Bayreuth, den 31.10.2021 - Galater 5, 1-6

Liebe Gemeinde! 

„Zauberwort Freiheit“, so heißt ein Song der christlichen Liedermacher Arno und Andreas. Sie meinen mit diesem Begriffspaar: Von dem Wort Freiheit geht eine besondere Faszination aus. Wir tragen in uns eine Sehnsucht nach Freiheit. Wir wollen nicht fremdbestimmt leben. Wir wollen, wie wir unser Leben führen, selber frei entscheiden. Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, welcher Religionsgemeinschaft wir angehören. Wir wollen keine Nachteile wegen unserer religiösen oder politischen Einstellung. Wir wollen Meinungsfreiheit und uns nicht von einem Diktator vorschreiben lassen, was wir sagen dürfen.

All diese Freiheiten sind nicht selbstverständlich. Millionen von Menschen hätten sie gerne und haben sie doch nicht. Aber wir können in unserem Land über all das, was ich aufgezählt habe, frei entscheiden. Wir besitzen eine Freiheit, die wir gar nicht hoch genug schätzen können.

Nun gibt es eine ganz andere Art von Freiheit, als die Möglichkeit, zu tun oder zu lassen, was man will. Von der redet hier Paulus in unserem Predigtabschnitt. Diese Freiheit war auch ein zentrales Thema der Reformation. Martin Luther verfasste wichtige Schriften wie „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“. Es ist die Freiheit von der Sünde. Davon möchte ich auch heute in meiner Predigt zum Reformationstag reden.

Ich weiß, das klingt nicht sehr modern. Es klingt auch nicht sehr prickelnd. Das kennt man ja schon, oder meint es zu kennen. So wie jener junge Mann. Der besuchte den Gottesdienst. Sein Vater fragte ihn anschließend zu Hause: „Worüber hat denn der Pfarrer gesprochen?“ „Über die Sünde.“ „Und was hat er darüber gesagt.“ Daraufhin der Sohn gelangweilt: „Na, er war dagegen.“

Wir wollen von Sünde nichts mehr hören. Denn wir wollen uns nichts mehr vorschreiben lassen, wie wir zu leben haben. Aber ist das wirklich Freiheit? Der moderne Mensch will frei sein von den Zwängen einer für ihn veralteten Moral und den Zwängen der Ehe, - und wird ein Sklave seines Sexualtriebs. Er will mehr Freizeit haben, - und wird abhängig von öden Freizeitbeschäftigungen, wie stundenlang vor der Glotze zu hocken oder nächtelang im Internet zu surfen. Er will sich von der Kirche nicht vorschreiben lassen, was er glauben soll, - und wird abhängig von Esoterik, Okkultismus und Aberglauben oder einem materialistischen Konsumdenken. Sieht so Freiheit aus?

In Afrika haben die Schwarzen eine einfache Methode, kleine Affen zu fangen. Sie stellen in der Wildnis Tonkrüge mit einem engen Rand auf, füllen Mandelkerne hinein und entfernen sich. Nun wittern die Affen ihre Lieblingsspeise, kommen heran und greifen gierig in den Krug, nehmen die Pfote voller Mandeln und bekommen die gefüllte Pfote nun nicht mehr aus dem Krug heraus. Sie brauchten die Mandeln nur loslassen, um ihre Freiheit und das Leben zu retten. Aber sie essen die süßen Mandeln nun mal "für ihr Leben gern". Darum warten sie mit der gefüllten Pfote, bis die Schwarzen kommen und die Affen gefangen nehmen.

Manchmal geht es uns Menschen auch so. Wir sind in gewisse Dinge so vernarrt, dass wir sie "für unser Leben gern" festhalten. Wir brauchten manche Dinge nur einfach loslassen und würden unsere Freiheit und das Leben gewinnen.

