Bayreuth, den 14.11.2021 2. Korinther 5,1-10

Liebe Gemeinde! 

Paulus spricht hier von Vergänglichkeit und Ewigkeit. Im Spannungsfeld zwischen Erde und Himmel vollzieht sich unser Leben. Erstaunlich, wie der Apostel davon redet. Er ist sich dessen, was er schreibt, ganz gewiss. „Wir wissen“, heißt es zweimal in unserem Predigtabschnitt. Der christliche Glaube hat also nichts mit Ahnen und Fühlen, mit Vermuten und Ungewissheit zu tun, sondern es geht um ein Wissen. So sagt es Martin Luther: „Gott hat feste Gewissheiten in unser Herz gegeben, die gewisser und fester sind als das Leben selbst und alle Erfahrung.“

Wir wollen in dieser Predigt dem auf die Spur kommen, welche Gewissheiten Gott uns nun ins Herz gegeben hat und welches Wissen nun Paulus hat.

Das erste, was Paulus weiß, ist: Unser Leben ist zeitlich begrenzt. Es geht irgendwann einmal zu Ende. Das wissen wir eigentlich alle. Nur wollen wir oftmals nichts davon wissen und verdrängen diese Tatsache. Wir leben so, als ob wir hier auf dieser Erde ewig leben würden, wollen über Jahre oder gar Jahrzehnte hinaus planen und wissen nicht einmal, ob wir den nächsten Tag erleben. Unser Leben kann ja schneller zu Ende gehen, als wir ahnen.

Paulus vergleicht unser Leben mit einem Gebäude. Manche Menschen meinen, vor allen Dingen, wenn sie jung sind, es sei stabil und fest. Es steht noch lange. Aber ist dem wirklich so?

Eine deutsche Pfarrerin erzählt von ihrem Aufenthalt in New York vor 20 Jahren, im September 2001. Am 10. September 2001 fuhren ihre beiden Begleiter auf die Aussichtsplattform des World Trade Centers. Sie selber trank lieber einen Kaffee bei „ Starbucks“ und sagte sich: „Das steht morgen auch noch.“ Was niemand ahnte: Am nächsten Tag standen die Türme des World Trade Center nicht mehr. Wie wir wissen, brachte ein terroristischer Anschlag diese Türme zum Einstürzen.

Dieses Ereignis, dass sich vor wenigen Wochen zum 20. Male jährte, ist für mich ein Gleichnis für unser Leben. Es kann stabil erscheinen. Aber es ist bedroht vom Einsturz. Es gleicht nicht den ägyptischen Pyramiden. Durch die Jahrtausende hindurch scheinen sie unverändert zu sein. Sondern es gleicht einer Bretterbude, einer Hütte, so übersetzt Luther das griechische Wort für „Zelt“. Unser Leben ist ein Provisorium. Es ist wie ein Holzhäuschen in einem Schrebergarten. Nach ein paar Jahrzehnten ist es verbraucht, reif für den Abbruch. Oder es ist gar wie ein Zelt, das für ein paar Tage irgendwo steht, brauchbar für einen Abenteuerurlaub. Aber dieses Zelt wird nach ein paar Tagen abgebrochen.

Es ist oft schwer zu ertragen: Nach und nach wird die Hütte unseres Lebens abgebaut. Wir bleiben zwar gefühlt immer gleich alt. Aber dem ist nicht so. Ab und zu entdecken wir in unserem Gesicht ein neues Fältchen. Nanu, das war doch gestern noch nicht da, oder doch? Vor 10 Jahren lief ich doch die Joggingstrecke viel schneller. Was ist denn nur mit mir los? Und bei der Gartenarbeit muss ich jetzt immer wieder ein Päuschen machen. Das ging doch früher alles viel schneller. Das gibt es doch gar nicht!

Ich kann die Erklärung geben, eine harte Erklärung. Das alles sind Vorboten des Alters und des Todes. Das ist mit uns los. Wir müssen uns dieser Erkenntnis stellen. Dies tat auch Paulus. Aber sein Wissen löst bei ihm keine Panik aus, Denn er weiß noch mehr. Unser Lebenshaus existiert nicht nur auf Abbruch. Sondern es wartet etwas Neues, Unzerbrechliches, ja Ewiges, auf uns.

