Bayreuth, den 10.10.2021 Jesaja 66,1-2 und Jesaja 57,15

Liebe Gemeinde!

„Wo ist Gott?“ Ich weiß nicht, wie viele Menschen sich heute noch diese Frage stellen. Ich vermute, nicht allzu viele und nicht allzu oft. An Gott glauben ja längst nicht mehr alle Menschen in Deutschland. Und für die, die das noch tun, spielt Gott in der Regel keine Rolle. Die Frage nach ihm taucht meist nur nach schlimmen Ereignissen auf. Das können Naturkatastrophen sein, wie die Überschwemmungen im Sommer bei uns in Deutschland, Erdbeben oder Tsunamis. Oder es können persönliche Schicksalsschläge sein wie schwere Erkrankungen, Unfälle oder der plötzliche Tod von lieben Menschen.

Wo ist dann Gott? So wird dann oft gefragt, manchmal anklagend, manchmal verzweifelt, manchmal nach Hilfe suchend. In welcher Form diese Frage auxh gestellt wird: Auf jeden Fall ist es gut, wenn ein Mensch sie stellt und wenn er wirklich Gott sucht.

Wo ist denn nun Gott? Eine Antwort auf diese Frage wollen uns die beiden Bibelworte geben, die ich vorhin vorgelesen habe. Genauer gesagt sind es drei Antworten. Die erste Antwort lautet: Er ist in der „Höhe“, also im Himmel. Vielleicht klingt so ein Satz auf manche von uns enttäuschend. Man kann fragen: Was nützt mir ein Gott im Himmel? Das klingt ja so, als ob er weit weg ist und mit unserem Leben nichts zu tun haben will. Das Wort „Himmel“ klingt nach einem fernen Jenseits, das mit meinem Leben nichts zu tun hat. Vielleicht werde ich ja, so denken wohl manche, diesem Gott einmal nach dem Tod begegnen. Aber ich brauch ihn doch jetzt!

Aber genau das bedeutet das Wort „Himmel“. Der Himmel ist zwar die unsichtbare Wirklichkeit Gottes. Er ist der Ort, in dem wir einmal uneingeschränkte Gemeinschaft mit Gott haben dürfen, wo wir ihn sehen werden, wie er ist. Aber diese Wirklichkeit ist nicht weit weg. Sondern sie ist uns ganz nahe, nur durch einen dünnen Vorhang gewissermaßen von uns getrennt.

Der Himmel ist kein frommes Märchenland, keine Vertröstung für die, die mit ihrem Leben nicht klarkommen. Sondern er kann genauso wahrgenommen werden, wie die Welt, die uns umgibt. In vielen Bildern und Geschichten umschreibt Jesus diesen Himmel. Er nennt ihn das Reich Gottes. Immer wieder erzählt er von der mächtigsten Kraft in diesem Reich. Es ist die Liebe und Vergebung Gottes.

„Wo ist denn nun dieses Reich?“ haben fromme Leute Jesus einmal gefragt. „Es ist mitten unter euch“, gab er zur Antwort. Das heißt: Er selbst ist es. Er, Jesus, gibt selbstlose Liebe ohne Nebengedanken, Vergebung, Geborgenheit und Hilfe in Nöten. Das Reich Gottes ist nicht das Jenseits. Sondern das ewige, unvergängliche Reich Gottes mit seinem Glück ist da, wo Jesus ist. Und wo ist Jesus? Er ist nicht in einem Grab vermodert. Sondern er ist auferstanden. Er lebt heute noch unter uns. Er war gestern, ist heute und bleibt in Ewigkeit. Sie können ihn nicht sehen. Aber er kann mit Ihnen reden. Seine Worte, die er gesagt hat, können Sie heute noch unmittelbar ansprechen. Auch heute Vormittag ist er da und kann Sie durch das, was ich in seinem Namen sage, ganz persönlich ansprechen.