An welcher Sünde oder Begierde, an welchen Dingen halten wir fest? Ist es die Sucht nach Pornos? Ist es Geld? Unser Haus? Sind es an und für sich harmlose Hobbys, die aber zu viel Zeit in unserem Leben einnehmen, Zeit, die uns für Gott und unseren Mitmenschen fehlen? Ist es unsere Bequemlichkeit, die uns daran hindert, uns in unserer Arbeit oder in einem Ehrenamt einzusetzen? Ist es ein Mensch, eine Beziehung zu ihm, eine Freundschaft mit ihm, die uns nicht guttut?

Viele denken zwar: Das ist ja gerade das, was mir Spaß macht. Aber sind sie wirklich glücklich dabei? Ist ein Pornosüchtiger glücklich? Ist ein Geiziger froh?

Viele denken, sie sind frei und merken gar nicht, wie getrieben sie sind: vom Neid, vom Hass, vom Zorn, von der Gier, von der Angst. Viele denken, sie sind frei, und merken gar nicht, wie belastet sie sind: von Schuld und von inneren Verletzungen.

Weitaus weniger, meine ich, merken, wie abhängig sie sind, wie getrieben, wie belastet. Sie wollen gerne anders sein - und schaffen es nicht. Sie kommen nicht los davon. So hat schon mancher geklagt, der etwa vom Alkohol abhängig oder einem bestimmten Menschen hörig war. Vielleicht hat man ihnen schon oft gesagt: „Ändere dich!“ Aber gerade das bringen sie nicht fertig.

Paulus spricht hier in unserem Predigtabschnitt von einem anderen Weg zur Freiheit. Er sagt nicht: Du musst dich recht anstrengen, um anders zu werden. Sondern er redet von einer Freiheit, die es schon gibt, zu der ein anderer uns schon befreit hat. Das ist Jesus Christus.

Um ein Bild zu gebrauchen: Wir sind durch unsere Sünde wie Gefangene in einer Gefängniszelle. Wir können an der Tür rütteln. Wir können mit den Fäusten gegen die Mauern hämmern. Wir können versuchen, die Gitterstäbe der Fenster rauszureißen. Wir schaffen es nicht. Aber da kommt nun einer, der den Schlüssel zu unserer Gefängniszelle hat. Der die Tür aufsperrt und zu uns sagt: Du bist frei! Komm raus aus deiner Gefängniszelle!

So redet Jesus zu uns: „Du bist frei von der Macht der Sünde! Denn ich bin für dich am Kreuz gestorben. Durch meinen Tod bist du frei.“

Es kommt nicht darauf an, zu verstehen, wie dies möglich ist. Es kommt darauf an, diesen Worten zu glauben.

Jesus nimmt uns das, was uns zutiefst unfrei macht: unsere Schuld, und er schenkt uns das, was uns von uns selber löst: die Liebe. Diese Geschehen nennt die Bibel Vergebung. Wir brauchen dieses Geschenk nur nehmen und im Glauben in Anspruch nehmen.

Diese Vergebung wird in der Bibel an manchen Stellen mit einem Fest verglichen. Zu diesem Fest bist du eingeladen. Komm auch du zu diesem Fest. Das heißt: Glaube, dass dir deine Schuld vergeben ist. Die Einladungskarten zu diesem Fest kosten nichts. Es sind Freikarten. Und sind auch im wörtlichen Sinn Frei-karten. Sie machen frei. Und wer erhält diese Freikarten? Ihr alle hier, alle, ausnahmslos. Im Namen Gottes darf ich euch zu diesem Fest einladen: Es liegt Vergebung für dich bereit, mehr als genug für alle deine Schuld. Es liegt Trost bereit, mehr als genug für alle Trostlosigkeit deines Lebens. Es liegt Kraft bereit, mehr als genug, um die Schwächen deines Lebens auszugleichen. Es liegt Hilfe bereit, mehr als genug, um dich aus allen unverschuldeten und selbstverschuldeten Lagen deines Lebens herauszuholen. Es liegt Freude bereit, mehr als genug für alle Traurigkeiten deines Lebens. Es liegt Ewigkeit bereit, die einmal alles, was du in diesem Leben verloren hast, mehr als ausgleichen wird. Löse doch diese Freikarten ein und lass sie nicht verfallen.