Es kommt der Tag, da ziehen wir um. Ich bin ja nun schon oft in meinem Leben umgezogen. Damit verbunden waren in der Regel sehr einprägsame Einschnitte in meinem Leben. Das letzte Mal sind wir vor 24 Jahren umgezogen. Für meine Familie und mich war es ein Umzug an einen neuen Wohnort, wo man sich erst wieder neu orientieren und umgewöhnen musste, für mich eine neue Gemeinde, neue Aufgaben, für die Kinder eine neue Schule oder Kita. In nicht allzu langer Zeit werden wir wieder umziehen. Das sind natürlich gemischte Gefühle: Wehmut, dass nun ein wichtiger Lebensabschnitt, die Berufstätigkeit, zu Ende sein wird. Aber es überwiegt immer mehr auch eine Vorfreude auf ein Leben, in dem es etwas geruhsamer zugehen wird als wie bisher. So hoffe ich zumindest.

An den Umzug in die Ewigkeit können wir mit ähnlichen gemischten Gefühlen denken. Mit Wehmut, wenn wir daran denken, was wir hier zurücklassen müssen. Aber wir haben auch Grund zur Vorfreude. Denn er, Jesus, hat für uns Wohnungen bereit. So hat er es denen, die zu ihm gehören, versprochen. Das wird bestimmt keine schäbige Absteige sein. Er gönnt uns ganz gewiss die beste Unterkunft. Ich bin mir sicher: Wir werden uns keinen Augenblick nach unseren alten Wohnungen oder Häusern zurücksehnen, und wenn sie noch so gemütlich, geschmackvoll und großzügig eingerichtet sind, auch wenn sie den neuesten Wohnstandards entsprechen oder wir einen wunderschönen Garten besitzen sollten. Das, was Gott für uns bereitet hat, wird alle unseren kühnsten Erwartungen übertreffen.

Lassen wir uns überraschen! Es gibt eine mittelalterliche Erzählung von zwei Mönchen, die sich das Paradies in ihrer Phantasie in den glühendsten Farben ausmalten und sich dann gegenseitig versprachen, dass der, welcher zuerst sterben würde, dem anderen im Traum erscheinen und ihm nur ein einziges Wort sagen solle. Entweder „taliter“ – es ist so, wie wir uns das vorgestellt haben, oder „aliter“ – es ist anders, als wir es uns vorgestellt haben. Nachdem der erste gestorben war, erschien er dem anderen im Traum, aber er sagt sogar zwei Worte: „Totaliter aliter!“ – Es ist vollkommen anders als in unserer Vorstellung!

Paulus weiß, dass diese wunderbare Zukunft auf ihn zukommt. Woher nur, kann man sich fragen? Es weiß doch niemand, was nach dem Tod kommt. In so manchen Gesprächen bekomme ich es zu hören: Es ist doch noch niemand vom Jenseits zurückgekommen, um uns zu sagen, wie es drüben zugeht. Da antworte ich in der Regel immer etwa so: „Das stimmt nicht, was Sie sagen. Es ist jemand zurückgekommen. Das ist Jesus.“

Er ist gestorben und auferstanden. Seine Auferstehung ist kein Mythos, kein Wunschgedanke von ein paar überdrehten religiösen Fanatikern. Sondern sie wird uns von der Bibel glaubhaft erzählt. Sie berichtet von mehreren hundert Zeitzeugen, die Jesus unabhängig voneinander gesehen haben. Sie erzählt von seinem leeren Grab, das sogar seine Feinde nicht leugnen konnten. Fast alle seine engsten Anhänger wurden umgebracht, weil sie anderen erzählten, dieser Jesus ist der Herr der Welt, er ist auferstanden und man kann mit ihm Erfahrungen machen. Für eine höchst unsichere Sache hätten sie das nie getan, sondern für etwas, was für sie zum Schwören gewiss war.

Außerdem können wir jetzt schon etwas mit dem Himmel erfahren. Paulus spricht von einem „Unterpfand“, das wir haben. Wir haben schon eine Anzahlung auf das Glück, das uns erwartet, erhalten. Das ist der Geist Gottes, der in uns ist, wenn wir an Jesus glauben.

