und ärgert sich darüber, dass er heuer mal wieder leider auf einen Sonntag fällt und man keinen zusätzlichen freien Tag hat.

Wir sollten es nie vergessen: Was damals vor über 30 Jahren geschah, war ein Wunder, ein Wunder Gottes, und auch das Ergebnis von erhörten Gebeten. Wer in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts von der Wiedervereinigung geredet hat, ist als Träumer verlacht worden. Doch die „Träumer“ behielten recht. Berlins unvergessener Bischof Otto Dibelius sagte schon im August 1961 kurz nach dem Mauerbau das prophetische Wort: „Es geht nun durch ganz Deutschland die Rede: Mit der Wiedervereinigung ist es nun aus, die kommt nie! Aber wer die Wiedervereinigung erbeten hat, ... der wird es anders erleben!“ Und so kam es auch. Bei einem Gemeindeausflug im Jahr 1988 nach Töpen und ins damals geteilte Dorf Mödlareuth standen meine Gemeindeglieder und ich vor der Grenze zur DDR. Niemand von uns hätte es für möglich gehalten, dass ein gutes Jahr später diese Grenze nicht mehr existieren sollte. Doch es kam so. Durch die unblutige Revolution der Kerzen in der ehemaligen DDR fiel die Mauer von Berlin. Es kam die Wiedervereinigung, ein großes Wunder und Geschenk Gottes. Vergessen wir nicht dafür zu danken!

Auch die Landwirte unter uns haben Grund zum Dankbarsein. Und man muss auch, wenigstens am Erntedankfest, den oft viel und wie ich meine oft zu Unrecht gescholtenen Landwirten und ihren Angehörigen einmal danken, dass sie ihren schweren und zeitintensiven Beruf ausüben. Ein Bauer ernährt 134 Personen, fast doppelt so viel wie noch vor 30 Jahren. Er sorgt also in noch nie so da gewesenem Ausmaß für unser tägliches Brot.

Gott hat es uns also gut gehen lassen. Und wenn wir recht darüber nachdenken, kann ein jeder dafür danken, was er im letzten Jahr bekommen hat.

Natürlich, man kann auch anders. Pfarrer Jörg Ahlbrecht hat einmal folgende Geschichte erzählt: Er war mit seinen beiden Töchtern Hanna und Ronja Einkaufen. Beim Bäcker bekam die jüngere Hanna, etwa zwei oder drei Jahre alt, ein Brötchen geschenkt. Der junge Vater sah seine Tochter erwartungsvoll an und fragte: „Und? Was sagt man?“ Hanna guckte einen Moment ratlos. Dann hellte sich ihr Gesicht auf. Sie drehte sich strahlend zur Bäckerin um und sagte: „Noch eins für Ronja!“

Aus dem Kindermund nehmen wir solche Sätze schmunzelnd zur Kenntnis. Aber wir Erwachsene können auch so denken oder reden. Da haben wir etwas erhalten, etwa die nicht selbstverständ­lichen Gaben, die ich vorhin aufgezählt habe. Aber anstatt dafür Danke zu sagen, stellen wir Ansprüche, für uns oder für andere.

Ist ja schön und gut, dass wir vieles haben, was wir zum Leben brauchen. Aber um richtig zufrieden zu sein, fehlt uns doch noch dies und das und jenes. So können wir denken. Allerdings sind wir dann nie glücklich. Denn, so viel wir auch im Leben erhalten haben: Es fehlt uns immer etwas, das wir auch noch ganz gut gebrauchen könnten. Anspruchsdenken ist ein absoluter Killer für die Dankbarkeit. Dann meinen wir ja: Wir haben ein Recht darauf, dass es uns gut geht, dass wir alles, was wir haben, auch verdient haben, und dazu noch ein bisschen mehr, wenn es geht. Aber dem ist nicht so. Es ist nichts selbstverständlich. Oft wird uns diese Wahrheit, meist schmerzhaft, erst bewusst, wenn wir dieses so anscheinend Selbstverständliche nicht mehr haben. Mir ging das auch schon so.

Wie sicher einige unter Ihnen wissen, jogge ich regelmäßig, schon seit 17 Jahren. In sehr gemächlichem Tempo übrigens! Vor 10 Jahren rutschte ich beim Joggen auf Blitzeis aus und brach mir das Sprunggelenk, gleich dreifach. Die nötige OP verlief sehr gut. Die Brüche verheilten wunderbar. Ein Arzt gab mir wertvolle Tipps, wie ich sogar wieder joggen konnte. Dazu waren auch spezielle Einlagen notwendig. Bei einem Orthomeister ließ ich sie mir anpassen. Dazu analysierte er elektronisch meinen Laufstil. „Ein Traum!“ sagte er, nachdem er die Bilder sah. „Wie meinen Sie das?“ fragte ich zurück. „Na, wie Sie laufen!“ „Wissen Sie überhaupt, dass ich eine dreifache Sprunggelenksfraktur hatte?“ Überrascht antwortete er: „Ihnen kann ich es ja sagen, weil es bei Ihnen nicht so ist. Bei dieser Art von Verletzung können viele Menschen gar nicht mehr richtig laufen. Die brauchen einen Spezialschuh, mit dem sie den Fuß nicht mehr abwinkeln können. Und Sie können sogar ans Joggen denken.“

In diesem Moment wurde mir so richtig bewusst, welches Schicksal mir erspart geblieben war und was für ein großartiges Geschenk es war, dass ich wieder joggen konnte, schmerzfrei, ohne große Probleme. Immer wieder danke ich beim Laufen dafür, vor allen Dingen dann, wenn ich bei meinen Joggingrunden Menschen begegne, die sichtlich Probleme damit haben, nur langsam einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Sich bewegen zu können, ist nicht selbstverständlich. Das weiß jeder, der ans Bett oder an den Rollstuhl gefesselt ist. Jeden Morgen danke ich für das, was Gott mir geschenkt hat, auch immer mal unter dem Tag. Sicher noch viel zu wenig.