Wer an Jesus glaubt, der wird frei von aller Bindung an seine Schuld und dem Versagen seines Lebens. Manche Menschen wurden von ihren Süchten und Abhängigkeiten erst durch jahrelanges Vertrauen frei. Anderen wiederum wurde schon vom ersten Moment des Glaubens an ein sichtbar befreites Leben ermöglicht.

„Zur Freiheit hat euch Christus befreit“, schreibt hier in unserem Predigtabschnitt Paulus. Es liegt nun an uns, wie wir uns zu dieser angebotenen Freiheit verhalten. Wir können uns entscheiden, diese Freiheit abzulehnen. So eine Entscheidung erinnert mich an eine Begebenheit im alten Russland. Es gab es den Brauch, dass ein neuer Zar bei seiner Thronbesteigung eine Generalamnestie erließ. Tausende von Gefangenen in Sibirien konnten dann in die Freiheit zu ihren Familien entlassen werden.

In einem dieser Straflager las nun ein Gefängnisdirektor diesen Erlass vor. Zunächst standen die Gefangenen ungläubig da. Haben sie richtig gehört?

Der Gefängnisdirektor wiederholte also noch einmal eindringlich: „So hört doch, was ich lese: 'Ihr seid frei!'" „Dort steht der Schmied und er wird euch die Ketten abnehmen!" Jetzt kam Leben und Bewegung in die abgestumpften Menschen. Freudensprünge, lautes Jubeln, fröhliches Lachen. „Endlich frei, zurück nach Hause zu den Familien!" Doch eigenartig: In einer Ecke stand ein Haufen Gefangener unberührt da. Keine Reaktion. Ausdruckslose, ernste Gesichter. Man sprach sie an: "Nun, habt ihr es nicht gehört? Ihr könnt nach Hause!" Da sagte Ihr Sprecher: „Wir sind Anarchisten, wir sind Todfeinde des Zaren!" „Deshalb hat man uns hierher verbannt" „Wir wollen keine Gnade vom Zaren. „Wir wollen nur die Freiheit, den Zaren zu hassen bis in den Tod!" Das klingt edel, ist aber dumm. Freiwillige Unfreiheit. Einer, der an Jesus nicht glaubt, ähnelt diesen Zarenhassern, wenn er die Freiheit Gottes nicht für sich in Anspruch nehmen will.

Aber auch Glaubende stehen in Gefahr, die von Christus erworbene und geschenkte Freiheit wieder zu verlieren. Paulus schreibt im Galaterbrief an solche Christen. In den christlichen Gemeinden in Galatien traten Irrlehrer auf, die die Meinung vertraten: Natürlich müsst ihr als rechte Christen an Jesus glauben. Aber ihr müsst noch etwas Anderes tun: Ihr müsst euch beschneiden lassen.

Das Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Juden war im Alten Testament die Beschneidung. Das Bundeszeichen im Neuen Testament war nun für die Christen die Taufe. Wenn nun diese Irrlehrer behaupteten: Ihr müsst euch als Christen auch beschneiden lassen, so sagten sie nichts anderes als: Ihr müsst erst Juden werden, bevor ihr Christen werden könnt.

Gegen diese Meinung wandte sich Paulus im Galaterbrief mit sehr scharfen Worten. Nein, sagte er: Ihr gehört zu Gott allein durch den Glauben an Jesus. Bestimmungen des Alten Testaments machen euch nicht zu Christen. An vielen Stellen in seinen Briefen drückt er es noch radikaler aus: Durch das, was ihr tut, durch die Werke des Gesetzes, lebt ihr nicht als Kinder Gottes, sondern bleibt Sklaven des Gesetzes.