Dieser Jesus ist hier. Er hat es versprochen: "Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammenkommen, bin ich in ihrer Mitte." Und er will Ihnen begegnen, durch das, was Sie hier von ihm hören, auch jetzt von mir. Der Himmel ist also nicht nur die Wirklichkeit, die nach dem Tod die erwartet, die ihr Leben Gott und seinem Sohn Jesus Christus anvertraut haben. Sondern er ist auch zweitens dort, wo wir etwas von ihm, seiner Liebe und seiner Nähe hören. Dort redet er mit uns, auch durch den Mund eines Menschen, so wie ich es einer bin. Jesus selber hat von seinen Anhängern, den Jüngern gesagt: „Wer euch hört, der hört mich.“ Und wer nun ehrlich und unvoreingenommen zuhört, wenn Gott zu ihm spricht, der wird auch seine Stimme hören und damit ein Stück Himmel auf Erden erleben. Auch heute Vormittag.

An jedem Sonntag ertönen die Glocken und laden uns ein, unter Gottes Wort zu kommen, hier in der Nikodemuskirche seit 42 Jahren. Sechs Jahre vorher wurde die Kirche eingeweiht. Und auf den Tag genau vor 45 Jahren die Orgel, die momentan grundlegend saniert wird. Der Sonntag ist ein besonderes Geschenk Gottes an die Christenheit. Er ist nicht nur dazu da, damit wir uns ausruhen, unseren Hobbys frönen oder Verwandte besuchen. Dieser Tag kann zu einem Stück des Himmels auf Erden werden, wenn wir uns in Gottes Nähe begeben und sein Wort hören.

Manchmal geschieht dies ganz unerwartet. Einmal kam zu mir in den Gottesdienst jemand, der wohl das letzte Mal bei seiner Konfirmation in so einer Veranstaltung war. Es war ein Mensch mit viel Zweifel und Kritik gegenüber dem Glauben. Aber dieser Mann sagte nach dem Gottesdienst: "Ob das mit Gott stimmt, weiß ich nicht. Aber eines hat mir schon zu denken gegeben. Da komm ich einmal in die Kirche. Und da sagt der Pfarrer in der Predigt meinen Konfirmationsspruch. Wie viel Seiten hat die Bibel! Wie viele Sätze stehen da drin! Das kann doch kein Zufall sein." Das war auch kein Zufall. Sondern da hat Gott mit ihm geredet.

Kein Zufall war auch das, was mir als Jugendlichen passierte. Da las ich auf einer christlichen Freizeit in der Bibel ein Wort aus dem Psalm 103: "Lobe den Herrn, meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünden vergibt und heilt alle deine Gebrechen." Es war genau das Wort, das ich brauchte. Denn ich hatte in der Zeit vorher gemerkt, dass ich nicht so war, wie ich sein sollte. Ich hatte gemerkt, dass in meinem Leben Gott nicht die wichtigste Rolle gespielt hatte und meine Mitmenschen auch nicht. Und nun redete dieses Wort aus der Bibel von Vergebung. Zufall, dass ich gerade dieses Wort aufschlug und kein anderes? Nein. Es war Gott, der mich anredete. Gott, der mir Vergebung anbot und ein Leben mit ihm. Ich konnte in dem Moment glauben, dass mir meine Schuld vergeben war. Und es war mir, als ob eine ungeheure Last von mir abgenommen wurde. Aber nun kam doch der Zweifel. Vielleicht war es doch alles Zufall? Ein paar Minuten später war die Abendmahlsfeier auf dieser Freizeit. Wir durften uns aus einem Körbchen eine Karte mit einem Bibelwort ziehen. Auf meiner stand: "Fürchte dich nicht, du hast Gnade bei Gott gefunden." Zufall? Ich weiß es besser. Dafür habe ich schon zu oft erlebt, wie mir ein Wort aus der Bibel oder aus einer Predigt wichtig geworden ist und auch so eingetroffen ist.