Machen Sie es doch auch so. Überlegen Sie sich, was Gott Ihnen alles geschenkt hat. Gehen Sie bewusst durch den Tag und danken Sie, so oft Sie es können, Gott auch für die alltäglichen und kleinen Dinge des Tages.

Je dankbarer Sie sind, desto weiter wird Ihr Herz und auch offener für die Not anderer um Sie herum. Es gibt Leute, die sehen sich als arm und benachteiligt, selbst wenn sie viel haben, ja sogar reich sind. Die werden wohl auch knickrige und geizige Menschen bleiben. Sie haben ja selber nicht genug, so meinen sie zumindest. Wieso sollen sie an andere etwas abgeben? Aber es gibt auch Leute, die sich als reich und bevorzugt vorkommen, auch wenn sie vielleicht nicht so viel besitzen. Aber sie sind dankbare Menschen, und nehmen mit offenen Augen das wahr, was sie an Gutem Gott zu verdanken haben. Die werden auch gerne von dem abgeben, was sie besitzen. Sie haben ja genug. Sie werden „fröhliche Geber“, wie sich Paulus in unserem Predigtabschnitt ausdrückt.

Was wir von Gott empfangen haben, dürfen wir weitergeben, dankbar, freiwillig, von Herzen. Dann wirkt es Segen. Paulus spricht hier von einer Saat, die Früchte der Gerechtigkeit bringt. Wir gehen also selber nie leer aus, wenn wir das, was wir haben, weitergeben. Es ist oftmals das Gegenteil der Fall. Denn wer für die Sache Gottes etwas gibt, der leiht Gott etwas. Gott will es ihm also in irgendeiner Form wieder zurückgeben. Und Gott lässt sich nicht lumpen. Sein Zinssatz ist manchmal auch höher wie der von Banken, die ja zurzeit nicht so hoch sind.

Ein Christin sparte für ein neues Harmonium. Eines Tages sagte sie sich: „Wozu brauche ich ein neues Harmonium? Für die Jahre, die Gott mir noch schenkt, reicht auch das alte!“ Kaum war ihr das bewusst, veranlasste sie ihre Bank, das angesparte Geld an ein Missionswerk zu überweisen. Sie opferte den ganzen Betrag und behielt nichts für sich zurück. Nachdem sie sich von diesem Geld getrennt hatte, machte sie allerdings eine besondere geistliche Erfahrung. Sie berichtete; „Ich habe, nachdem ich diese Opfergabe überwiesen hatte, keinen Mangel gehabt. Im Gegenteil: Gott lässt sich ja nichts schenken. Er hat mich seitdem noch wunderbarer als vorher versorgt. Ich kann nur staunen.“

So darf es jeder erleben, der Gott etwas guten Herzens schenkt, wie etwa auch Zeit. Zeit ist eines der wertvollsten Güter, die wir besitzen. Gott hat sie uns geschenkt, um uns damit eine Freude zu machen. Und wir dürfen dieses Geschenk weitergeben. Wo können wir Zeit schenken? An Menschen, die einen Zuspruch brauchen, durch ein Gespräch oder ein Telefonat oder ein kurze WhatsApp-Nachricht. An Kranke oder Einsame, die sich über einen Besuch freuen. An Mütter, die froh sind, wenn jemand mal ihr kleines Kind hütet. An eine Kirchengemeinde, die Mitarbeiter sucht. So suche ich schon seit Jahren Menschen, die Gemeindeglieder hier in der Neuen Heimat besuchen.

Wer weitergibt, setzt in der Regel einen Kreislauf in Gang. Wir wissen nicht, wie es mit der Spendensammlung in Korinth weitergegangen ist. Aber ich gehe davon aus: Sie kam zustande. Das Geld kam auch in Jerusalem an. Die Christen dort haben die Spende sicher dankbar in Empfang genommen. Gott hat sie nicht im Stich gelassen! Er hatte Herzen und Geldbeutel geöffnet, damit sie genug für ihren Lebensunterhalt hatten. Und sie werden sicher Gott dafür gedankt haben. Und sich vielleicht auch überlegt haben, wo sie nun etwas weitergeben konnten.

Gott beschenkt, das sei zum Schluss auch noch gesagt, uns auch heute noch im Gottesdienst großzügig: im Abendmahl. Paulus spricht hier von der „unaussprechlichen Gabe“, die Gott uns gibt. Das ist auch das Abendmahl. Auch für diese "unaussprechliche Gabe" wollen wir Gott danken, für seine Nähe, für seine Vergebung, seinen Frieden, seinen Segen. Darauf dürfen wir uns wieder freuen und jetzt schon dafür danken.

Amen