Wir stehen nun nicht in Gefahr, durch die Beschneidung uns die Liebe Gottes verdienen zu wollen. Wohl aber durch unsere guten Taten. Anstatt sich mit der Liebe Gottes zu uns beschäftigen, beschäftigen wir uns mit unserer Liebe zu ihm und zu unserem Mitmenschen und können dann zu folgendem Ergebnis kommen: „Ich liebe Gott zu wenig. Eigentlich müsste er im Mittelpunkt meines Lebens stehen. Aber das tut er nicht.“ Oder: „Ich liebe meine Mitmenschen nicht. Ich liebe nicht einmal meine Mitchristen. Eigentlich nerven mich manche. Wie kann Jesus an mir dann Freude haben?“ Oder: „Ich tue schon Gutes. Aber müsste es nicht noch viel mehr sein? Und ist mein Gutestun wirklich so selbstlos? Sondern steht nicht doch mein eigenes Ich dabei im Mittelpunkt?“

Wer so als Christ denkt und lebt, der ist nicht froh und frei. Grundlage unseres Christseins ist und bleibt allein die unverdiente und bedingungslose Liebe Gottes. Jesus nagelt uns nicht auf unser Versagen fest. Er reibt uns nicht wie wir uns selber oft –und anderen auch - andauernd unser Versagen unter die Nase. Sondern er liebt uns trotzdem und vergibt uns. Wir kriegen es nie hin, so selbstlos zu lieben, wie wir lieben sollten. Das ist auch nicht das Entscheidende für einen Christen. Das Entscheidende ist, dass wir an dem Glauben festhalten: Er Jesus, hat es hingekriegt und kriegt es immer wieder hin, mich trotz meines Versagens total zu lieben.

Macht dieser Glaube an die übergroße Liebe Jesu nicht leichtfertig? Verführt er nicht zu dem Denken: Dann es ja egal, wie ich lebe? Es wird mir ja doch immer wieder alles vergeben?

Auch Paulus hat diesen Vorwurf in seinen Briefen aufgegriffen und dazu gesagt: Nein, es ist genau das Gegenteil der Fall. Nur wer sich ganz und gar von Gott unumschränkt geliebt weiß, der kann auch lieben und gibt diese Liebe weiter. Er behält sie nicht für sich, sondern gibt sie gerne weiter.

Mir hat einmal der Satz eines Menschen, von dem im besonderen Maße die Liebe und die Freiheit eines Christenmenschen ausging, geholfen. Er lag als Spruchkarte auf dem Tisch eines christlichen Freizeitheimes und lautete sinngemäß: „Wisst ihr, warum ihr so lieblos seid? Nicht weil ihr euch so wenig anstrengt, lieb zu sein. Sondern weil ihr nicht wisst, wie sehr euch Jesus lieb hat.“

Das dürfen wir, gerade heute am Reformationstag, noch viel mehr glauben als bisher: Wir sind von Jesus noch viel mehr geliebt, als wir meinen, noch viel mehr befreit von der Macht der Sünde, als wir es für möglich halten, noch viel mehr erlöst von allem, was uns noch unfrei macht, auch von allem, was sich tief in unser Wesen eingegraben hat, Traumata, Niedergeschlagenheit und Depressionen, Überheblichkeit und Arroganz, Süchte und Abhängigkeiten.

Glaube es, glaube es auch entgegen deiner bisherigen Erfahrung mit dir selbst, umso mehr: Ich bin von Gott geliebt, trotz meiner Sünden, trotz meines Versagens. Nur so ein Glaube schafft ein befreites und unverkrampftes Christsein. Nur so ein Glaube lässt mich über einen Gott froh sein, der es gut mit mir meint, der mich liebt und auch verändert. Diesen wunderbaren Glauben hat Martin Luther wiederentdeckt. Auch wir dürfen wie er darüber froh und frei werden, dass wir uns ganz und gar auf Jesus verlassen und auf niemanden und nichts Anderes.

Amen