Haben Sie das auch schon gemerkt, dass Sie ein Mensch sind, zwischen dem und Gott so viel steht, so viel Schuld, so viel Verkehrtes? Dann bitten Sie ihn um Vergebung, um die Erfahrung seiner Liebe. Und Sie werden dann Vergebung bekommen. Er schenkt sie Ihnen. Und Ihr Leben hat ein gutes Fundament, die Liebe Gottes.

Es ist gut, wenn uns das aufgeht, was so alles in uns drin steckt an unguten Gedanken und Verhaltensweisen. Bei andern sehen wir das ja oft sehr genau, wo sie ihre Schwachstellen und Fehler haben – aber bei uns selber, da wollen wir nicht so genau hinschauen, wo es nicht in Ordnung ist. Aber nur solche, die den Mut haben, genau hinzuschauen, sich so zu sehen, wie sie wirklich sind, nur solche kann Gott beschenken mit seiner Nähe und Hilfe und allem, was sie brauchen. „Gottes bedürfen ist des Menschen höchste Vollkommenheit“ hat einmal jemand gesagt. Aber Gott brauche ich nur, wenn ich merke, was mir selber noch alles fehlt, was ich mir nicht selber geben kann. Nur Menschen, die in sich innerlich leer sind, kann Gott alles werden. Luther sagt: „Gottes Natur ist so, dass er aus Nichts etwas macht. Darum: Wer noch nicht Nichts ist, aus dem kann Gott auch nichts machen!“

Menschen, die Gott brauchen, erleben das Wunder, dass Gott ihre Schuld wegnimmt, sie ihnen vergibt und nun durch seinen Geist in ihnen wohnt.

Deshalb kann man auf die Frage: „Wo ist Gott?“ noch eine dritte überraschende Antwort geben. Er ist da, wo ein Mensch gemerkt hat, dass er durch sein Leben, sein Verhalten, sein Reden und Denken ganz weit weg von Gott ist. Gerade denen will er ganz nahe sein. In einem Lied wird es so ausgedrückt: „Dem, der Gott nichts bieten kann, bietet Gott die Freundschaft an.“

Da kann einer wie ein altersschwaches Harmonium aus dem letzten Loch pfeifen, aber wenn ein Meister, ein Genie, an den Tasten sitzen würde, so würde man das sicherlich merken. Es verändert sich etwas bei dem, in dessen Leben Gott einzieht. Er bekommt die Gewissheit der Vergebung geschenkt, Liebe zu Gott und den Mitmenschen und die Hoffnung des ewigen Lebens.

Von einem solchen Menschen zieht Gott sich nicht zurück. Sondern er ist ihm ganz nahe, auch wenn es Ihnen ganz dreckig geht, wenn er traurig und niedergeschlagen ist. „Mein Platz ist da, wo du im Dunkeln stehst“, heißt es in einem Lied. Da, wo ein Mensch Trost braucht.

Jedes menschliche Herz hungert zutiefst nach Trost. Nicht nach billigen Vertröstungen, sondern nach echtem, tiefem Trost. So wie ein weinendes Baby durch die Nähe seiner Mutter getröstet wird, sein Kummer durch sie gestillt wird, so sehnen auch wir Erwachsenen uns nach einem, der uns tröstet, der unseren tiefsten Schmerz und Kummer teilt und lindert. Und es tut gut, wenn wir liebe Menschen haben, die dann einfach da sind – ohne viele Worte. Von manchen Trauernden hörte ich schon die Klage: da haben meine Freunde mich im Stich gelassen. Sie sind nicht gekommen, sie zogen sich zurück. Wahrscheinlich aus Hilflosigkeit, aus Unsicherheit, aus der Angst heraus, etwas Falsches zu sagen. Dann kamen zu der Trauer auch noch die Einsamkeit und die Enttäuschung dazu.