Dieser Geist Gottes macht zum Beispiel ein Wort lebendig, das wir in der Bibel lesen oder in einer Predigt hören. Dann merken wir, dass wir keine uralten Worte aus uralten Zeiten gelesen habe, sondern Worte aus der Ewigkeit, die uns in unserem jetzigen Leben ansprechen, und auch keine Worte eines Menschen gehört haben, der sich ein paar mehr oder weniger geistreiche Gedanken zu einem biblischen Thema gemacht hat, sondern dass da Gott aus dem Munde eines seiner Boten mit ihnen gesprochen hat.

Diese Worte können uns unsere Situation vor Gott klarmachen: dass wir Sünder sind, die Vergebung brauchen. Wenn der Geist Gottes sein Wort lebendig macht, dann kann das weh tun, dann kann mich das beunruhigen. Wenn ich dann entdecke, dass mein Leben ja nicht in Ordnung ist. Aber so ein Wort wie „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben!“ kann mich gewiss machen, dass mich nun nichts mehr von Gott und seiner Liebe trennt. Es kann mir klarwerden, dass ich ein Kind Gottes bin, auf das einmal die Ewigkeit wartet.

Dieser Geist Gottes kann uns auch trösten, wenn etwas schiefgelaufen ist. Er kann uns aufatmen lassen, wenn die Sorgen uns niederdrücken und fast auffressen wollen. Paul Gerhardt hat es in einem seiner Lieder so ausgedrückt: „Sein Geist spricht meinem Geiste manch süßes Trostwort zu.“ Wie oft habe ich es erlebt, dass mich das Wort aus dem 1. Petrusbrief direkt angesprochen hat: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Dann waren die Sorgen oft tatsächlich wie weggeblasen. Und noch viel wichtiger: Gott hat tatsächlich immer wieder eingegriffen. Wie oft habe ich in meinem Leben handgreifliche Hilfen Gottes erfahren dürfen. Solche Hilfen sind immer ein Stück des Himmels auf Erden.

Wer nun weiß, welchem wunderbarem Ziel er entgegengeht, der kann den Weg dorthin ganz anders gehen als einer, der nicht weiß, wohin sein Lebensweg ihn führt. Der Glaubende weiß, dass er eine Heimat vor sich hat. Dieses Wissen führt nicht zur Weltflucht. Sondern es macht getrost. Der Schritt in dieser Welt kann fester und getroster werden. Denn der Glaubende weiß ja, wohin er geht. Er hat ein Ziel vor Augen. Die Wirrnisse dieses Lebens werden gelöst werden, wenn das Ziel erreicht ist. Das Dunkle wird dann dem Licht weichen.

Das weiß und kennt ja jeder: Vorfreude ist oft die schönste Freude. Sie verschönert die Zeit des Wartens und beschwingt einen in seinem grauen Alltag. Wie willig werden zum Beispiel die Strapazen einer Urlaubsreise auf sich genommen –, Packen, Koffer schleppen, lange Anfahrt, Blechkolonnen auf der Autobahn. Da kommt niemand auf die Idee: „Drehen wir um, fahren wir wieder heim, das Warten im Stau dauert mir zu lange.“ Nein, auch wenn man schimpft, man fährt weiter. Man hat ja ein Ziel vor Augen: das blaue Meer und der Sandstrand, oder die Berge und Seen.

Genauso auch bei Paulus. Der beschwerliche Weg macht ihn nicht verzagt, denn es geht ja der Heimat entgegen. Er hat eine Gewissheit: Wir wissen, sagt er, dass diese Zukunft auf uns wartet. Er möchte auch so leben, dass es Jesus gefällt, was er tut.

So möchte auch sicher jeder Christ leben, auch wenn es nicht immer gelingt, auch wenn wir immer wieder versagen. Wir wollen doch den Mitmenschen so lieben, wie Jesus ihn geliebt hat, wollen ihn mit Jesu Liebe lieben, die wir selber erfahren haben. Wir wollen uns von denen nicht abwenden, von denen Jesus sich auch nicht abgewendet hat, von denen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, die Menschen oft vergessen und gewissermaßen unsichtbar sind. Deren Ängste nicht gesehen werden. Die vielleicht sogar in den Gemeinden übersehen werden. Die versuchen, wahrgenommen zu werden, aber denen nur Gleichgültigkeit begegnet. Die eine Krankheit haben, über die sie nicht sprechen können. In denen es dunkel aussieht, aber denen man es nicht ansieht.