Aber wenn Menschen uns auch enttäuscht und im Stich gelassen haben: Jesus ist doch da, er ist immer da, er ist ganz nahe, ob Sie es fühlen oder nicht. Jesus ist immer in der Nähe der Menschen, die unten sind, die traurig, bedrückt, verzagt, mutlos sind, und zwar völlig unabhängig, ob wir das „fühlen“ oder nicht. In Jesaja 57, 15 heißt es: „Der ich in der Höhe wohne und bei denen, die zerschlagenen Herzens sind.“ Es ist genau umgekehrt, als wir oft denken: Gott ist nicht in erster Linie der Gott der Starken, derer, die immer gut drauf sind. Bei denen alles klappt und denen alles gelingt in ihrem Leben, denn: Die brauchen ihn oft gar nicht. Sondern der lebendige Gott ist der Gott, der ganz nahe bei Traurigen, Niedergeschlagenen, Mutlosen, Verzagten ist. Bei Menschen, die einen Trost und eine Hilfe brauchen. Und dieser Tröster will der lebendige Gott für uns sein. Er sagt uns zu: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet!“ (Jesaja 66,13) Das ist doch ein ganz wunderbarer Vergleich. So wie eine liebevolle Mutter ihr Kind in den Arm nimmt und es wiegt, wenn es weint, genau so geht Gott mit uns, mit seinen Kindern um! Wir dürfen allen Kummer, alle Schmerzen des Leibes und der Seele zu ihm bringen. Und er kann unser tiefstes Leid, unseren schlimmsten Schmerz verstehen, denn Jesus selbst musste durch alle seelischen und körperlichen Leiden hindurch, wie sie Menschen widerfahren. Er wurde gequält und gefoltert, er wurde verraten und verkauft, verachtet und verspottet, zuletzt starb er einen qualvollen, unwürdigen Tod am Kreuz. Das alles hat Gott zugelassen, ja es war sogar sein Wille. Warum? Damit jeder, der nur will, wieder zu Gott zurückkehren kann, wieder in Verbindung mit ihm kommen kann. Wer es nur will, darf selber Vergebung und Trost erfahren, darf wieder die Geborgenheit in der Gegenwart Gottes erleben. Wir dürfen es immer wieder glauben: Ich bin von Gott geliebt, bedingungslos, ohne Abstriche, ich bin sein geliebtes Kind! Der Herr aller Herren steht hinter mir, bei mir, neben mir mit seiner ganzen Macht und Herrlichkeit!

Ich habe auch keine Antwort auf die vielen Warum-Fragen. Warum geschieht so viel Furchtbares und Schweres, warum müssen manche Menschen so viel leiden und durchmachen und andere nicht? Vieles erscheint so ungerecht!

Aber es ist ein ganz großer Unterschied, ob ich mich durch die unbeantworteten Fragen in Bitterkeit und Verzweiflung stürzen lasse oder ob ich damit zu einem liebenden Vater im Himmel gehe. Auch ein Christ bekommt nicht Antwort auf alle Fragen, kann manchmal nicht verstehen, warum Gott ihn so und nicht anders führt. Aber er darf ganz gewiss sein: Ich werde geführt! Nicht ein blindes Schicksal bestimmt meinen Lebensweg, sondern ein liebender Vater im Himmel führt mich, er führt mich manchmal auf rauen Wegen, aber er führt mich an ein lohnendes Ziel.

Eine Mitarbeiterin eines christlichen Hilfswerkes erlebte einmal Folgendes: Sie arbeitete mit Straßenkindern in Peru. Die lebten dort im Chaos und Elend einer Großstadt. Eines Abends entdeckte sie eines. Sie merkte, das Kind wollte zu ihr kommen. Aber es traute sich nicht. Da breitete die Straßenmissionarin ihre Arme ganz weit aus und wartete. Das Kind kam erst, dann entfernte es sich wieder. 20 Minuten stand die Frau da, bis das Kind kam und sie es in ihre Arme schließen konnte.

So ist auch Gott im Chaos und Elend unseres Lebens da. Wir sind nicht alleine. Sondern Gott breitet wie Jesus am Kreuz ganz weit seine Arme aus und lädt uns ein, zu ihm zu kommen. Er wartet geduldig auf uns, bis wir kommen. Dann schließt er uns in seine Arme. Willst Du, wollen Sie nicht heute zu ihm kommen?

 

Amen