Diese Menschen hat Jesus gesehen. Er hat sie nicht übersehen. Beten wir doch um solche Augen, wie Jesus sie hatte, damit wir solche Menschen auch sehen. Wir können ihnen vielleicht nicht helfen. Aber es hilft ja oft schon, wenn sie merken, dass sie wahrgenommen werden und man ihnen zuhört.

Es ist nicht egal, wie wir leben. Denn unser Leben hat ein Ziel. Das ist die Ewigkeit bei Gott. Unter anderen Bedingungen, in einer anderen Dimension, aber als die gleiche Person werden wir weiterleben.

Und dann werden wir vor Gott stehen. Dann stehen wir vor unserem Richter. Im Neuen Testament steht der Satz: "Jeder von uns, jeder Mensch muss einmal sterben und kommt danach vor Gottes Gericht." (Hebräer 9,27) Und bei unserem heutigen Predigttext steht, ich lese die Worte einmal nach einer modernen Übersetzung vor: "Es kommt nur darauf an, alles zu tun, was Gott gefällt. Denn einmal werden wir uns alle vor Jesus Christus als unserem Richter verantworten müssen."

Gott hat uns dieses Leben gegeben. Es ist sein Leben, nicht unser Leben. Und er wird uns einmal fragen, was wir mit seinem Geschenk gemacht haben. Ob wir unser Leben nur nach unseren Interessen gestaltet haben oder ob wir uns nach seinem Willen gerichtet haben.

Es findet also einmal eine Art Prozess gegen uns statt. Je nachdem, wie das Ergebnis der Beweisaufnahme sein wird, wird auch das Urteil ausfallen: Freispruch oder Verurteilung.

Es ist nicht egal, wie wir leben. Alles, was wir denken, reden, tun oder nicht tun, hat einmal seine Folgen. Eigentlich ist uns doch allen klar: Alles hat Konsequenzen. Wer in der Schule nichts lernt, fällt durch. Wer seine Arbeit nicht tut, wird entlassen. Und wer sein Leben ohne Gott und ohne nach seinen Willen zu fragen, führt, kommt einmal nicht zu ihm und sein Reich.

Das Ende so eines Lebens ist eine Ewigkeit ohne Gott. Das nennt die Bibel Hölle. Ja, zum Schluss muss auch davon geredet werden. Nicht um Menschen Angst einzujagen, sondern um die Konsequenz eines Lebens ohne Gott zu nennen, so wie es Jesus und die Apostel an vielen Stellen der Bibel auch taten.

Alles Unrecht, das Menschen getan haben, kommt einmal auf den Tisch. Das hat auch etwas Beruhigendes an sich. Die Massenmörder, Vergewaltiger, Folterknechte und Kinderschänder kommen nicht ungeschoren davon. Auch wenn sie nicht vor ein irdisches Gericht gestellt werden, so kommen sie doch einmal vor das himmlische.

Wie ist das mit uns, wenn wir einmal vor dem Richterstuhl Gottes stehen? Da kann uns mulmig werden. Wir haben ja auch nicht so gelebt, wie Gott es von uns erwarten kann. Aber wir dürfen wissen: Dieser Richter ist gleichzeitig unser Freund und Fürsprecher. Wer sich im Glauben an Jesus gewissermaßen hinhängt, den stößt er nicht von sich, den schüttelt er nicht wie eine lästige Fliege ab. Sondern er tritt wie ein guter Anwalt bei Gott für uns ein. Luther stellt sich vor, dass Jesus dann so mit seinem Vater redet:

„Dieses Anhängsel muss auch durch. Es hat zwar nichts gehalten und alle deine Gebote übertreten, Vater, aber er hängt sich an mich. Was will's! Ich starb auch für ihn. Lass ihn durchschlupfen.“ So wie Luther es ausdrückt, möchte ich auch glauben.

Amen